Indien:Die Ungehorsamen

Indien: "Keine Bauern, kein Essen" - das ist die Botschaft dieser Protestteilnehmer in Delhi. Sie gehören zu den Zehntausenden, die in Indiens Hauptstadt den Widerstand der Landwirte gegen neue Marktgesetze unterstützen.

"Keine Bauern, kein Essen" - das ist die Botschaft dieser Protestteilnehmer in Delhi. Sie gehören zu den Zehntausenden, die in Indiens Hauptstadt den Widerstand der Landwirte gegen neue Marktgesetze unterstützen.

(Foto: Channi Anand/AP)

Die Demonstrationen der Bauern, die um ihre Existenz fürchten, haben die Hauptstadt Delhi vor einigen Tagen erreicht. Nun haben sie zu einem Generalstreik aufgerufen, dem nicht alle folgten, der aber dennoch zur Blockade führt.

Von David Pfeifer, München

Über den Verkehr in Delhi zu sprechen, ist wie woanders über das Wetter zu sprechen. Es gibt zähfließenden Verkehr, Stopp and Go, Dauerstau in der Rushhour, aber dass eine Totalblockade alles lahm legt, ist auch für die Einwohner der indischen Hauptstadt nicht alltäglich. Es kann allerdings sein, dass sie sich daran gewöhnen müssen. Die Bauern, die seit etwa zwei Wochen gegen die Regierung demonstrieren, haben am Dienstag einen "Bharat Bandh" ausgerufen, am ehesten mit "Generalstreik" zu übersetzen. Als "Bandh" bezeichnet man einen Akt des zivilen Ungehorsam, "Bharat" ist eine alte Bezeichnung für Indien. Der Bharat Bandh gilt im Grunde für alle Inder, die großen Gewerkschaften sind dazu aufgerufen, sich an dem landesweiten Protest zu beteiligen. Und viele folgten diesem Aufruf am Dienstag.

Die Landwirte fürchten, Opfer großer Handelsketten zu werden

Auslöser sind drei neue Gesetze, mit denen die Bharatiya Janata Party (BJP), die das "Bharat" ebenfalls im Namen trägt, den Agrarmarkt liberalisieren möchte. Bislang griff der Staat ein, wenn es um die Preisgestaltung und Lagerung von landwirtschaftlichen Produkten ging. Nun sollen die etwa 150 Millionen Bauern, die es in Indien gibt, ihre Geschäfte selber regeln. Die Bauern fürchten, dass sie dadurch Opfer großer Handelsketten werden, die sie gegeneinander ausspielen und die Preise drücken könnten.

Am vorvergangenen Wochenende arbeiteten sich die Bauern aus den Bundesstaaten, die an Delhi grenzen, bis zu den Barrikaden vor, die die Polizei der Hauptstadt an Brücken und Zufahrtsstraßen errichtet hatte. Zunächst hielt die Polizei die Protestierenden mit Tränengas und Wasserwerfern in Schach, doch als der Druck zu groß wurde, wurden die Zehntausenden Protestierenden in die Stadt gelassen und in den Nirankari-Park geleitet, wo sie campieren und verhandeln sollten. Es wurde gestritten, aber Ergebnisse wurden keine erzielt. Die Bauern sind bislang friedlich, aber sie haben Proviant mitgebracht, um sich in Delhi und an den Grenzen notfalls für Monate einrichten zu können.

Der weltgrößten Handelszone RCEP ist Indien nicht beigetreten - es wollte seine Märkte nicht öffnen

Die Situation ist verfahren. Nach einer Woche der Verhandlungen zwischen den Bauernführern und Vertretern der BJP wurden die Gespräche am vergangenen Wochenende abgebrochen. Die Bauern fordern von der Regierung, die neue Regelung wieder einzukassieren. Die BJP will nicht zurückweichen in ihrem Vorhaben, einzelne, stark regulierte Märkte im Land zu liberalisieren, auch um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können.

Vor einigen Wochen erst wurde die größte weltweite Handelszone RCEP gegründet, die etwa ein Drittel der Weltwirtschaft inkludiert - allerdings ohne indische Beteiligung. Als Hauptgrund, warum man aus den RCEP-Verhandlungen ausgestiegen sei, nannte Außenminister Subrahmanyam Jaishankar der Hindustan Times, dass man die eigenen Märkte nicht unkontrolliert öffnen wolle: "Dieser Vereinbarung beizutreten, hätte unmittelbar negative Auswirkungen gehabt."

Schützen die Gesetze zu Investitionen aus dem Ausland oder sind sie Hemmschuh?

Die indische Wirtschaft ist durch ein ganzes Bündel von Gesetzen vor Eingriffen ausländischer Investoren geschützt, andererseits werden diese Regelungen immer wieder als Hemmschuh für die Entwicklung des Landes angeprangert. Die Landwirtschaft spielt in Indien eine besondere Rolle, weil etwa 60 Prozent der Inder von ihr abhängen und sie etwa 15 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes erzielt. Unter den 150 Millionen Bauern sind viele, die nur ein paar Quadratmeter Land bewirtschaften und kaum überleben können.

Zum Bharat Bandh nun solidarisierten sich die beiden großen Bahngewerkschaften "All India Railwaymens Federation" und "National Federation of Indian Railwaymen" - die staatliche Eisenbahn ist nicht nur legendär langsam, sondern auch der größte Arbeitgeber des Landes. Die Gewerkschaft der Banken wiederum hat sich dem Generalstreik nicht angeschlossen. Auch die Taxis in der Hauptstadt fahren weiter oder stehen eben im Stau, obwohl ihre Gewerkschaft die Bauern unterstützt.

Es ist ein Rezessionsjahr. Im dritten Quartal sank das Bruttosozialprodukt noch einmal um 7,5 Prozent

Viele Branchen sind vom wirtschaftlichen Rückgang durch die Corona-Pandemie ohnehin schon gebeutelt. Das wirtschaftlich lange Zeit aufstrebende Indien muss in diesem Jahr eine Rezession durchstehen, im dritten Quartal sank das Bruttosozialprodukt noch einmal um 7,5 Prozent.

Rahul Gandhi, Urenkel des ersten indischen Premierministers Jawaharlal Nehru, und vermutlich bald wieder Vorsitzender der oppositionellen Kongresspartei, schlug sich früh auf die Seite der Bauern. Vijay Rupani, Ministerpräsident des Bundesstaates Gujarat und ein Vertrauter von Premierminister Narendra Modi, machte sich deswegen am Dienstag über Gandhi lustig: "Der kann doch nicht mal den Unterschied zwischen Koriander und Bockshornklee benennen." Die Proteste der Bauern werden nun zunehmend parteipolitisch ausgeschlachtet.

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