Europäische Union:Wir oder die

CSU-Politiker Manfred Weber

Manfred Weber, CSU-Vize und Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament, fordert Einigkeit in der Union.

(Foto: Harald Tittel/dpa)

In der konservativen Parteienfamilie EVP wächst der Druck auf die ungarische Fidesz-Partei - und auf die Vertreter von CDU und CSU, die noch mit einem Rauswurf hadern.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament verschärft den Druck auf die Abgeordneten der ungarischen Fidesz-Partei. Am Mittwochabend war in der Fraktionssitzung eine Entscheidung mit 95,7 Prozent Zustimmung angenommen worden, dem Abgeordneten Tamás Deutsch nach einem Gestapo-Vergleich nicht rauszuwerfen, sondern vor allem mit dem Entzug des Rederechts zu bestrafen.

Einen Tag später wurde der Beschluss noch mal klarer und härter formuliert. Fraktionschef Manfred Weber, dem die Beleidigung des Vertrauten von Ministerpräsident Viktor Orbán gegolten hatte, sicherte schriftlich zu, die Geschäftsordnung der Fraktion so zu ändern, dass künftig eine ganze Delegation ausgeschlossen werden kann. Zudem stellte der CSU-Politiker klar, dass über den Antrag des Österreichers Othmar Karas, Deutsch auszuschließen, spätestens im Februar entschieden werde, wenn zuvor das Parteigremium keine Entscheidung über die Zukunft des Fidesz trifft. Dessen Mitgliedschaft in der EVP ist seit März 2019 suspendiert; der eigentlich viel mächtigeren Fraktion gehören seine Vertreter weiter an.

Der Luxemburger Christophe Hansen sieht keinen Platz für Fidesz in der EVP

Deutsch sei damit ein "Politiker auf Bewährung", sagt Karas. Dies ist ein substanzieller Fortschritt, den wir jetzt erreicht haben", sagt Christophe Hansen. Er leitet die Delegation der luxemburgischen Christdemokraten und hatte schon im April mit 13 anderen nationalen Delegationen genau diese Möglichkeit gefordert. Hansen sieht seit langem keinen Platz mehr für Fidesz in der EVP, deren Politik des Abbaus von Rechtsstaats und Pressefreiheit sowie der Verbreitung von Verschwörungstheorien die eigene Glaubwürdigkeit untergrabe.

"Ich bin überzeugt, dass wir die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit für einen Ausschluss von Deutsch gehabt hätten", sagt Hansen im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Ihn hat der Gestapo-Vergleich persönlich getroffen, da sein eigener Großvater und Onkel in ein Konzentrationslager gesteckt wurden, nachdem sie Deserteure geholfen hatten. Ohne Deutsch und die elf anderen Fidesz-Abgeordneten bliebe die EVP-Fraktion die größte im EU-Parlament, aber ihre Kohärenz und Glaubwürdigkeit würde gestärkt, argumentiert Hansen. Das ewige Aufschieben einer Entscheidung und Suche nach Ausreden muss ein Ende haben, fordert er.

Die Verantwortlichen für die letzte Verschiebung sind vor allem in Berlin zu finden, in der Parteizentrale der CDU sowie im Bundeskanzleramt. Dort wollte man Orbán nicht verärgern, weil befürchtet wird, dass Ungarns Parlament sonst nicht zustimmen würde, dass für den 750 Milliarden Euro umfassenden Corona-Hilfsfonds die Obergrenze der Schuldenaufnahme der EU erhöht wird.

Wie groß der Frust ist, weiß man auch in Berlin

Dass in einer geheimen Abstimmung auch viele Abgeordnete aus Deutschland, Spanien oder Frankreich für den Ausschluss Deutschs votiert hätten, wurde Hansen in WhatsApp-Nachrichten versichert. Wie groß der Frust über Orbán und dessen Erpresser-Verhalten in der EVP ist, weiß man auch in Berlin, so dass eine andere Lösung gefunden werden musste. Vor der Fraktionssitzung wurde eine Erklärung präsentiert, deren Wortlaut nach Vermutung vieler zwischen Berlin und Budapest abgestimmt worden war.

Darin wurden die Worte von Tamás Deutsch "stark verurteilt" und als Widerspruch zu den Werten der EVP bezeichnet. Gleiches gelte für Fidesz' häufige Attacken auf die EU. Im Dokument wird der Rechtsstaatsmechanismus zum Schutz des EU-Budgets, den Orbán durch eine wochenlange Blockade der Corona-Hilfen verhindert wolle, als "historische Einigung, auf die wir stolz sein sollten", gewürdigt. Die Fidesz-Delegation wird aufgefordert, sich zu überlegen, ob "ihre grundlegenden politischen Überzeugungen" noch zur EVP passen.

Während der virtuellen Fraktionssitzung, die mehr als drei Stunden dauerte und ausnahmsweise ohne Mitarbeiter stattfand, wurde nicht nur erhitzt debattiert, es entstand auch große Verwirrung, worüber abgestimmt werde. Othmar Karas und andere forderten einige Ergänzungen, im Gruppen-Chat sicherte Webers Stellvertreter zu, dass diese eingearbeitet würden - doch am Mittwochabend wurde nach Ende der Sitzung die ursprüngliche Fassung per Pressemitteilung publiziert.

Sein Telefon sei "fast explodiert", sagt ein Kritiker

Sein Telefon sei noch in der Nacht "fast explodiert", berichtete ein Fidesz-Kritiker später der SZ. Intern drohte ein Finne sogar damit, die EVP-Fraktion zu verlassen, wenn dies nicht klargestellt werde. Die Frage "Wir oder die" bezüglich Fidesz spitzt sich gerade bei den Skandinaviern und den Abgeordneten aus den Benelux-Staaten zu. Am Donnerstag beharrten neben Hansen so viele auf Klärungsbedarf, dass Weber am Nachmittag eine weitere virtuelle Runde einberief und zusicherte, die oben genannten Präzisierungen dem Protokoll beizufügen.

Damit scheint eine gewisse Einigkeit in der EVP-Fraktion wieder hergestellt. Gespannt wird nun beobachtet, ob sich Tamás Deutsch öffentlich für seine Worte entschuldigt, wie es ebenfalls gefordert wird, und Fidesz-Vertreter sich künftig anders verhalten und andere Formulierungen. In seinem üblichen Radio-Interview am Freitagmorgen sagte Viktor Orbán über das Europaparlament, dieses wolle "die Kontrolle der EU den Staats- und Regierungschefs abnehmen", was eine bemerkenswerte Aussage über den Mitgesetzgeber ist.

Zwei andere Fragen dürften neben dem Luxemburger Christophe Hansen noch viele andere EVP-Abgeordnete beschäftigen: Wer tritt Mitte Januar die Nachfolge von Annegret Kramp-Karrenbauer an der Spitze der CDU an? Und wann werden Armin Laschet, Norbert Röttgen und Friedrich Merz endlich die Frage beantworten, wie sie es künftig mit Viktor Orbán halten wollen? 29 der bisher 187 EVP-Abgeordneten kommen von CDU und CSU, weshalb allen Interessierten in Brüssel klar ist, wo die Entscheidung über die Zukunft von Fidesz bei Europas Christdemokraten fällt: In Berlin und München.

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