Wahl zum Wort des Jahres:"Noch nie war ein Thema derart dominant"

Peter Schlobinski

Peter Schlobinski ist Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Sprache.

(Foto: privat)

Im Seuchenjahr 2020 hat die Gesellschaft für deutsche Sprache "Corona-Pandemie" zum Wort des Jahres gekürt. Geht es nicht spannender? Jurymitglied Peter Schlobinski über Wörter, Unwörter und die Frage, ob die Österreicher kreativer sind.

Interview von Oliver Klasen

"Corona-Pandemie" ist das Wort des Jahres 2020. Ein Satz, der ähnlich spektakulär ist, wie "Wasser ist nass" oder "Der FC Bayern wird Deutscher Meister". Hätte sich die Gesellschaft für deutsche Sprache, die das Wort des Jahres seit 1971 kürt, denn nicht etwas Überraschenderes einfallen lassen können? Peter Schlobinski ist der Vorsitzende der Gesellschaft und hat das Wort des Jahres mit ausgewählt.

SZ: Herr Schlobinski, war die Jurysitzung, in der Sie über das Wort des Jahres entscheiden, in diesem Jahr ein bisschen langweilig, weil eh schon klar war, was es wird?

Peter Schlobinski: Nein. Langweilig war es nicht. Aber ich verstehe, auf was Sie hinauswollen. Denn es stimmt: Noch nie war ein Thema derart dominant. Und das Wort des Jahres gibt es schon seit 1971, fast 50 Jahre. Oft kristallisierte sich erst während der Jurysitzung langsam heraus, welches Wort denn der Favorit ist. Das war diesmal anders. Denn jedem in der Runde war von Anfang an klar, auf Platz eins der Liste kann nur ein Begriff aus dem Corona-Umfeld stehen, und eigentlich war auch klar, dass in dem Begriff das Wort Corona wortwörtlich vorkommen muss.

Eine schnelle Sitzung also.

Nein, wir haben trotzdem drei Stunden getagt. Wir haben anfangs 2500 Wörter, das nennen wir die Urliste. Einerseits Zusendungen, andererseits Begriffe, die unsere Mitarbeiter gesammelt haben. Diese Urliste wird auf 200 Wörter verdichtet, das bildet die Basis für die Diskussion in der Jury. Daraus machen wir in einem ersten Schritt eine Liste mit 30 Wörtern, dann eine Zehnerliste, und unter diesen zehn wird schließlich eine Rangfolge bestimmt.

Acht Begriffe in diesen Top Ten hatten mit Corona zu tun. Nur "Black Lives Matter" und das Gendersternchen nicht.

Ich würde sagen, es sind siebeneinhalb. Das Wort Verschwörungserzählung spielte zwar bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen eine Rolle, aber man hörte es auch in anderen Zusammenhängen. Interessant sind auch Wörter wie Schulschließungen oder Geisterspiele. Die gab es vorher schon. Aber sie sind jetzt in einen völlig anderen Zusammenhang gerückt, und sie haben eine neue Relevanz bekommen.

Okay. Aber "Corona-Pandemie", das Wort, das Sie jetzt ausgewählt haben - wenn man ehrlich ist, benutzt das im Alltag niemand. Alle sagen einfach: Corona.

Ja, das haben wir auch diskutiert. Der Mehrheit der Jury war es aber wichtig, dass das Wort Pandemie enthalten ist. Denn bis zu diesem Jahr verstanden wir unter Pandemie etwas, das vielleicht irgendwo in Afrika stattfindet. Jetzt ist ins Bewusstsein gerückt, dass das auch uns in einem vermeintlich sehr sicheren Land betreffen kann. Aber wenn Sie mich persönlich fragen, für mich hätte es auch nur Corona sein können.

Sie sind also in einer Kampfabstimmung unterlegen.

So drastisch würde ich das nicht formulieren. Sie dürfen sich das nicht so vorstellen wie in der Politik. Meist finden wir einen Konsens. Und wenn nicht, dann stimmen wir eben ab.

Wie viele Leute sitzen in Ihrer Jury?

Wir waren neun Personen, glaub ich. Natürlich per Videocall zusammengeschaltet, nicht in einem Raum.

Manche sagen, in Österreich ist die Wahl zum Wort des Jahres kreativer. Dort hatten sie 2016 das Wort Bundespräsidentenstichwahlverschiebungs... Leider bekomme ich es gerade nicht genau zusammen.

Ich auch nicht. Aber allein die Tatsache, dass Sie es nicht mehr zusammenbekommen, zeigt, dass das kein gutes Wort des Jahres ist. Ein Wort des Jahres sollte haften bleiben.

"Black Lives Matter" ist auf Platz vier der Liste. Gab es da Diskussionen, weil es ein englischer Begriff ist?

Nein. Da war eher die Frage, welche Bedeutung es für den deutschen Kontext hat, und das Argument war, dass es hierzulande auch eine Debatte über systemischen Rassismus gibt, und der Begriff deshalb zu Recht auf der Liste steht. Und was englischsprachige Wörter betrifft: Wir haben ja auch Lockdown auf Platz zwei.

Könnte es sein, dass das Wort und das Unwort des Jahres in diesem Jahr identisch sind?

Das glaube ich nicht. Beim Unwort des Jahres spielt ja immer auch Sprachkritik eine Rolle, also dass ein Wort zum Beispiel in abwertender, vielleicht sogar menschenverachtender Weise benutzt wird. Corona-Pandemie ist für mich ein neutrales Wort. Kein Unwort. Covidioten wäre vielleicht ein Kandidat.

Und Ihre Prognose für das Jahr 2021? Werden wir dann auch wieder sieben oder acht Corona-Begriffe in der Liste haben?

Ich bin kein Virologe, aber ich hoffe nicht. Vielleicht kommt das Wort "coronabefreit" in die engere Auswahl oder wenigstens "coronareduziert". Ein kleiner Teil der Corona-Begriffe wird die Pandemie vermutlich überdauern. Lockdown zum Beispiel steht ja bereits im Duden. Aber wenn irgendwann wieder andere Themen in den Fokus rücken, dann verschwindet allmählich auch der Corona-Wortschatz. Und das ist ja vielleicht gut so.

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