Wirtschaftsverband DIHK:Einfach mal die Klappe halten

Bundespressekonferenz - DIHK

Damals durften sie noch in der Bundespressekonferenz auf die große Bühne: Hauptgeschäftsführer Wansleben (li.) und Präsident Schweitzer.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Politische Kommentare zur Wirtschaftspolitik? Der DIHK muss meist schweigen. Hält er sich nicht daran, dürfen Firmen ihre Kammern zwingen, aus dem Lobbyverband auszutreten. Und nun kommen die nächsten Klagen.

Von Thomas Öchsner

Wenn es etwa um den Mindestlohn, die Rente mit 63, den Brexit oder Menschenrechte in Iran geht, muss sich der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) mit allgemein-politischen Aussagen zurückhalten. Das gilt erst recht für polemisch überspitzte Aussagen wie etwa in einem Interview mit einem DIHK-Repräsentanten, der zum Thema Klimaschutz die Frage aufwarf, "ob wir wieder mit 34 PS über die Alpen nach Italien fahren" wollten. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht 2016 entschieden und vor knapp zwei Monaten in einem weiteren Urteil bestätigt. Die Leipziger Richter verpassten damit einem der wichtigsten Wirtschaftsverbände Deutschlands einen Maulkorb, aber nicht nur das.

Sie räumten auch Unternehmern das Recht ein, ihre regionale IHK zu zwingen, aus dem DIHK auszutreten, vorausgesetzt, der Dachverband hält sich nicht an die Grundsatzurteile. Das hat nun für den DIHK fatale Folgen. Vor mehreren deutschen Gerichten wird es jetzt indirekt um das Überleben der in Berlin lange Jahre durchaus einflussreichen Lobbyorganisation gehen.

Die Geschichte beginnt mit einem Unternehmer, der nach 13 Jahren endgültig recht bekam: Thomas Siepelmeyer, 65, Chef einer Windkraftfirma in Münster-Hiltrup und Mitglied der IHK Nord Westfalen. Siepelmeyer ärgerte sich darüber, dass sich der DIHK 2007 gegen den Ausbau von erneuerbaren Energien und den Ausstieg aus der Kernenergie gewandt hatte. Er verlangte deshalb von seiner IHK, aus dem Dachverband auszutreten, und ging dafür den langen Weg durch die Instanzen. Nun hat der Unternehmer vor dem Bundesverwaltungsgericht erreicht, dass seine Kammer, die IHK Nord Westfalen, den DIHK verlassen musste.

Unterstützt wurde Siepelmeyer von den sogenannten Kammerrebellen, organisiert im Bundesverband für freie Kammern (BffK), der seit Jahren gegen die Zwangsmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern kämpft, gegen überhöhte Gehälter von IHK-Geschäftsführern wettert und vor mehreren Gerichten erfolgreich gegen die "unzulässige Vermögensbildung" in etlichen Kammern vorgegangen ist. Auch Siepelmeyer ist Mitglied im BffK, in dem sich 1300 Firmen zusammengeschlossen haben. Nun sind dem Kläger aus Münster fünf weitere Unternehmen gefolgt.

Geklagt wird gegen die Kammern in München, Stuttgart, Köln, Ostwestfalen und Kassel

Sie haben vor deutschen Gerichten einen "Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung" gestellt. Die neuen Kläger pochen darauf, dass das angerufene Gericht im Eilverfahren die jeweilige Kammer verpflichtet, aus dem DIHK auszutreten. Fünf Kammern sind davon betroffen, die IHK München und Oberbayern sowie die in Stuttgart, Köln, Ostwestfalen und Kassel. Die Anträge liegen der Süddeutschen Zeitung vor. Hätten sie damit Erfolg, käme auf den Dachverband eine Austrittswelle zu. Und würde diese Welle immer größer werden, wäre der DIHK "quasi tot", wie ein mit den Vorgängen Vertrauter in Berlin sagt. Doch noch ist es bei Weitem nicht so weit.

Das jüngste "Hammerurteil" (so der BffK) oder "Skandalurteil" (Bild-Zeitung) vom 14. Oktober 2020 besagt: Das Mitglied einer IHK kann den Austritt seiner Kammer aus dem Dachverband verlangen, "wenn dieser mehrfach und nicht nur in atypischen Ausreißerfällen die gesetzlichen Kompetenzgrenzen der Kammern überschritten hat und keine hinreichenden Vorkehrungen bestehen, um die Wiederholung von Kompetenzverstößen zuverlässig zu verhindern". So steht es in einer Pressemitteilung des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts. Die schriftliche Begründung des Urteils kommt noch. Die Richter kippten damit die Rechtsprechung in den Vorinstanzen und knüpften an ihr Urteil aus dem Jahr 2016 an.

Wirtschaftsverband DIHK: Die Industrie- und Handelskammer (IHK) in München: Auch gegen sie wird geklagt, sie soll aus dem Dachverband DIHK austreten.

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) in München: Auch gegen sie wird geklagt, sie soll aus dem Dachverband DIHK austreten.

(Foto: Robert Haas)

Damals hatte das Bundesverwaltungsgericht an die eigentlichen Aufgaben der als öffentlich-rechtliche Körperschaften organisierten Kammern erinnert. Diese übernehmen staatliche Aufgaben wie die Abnahme von Prüfungen von Auszubildenden. Dafür sind Industrie- und Handelsunternehmen automatisch verpflichtet, Mitglied einer IHK zu werden und von einer bestimmten Gewinnschwelle an Beiträge zu zahlen. Die Kammern sollten sich für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft in ihren Bezirken einsetzen. Politisch äußern dürften sie sich nur zu Themen, die mit der Wirtschaft im jeweiligen Kammerbezirk zu tun hätten. Nicht zuständig seien die Kammern zum Beispiel für "die Wahrnehmung sozialpolitischer Interessen und arbeitsrechtlicher Interessen". Dieser enge Rahmen gelte auch für den DIHK. Dieser und seine Präsidenten hätten sich aber wiederholt in politische Debatten eingeschaltet, etwa über die Mütterrente oder das außenpolitische Auftreten der Kanzlerin.

Der DIHK will "bis auf Weiteres auf alle medialen Äußerungen verzichten"

Auf das jüngste Urteil der Leipziger Richter reagierte der DIHK mit einem internen Schreiben an die Präsidenten und Hauptgeschäftsführer der 79 Kammern. Darin kündigt der Berliner Lobbyverband, der 3,5 Millionen Unternehmen in Deutschland vertritt, ausdrücklich an: "Der DIHK wird die vom Bundesverwaltungsgericht beanstandeten Äußerungen weder aufrechterhalten noch wiederholen." Auch werde man "bis auf Weiteres auf alle medialen Äußerungen verzichten". Außerdem werde der DIHK keine Stellungnahmen zu bestimmten Themen wie zum Beispiel der "Bedeutung der Menschenrechte", dem Existenzrecht Israels oder dem Verbraucherschutz veröffentlichen.

Den fünf Klägern geht dies aber nicht weit genug: Gegen die IHK München und Oberbayern zum Beispiel hat die Firma Film.coop geklagt. In dem Eilantrag wird anhand von mehreren Fällen dargelegt, dass der DIHK auch nach dem Oktober-Urteil weiter intensiv Öffentlichkeitsarbeit betreibe. Ein Beispiel ist die Bepreisung von CO₂. Hier habe der Dachverband in einer Stellungnahme "abweichende Positionen (...) erneut nicht berücksichtigt". Das Verwaltungsgericht München muss nun entscheiden, ob die IHK München und Oberbayern aus dem DIHK deshalb austreten muss. Die nächste Runde in dem seit 13 Jahren laufenden Rechtsstreit ist damit eingeläutet. BffK-Geschäftsführer Kai Boeddinghaus sagt: "Die Eilanträge machen deutlich: Der DIHK muss sich ändern, muss sich ans Gesetz halten - vor allem muss er lernen, gegebenenfalls mal die Klappe zu halten."

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