Biathlon:Volle Pulle ausgeparkt

Biathlon: Erik Lesser: Staunte in Kontiolahti über Platz drei

Erik Lesser: Staunte in Kontiolahti über Platz drei

(Foto: Markku Ulander/AP)

Biathlet Erik Lesser gelingt mit Platz drei in Kontiolahti ein erstaunliches Comeback. Der neue Konkurrenzkampf im Team scheint ihm zu liegen.

Von Saskia Aleythe

Es ist noch gar nicht so lange her, da drückte Erik Lesser seine Ambitionen in seinem Sport mit recht anschaulichen Worten aus. Es war Februar, kurz vor der WM in Antholz, Lesser musste sich im IBU-Cup, der zweiten Liga des Biathlons beweisen, um überhaupt für ein Medaillenrennen in Südtirol in Frage zu kommen; vor allem das Laufen machte ihm damals Probleme. Lesser sagte also, er wolle "nicht auf den Skiern das Parkticket ziehen", so ungefähr hat sich das im vergangenen Winter für ihn angefühlt: Wie Stehenbleiben in der eigenen Karriere.

Es waren Worte, die man erstmal über die Lippen bekommen muss, wenn man schon Olympia-Medaillen gewonnen hat und Weltmeister geworden ist. Doch wer sich selber nicht schont, kommt manchmal am ehesten voran.

Die Höhen und Tiefen in seinem Sport hat der 32-Jährige schon ausgiebig kennengelernt, zum Saisonstart an diesem Wochenende in Kontiolahti ist er ehrgeizig ausgeparkt, volle Pulle raus auf die Rennstrecke: Nach 20 Kilometern in der finnischen Kälte stand plötzlich die Drei neben seinem Namen. Lesser guckte zur Anzeige und wieder zurück, nochmal zum Bildschirm und wieder zurück. Dann streckte er die Arme nach oben und sackte erschöpft zusammen. "Vor einer Woche war ich nicht mal qualifiziert", sagte er später am ZDF-Mikrofon, "keine Ahnung, wie ich das geschafft habe."

Platz drei in einem Einzel, dem läuferisch anspruchsvollsten Rennen im Biathlon, das ist gemessen an den Erfahrungen von Erik Lesser in den vergangenen eineinhalb Jahren tatsächlich ein furioses Comeback. Eines, das sogar davon ablenkt, dass wenige Stunden später Denise Herrmann nur um 0,8 Sekunden gegen Dorothea Wierer den Sieg verpasste. Denn der Konkurrenzkampf im deutschen Männerteam ist größer geworden als noch in den Jahren zuvor - und Lesser hat nach einem Schlüsselbeinbruch im Sommer 2019 lange gekämpft, um wieder auf die Beine zu kommen. Das Abdrücken mit den Stöcken im Schnee machte ihm monatelang Probleme, auch Rückenschmerzen verhinderten schnelle Zeiten. Die ersten Einzelrennen im vergangenen Winter beendete er auf Rang 33, 72, 70 und 82; er musste seinen Platz im Weltcup-Team räumen, konnte die WM-Norm nicht erfüllen.

"Manchmal bin ich schon ein bisschen neidisch auf Martin Fourcade, der im März aufgehört hat", sagte Lesser vor kurzem der Südthüringer Zeitung, "der hat es echt gut, denn das Training wird im Alter nicht leichter, die Schmerzen dagegen werden mehr." Doch der Gedanke an Biathlon kitzelt Lesser noch; dass er Wiederkommen kann, hat er dann ja auch bei der WM in Antholz noch gezeigt: Als Nachrücker durfte er die Single-Mixed-Staffel mit Franziska Preuß laufen, sie gewannen Silber; auch in der Männer-Staffel bekam Lesser noch einen Startplatz und nahm Bronze mit nach Hause. Und das Beweisen-Müssen hat danach nicht aufgehört; und man kann schon auf den Gedanken kommen: Einem wie Erik Lesser tut das ganz gut.

Er musste erst noch interne Ausscheidungsrennen gewinnen

Zu zehnt sind die deutschen Biathleten ins letzte Trainingslager nach Muonio gereist, fast neun Stunden Busfahrt von Kontiolahti entfernt, erst dort sollte sich entscheiden, wer weiter mit zum Weltcup reisen darf. Arnd Peiffer, Benedikt Doll, Johannes Kühn und Philipp Horn waren aufgrund der Ergebnisse der abgelaufenen Saison gesetzt; Lucas Fratzscher als Gesamtsieger des IBU-Cups ebenso - zwei weitere Startplätze wurden in Ausscheidungsrennen in Muonio ermittelt. Zweimal gewann Lesser, er setzte sich unter anderem gegen Simon Schempp durch, der immer noch mit seiner Form hadert. "Es zeichnet Erik eben aus, dass er da ist, wenn es um die Wurst geht", sagte Bundestrainer Mark Kirchner dem Freien Wort.

Dass es in Kontiolahti um die Wurst ging, merkte Lesser dann nach dem letzten Schießen: Nur eine von 20 Scheiben hatte er verfehlt, er lag zwischenzeitlich auf Rang fünf und bescherte sich mit einer erstaunlich flotten Schlussrunde den ersten Podestplatz in einem Individualrennen im Weltcup seit fast drei Jahren. Beim Überraschungssieg des Norwegers Sturla Holm Laegreid (0 Fehler) wurde Johannes Thingnes Bö Zweiter (1; +19,6 Sekunden); ohne Fehler hätte es für Lesser zu Rang zwei gereicht. "Ich fühle mich seit ein paar Wochen ganz vernünftig auf dem Ski und habe ein gutes Gefühl. Ich kann absolut zufrieden sein", sagte er später.

Das WM-Ticket für Pokljuka hat er nun schon nach dem ersten Rennen in der Tasche, doch auch in den kommenden Wochen soll der Konkurrenzkampf im eigenen Team um die Startplätze im Weltcup weitergehen. Und dass sie nun noch ein paar Rennen in Kontiolahti vor sich haben, muss zumindest für Lesser nicht das Schlechteste bedeuten. Die Strecke liegt ihm zwar nicht, hat er mal gesagt; 2015 war das: Da verabschiedete er sich von seiner Familie mit den Worten: "Viel braucht ihr von mir nicht zu erwarten." Zurück kam er mit einer Medaille als Verfolgungs-Weltmeister.

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