Nachruf auf Peter Radtke:Starker Mann

Schauspieler Peter Radtke in Franz Kafkas "Ein Bericht für eine Akademie"

Peter Radtke als Affe Rotpeter in Franz Kafkas "Ein Bericht für eine Akademie", inszeniert von George Tabori am Wiener Burgtheater.

(Foto: Wolfgang Kluge/dpa)

Der Schauspieler, Autor und Regisseur Peter Radtke ist gestorben. Über einen frühen Helden des inklusiven Theaters.

Von Christine Dössel

Die Ärzte prophezeiten ihm bei der Geburt eine Lebensdauer von nur wenigen Monaten. Peter Radtke kam am 19. März 1943 in Freiburg mit einem schweren Gendefekt auf die Welt, mit der Glasknochenkrankheit. 1943 waren die Nazis an der Macht und bestimmten, was "lebenswertes" Leben ist. Aber das Kind hatte Eltern, die es liebten und schützten, den Schauspieler Ernst Radtke und die Krankenschwester Käte. Vor allem von der engen Beziehung zu seiner ungewöhnlichen Mutter hat der in Regensburg aufgewachsene Sohn später oft erzählt. Sie hat ihm ein kämpferisches Selbstvertrauen mitgegeben. Sodass Peter Radtke nicht nur trotz, sondern gerade auch wegen seiner Behinderung ein landesweit bekannter Mann wurde, geschätzt als Schauspieler, Autor, Regisseur und nimmermüder Streiter für die Rechte von behinderten Menschen.

Radtke holte Mitte der Sechzigerjahre sein Abitur über den Zweiten Bildungsweg nach, studierte in Regensburg und Genf Germanistik und Romanistik und promovierte über "Das Problem der ,Brüchigkeit' bei Rabelais, Diderot und Claudel". Für viele eine Mutmach-Biografie. Radtkes Engagement für behinderte Menschen begann schon in den Siebzigerjahren in diversen Organisationen, die er mitbegründete und aufbaute. Damals begann er auch mit der Theaterarbeit. So initiierte er 1978 das erste deutsche Behindertenstück, "Licht am Ende des Tunnels" von Michael Blenheim, das am Münchner Theater der Jugend herauskam, mit "echten" Behinderten auf der Bühne. Damals ein Novum. Er selbst spielte erstmals 1981 in dem Stück "Nachricht vom Grottenolm" im Münchner Theater am Sozialamt und war 1982 Mitbegründer des "Crüppel Cabarets".

Peter Radtke war ein früher Held des inklusiven Theaters, wie es sich erst in jüngster Zeit richtig durchsetzt. An den Münchner Kammerspielen, wo die neue Intendantin Barbara Mundel nun ein Ensemble aus behinderten und nicht behinderten Schauspielern hat, löste Radtke 1985 noch einen mittleren Theaterskandal aus, als er mit seinem verformten Körper im Rollstuhl ein behindertes Kind darstellte. Das war in der Medea-Version "M" des großen, alten George Tabori, der in so vielem seiner Zeit voraus und ein Agent Provocateur war.

"Ich leide nicht an der Behinderung. Ich habe sie einfach. Es ist eine Art Lebensform."

Der auch immer gerne für einen Skandal gute Franz-Xaver Kroetz inszenierte 1986 Kafkas "Bericht für eine Akademie" als Solostück für Radtke im Werkraum der Kammerspiele. Der Affe Rotpeter, der ein Mensch werden möchte, wurde Radtkes Paraderolle. Vor allem in der Inszenierung von George Tabori, die 1992 am Wiener Burgtheater herauskam und jahrelang europaweit tourte: Radtke mit seinem deformierten Körper in einem wuchtigen Sessel kauernd, aus seiner kleinwüchsigen Physis heraus raunzend, röhrend und schnaufend die Tragödie der Menschwerdung erzählend.

Radtke führte hin und wieder auch selbst Regie. Und er spielte in Filmen mit, so etwa 1997 den Oskar Matzerath in Martin Buchhorns Verfilmung von Günter Grass' Roman "Die Rättin". Am Schauspiel Zürich war er 1999 als Hauptmann in Georg Büchners "Woyzeck" zu sehen, in der Regie von Karin Henkel.

Sein lebenslanger Einsatz für behinderte Menschen hat Radtke zahlreiche Ehrungen eingebracht, darunter das Bundesverdienstkreuz. Von 2003 an gehörte er dem Nationalen Ethikrat und seit 2008 dessen Nachfolgeorganisation an, dem Deutschen Ethikrat, er engagierte sich dort gegen die Präimplantationsdiagnostik. "Die Probleme von Menschen mit Behinderung sind gesellschaftliche Probleme", davon war er überzeugt. Diese Überzeugung vertrat er in Talkshows, Büchern und Interviews stets mit Freundlichkeit, Witz und Optimismus. Radtke benutzte nie die Formulierung "an einer Behinderung leiden". Er sagte: "Ich leide nicht an der Behinderung. Ich habe sie einfach. Es ist eine Art Lebensform." Wie die von ihm gegründete Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien mitteilte, ist Radtke am Samstag in München gestorben. Er wurde 77 Jahre alt.

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