Streetwear:Frieden zum Anziehen

Adish

Mode mit besonderer Herkunft: Ein Entwurf des Labels Adish.

(Foto: Michal Chelbin)

Das israelische Label Adish verarbeitet Stickereien palästinensischer Frauen. Die jungen Gründer wollen damit zur Verständigung beitragen. Eine Modegeschichte über Mauern und Mut.

Von Peter Münch

Die Schätze liegen fein verpackt in Kisten aus Plexiglas. "Das hier kommt aus dem Westjordanland", sagt Amit Luzon und zieht ein Muster mit Stickereien hervor. "Und das ist eine Webarbeit aus dem Gazastreifen." Die palästinensische Textilkunst leuchtet in allen Farben, ein kräftiges Rot, ein sattes Grün, ein tiefes Blau. Gelagert werden die Kostbarkeiten in einem schicken Studio im Osten der israelischen Mittelmeer-Metropole Tel Aviv. Und nächstes Frühjahr, wenn die Pandemie es zulässt, wird all das wieder in Boutiquen hängen in Berlin oder New York, im Slam Jam in Mailand oder im Dover Street Market in London.

"Adish" heißt das Modelabel, das die Lässigkeit von Tel Aviv mit traditionellen Ornamenten aus Ramallah oder Bethlehem verbindet. "Wir sind eine israelisch-palästinensische Marke", sagt Amit Luzon, der das Unternehmen zusammen mit Eyal Eliyahu gegründet hat. Nahöstliche Streetwear, dieser Begriff beschreibt ihre Entwürfe am besten. Beide sind Israelis, beide 27 Jahre alt. Sie sind Freunde seit Kindertagen, sind nach ihrem obligatorischen dreijährigen Armeedienst gemeinsam durch die Welt gereist - und haben dann eine Modefirma gegründet, die für sie zur Mission geworden ist. "Wir wollen den Leuten zeigen, dass es möglich ist zusammenzuleben", sagt Amit Luzon.

Adish macht Mode für den Frieden - in einer Zeit und in einer Region, in der Frieden ziemlich aus der Mode gekommen ist.

Im Hebräischen bedeutet Adish so viel wie "apathisch". "Das musst du sein, wenn du da lebst, wo wir leben, sonst kannst du die ganzen Krisen und Konflikte nicht aushalten", meint Amit Luzon. Und er erzählt von einem Aufenthalt in London, wo es ein Attentat gegeben habe und sofort zur Vorsicht alle Läden geschlossen wurden. "Bei uns in Israel kriegt man einen Anschlag oft gar nicht mehr mit, das Leben geht einfach weiter."

Palästinensische Textilkunst? Gab es nur im Museum

Apathie also einerseits als Überlebensstrategie, als Bollwerk gegen den alltäglichen Wahnsinn. "Doch eigentlich geht es uns genau um das Gegenteil", erklärt Amit Luzon. "Wir wollen etwas verändern, weil man so nicht leben kann. Die Israelis glauben, alle Palästinenser sind Terroristen. Und die Palästinenser denken, alle Israelis sind Soldaten. Das wollen wir durchbrechen."

Adish

Die Gründer Amit Luzon (re.) und Eyal Eliyahu.

(Foto: Alon Daniel)

Angefangen hat die Veränderung bei ihnen selbst. Die beiden gehören zu einer Generation, die praktisch keinen Austausch mehr hat mit den Menschen in den benachbarten Palästinensergebieten. Ein Grund dafür ist die Zweite Intifada, bei der Israels Bürger in den Jahren 2000 bis 2005 von palästinensischen Selbstmordattentätern terrorisiert wurden. Seither trennen hohe Mauern Israelis und Palästinenser. "Eyal und ich waren niemals dort, nicht mal in unserem Armeedienst", sagt Amit Luzon.

Die traditionellen palästinensischen Stickereien, die es ihnen schon lange angetan hatten, kannten sie daher nur aus Museen und Büchern. Ein Freund der Familie Luzon half ihnen dabei, Kontakte zu Herstellern zu knüpfen. Der Bekannte engagiert sich in einer israelisch-palästinensischen Versöhnungsgruppe namens "Elternkreis", bei dem sich Familien beider Seiten zusammengetan haben, die ein Mitglied in diesem ewigen Konflikt verloren haben. Man trifft sich in der Trauer, die Gemeinsamkeit liegt im Verlust, doch am Ende entsteht auch Vertrauen.

Ein Trip ins Westjordanland öffnet ihnen die Augen

Im Elternkreis gab es ein Projekt, das palästinensische Frauen fördern und ihnen bescheidene Verdienstmöglichkeiten eröffnen wollte. Zu diesen Frauen im Westjordanland in der Nähe von Bethlehem nahm der Freund die beiden mit. "Diese Fahrt hat vieles verändert und uns die Augen geöffnet", sagt Amit Luzon. Sie haben die Checkpoints der israelischen Armee gesehen, an denen Soldaten im besetzten Palästinenserland Wache stehen. Und sie haben die palästinensischen Frauen getroffen, die ihnen von ihrem Alltag berichteten, von der Besatzung und all den anderen Schwierigkeiten. "Da ist uns eines klar geworden", sagt Amit Luzon. "Wenn wir mit ihnen arbeiten wollen, können wir nicht nur ihre Stickereien zeigen, sondern müssen auch ihre Geschichte erzählen."

2017 fand diese erste Fahrt ins Westjordanland statt. Danach folgte ein "Jahr des Lernens", wie Amit Luzon es nennt. "Wir wussten nun, was wir wollten. Aber wir wussten nicht, wie man es herstellt oder verkauft." Keiner der beiden hat eine Ausbildung im Modebereich, aber beide stammen aus Unternehmerfamilien mit vielfältigen Kontakten. Startkapital war vorhanden, sie tourten durch Boutiquen. Und 2018 wurde ihr Label "Adish" dann offiziell vorgestellt - im hippen "Voo Store" in Kreuzberg.

Der Shop, sagt Amit Luzon, "ist das Mode-Mekka in Berlin. Und sie haben uns eine tolle Gelegenheit gegeben, dort einen Event zu machen." Die neue Streetwear aus Nahost wurde in dem Laden an der Oranienstraße präsentiert wie in einem orientalischen Markt. Ein DJ aus Tel Aviv sorgte für die Musik, es gab Drinks aus Israel. "Alles hat in Berlin angefangen. Und dann ging es richtig los", sagt Amit Luzon.

Auf jedem Etikett steht der Name der Stickerin

Mittlerweile arbeiten 60 palästinensische Frauen für Adish, manche ständig, manche auf Anfrage. Sie verdienen damit Geld für ihre Familien, und Amit Luzon betont, dass die Palästinenserinnen "keine Billigarbeitskräfte" seien. "Sie nennen uns die aufgewendete Zeit und den Preis für ihre Arbeit, und wir fangen dann nicht an zu verhandeln." Bestickt werden T-Shirts und Kapuzenpullover, Jacken oder Hosen. Auf jedem Etikett steht in arabischer Schrift der Name der palästinensischen Stickerin. Die Herkunftsbezeichnung: "Made in the Palestinian Territories".

Das klingt nach einer Win-win-Situation für alle Beteiligten. Doch wer in diesem Konflikt die festgezurrten Fronten überschreitet, macht sich auch schnell angreifbar. Auf israelischer Seite gibt es ab und an ein paar fiese Kommentare auf Instagram. Auf palästinensischer Seite gibt es Druck von denen, die unter dem Schlagwort "No Normalisation" jegliche Kontakte nach Israel ablehnen. Den Druck spürt auch der palästinensische Partner von Adish, der alle Arbeiten im Westjordanland koordiniert. Er war zu keinem Gespräch mit der SZ bereit und möchte auch seinen Namen nicht in der Zeitung sehen. "Er will gerade möglichst wenig auffallen", erklärt Amit Luzon.

Neben den palästinensischen Stickereien und gewebten Stoffen entwickeln die Adish-Gründer inzwischen auch mit Textilkunst aus anderen Teilen der Welt Ideen für ihre Streetwear. Zum Beispiel mit besonders geschöpftem Papier aus Japan oder Drucken aus Indien. Die ersten Proben lagern bereits in den Schatzkisten aus Plexiglas.

"Den Kern unserer Kollektionen werden aber weiter die Kombinationen mit palästinensischen Arbeiten bilden", kündigt Amit Luzon an. Die Mission ist noch nicht beendet. "Wenn mehr Leute und mehr Firmen auf beiden Seiten kooperieren, dann würde vieles leichter hier", glaubt er. Schließlich sei die Region klein, und die Möglichkeiten seien groß. "Am Ende", so sagt er, "müssen wir hier zusammen arbeiten und zusammen leben, Seite an Seite."

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