Kratzers Wortschatz:Ein Professor fühlt sich vom Gendern agaciert

In der Debatte um eine möglichst geschlechtergerechte Sprache wird noch immer Überraschendes aufgeworfen - und breit auf Twitter diskutiert.

Von Hans Kratzer

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Agacieren

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Quelle: AFP

Sogar im Krachmedium Twitter stolpert man manchmal über alte Wörter, die eigentlich schon längst das Zeitliche gesegnet haben. Das erweckt natürlich Staunen in Zeiten, in denen das Englische, allerlei Slangs und das deutsch klingen sollende TV-Genuschel die Alltagssprache prägen. ORF-Moderator Armin Wolf machte sich also auf Twitter über den Philosophie-Professor Konrad Paul Liessmann lustig, weil der die gendergerechte Sprache in der Nachrichtensendung Zeit im Bild als unangenehm und anbiedernd gescholten hatte. Wie es bei Twitter der Brauch ist, flogen sofort ätzende Tweets hin und her.

In diesem Geplänkel ergriff Teilnehmerin Irmgard B. Partei für Wolf. Sie hob hervor, er spreche die Genderformen schon sehr flott und elegant aus. Weiter schrieb sie, Sprache wandle sich eben, das sei immer so gewesen. Wörtlich fuhr sie fort: "Erstaunlich, dass sich Liessmann dadurch agaciert fühlt." Das Wort agaciert, das erkennbar aus dem Französischen entlehnt ist, klingt sehr nobel. Die Stammform agacer bedeutet reizen und necken, aber auch verstimmen und in Nervosität versetzen, wie im Wörterbuch der Brüder Grimm zu lesen ist.

Tatsächlich war agacieren (agassieren) einst im gehobenen Münchner Stadtdialekt zu hören. Heute ist das wohl nur noch in Österreich der Fall. Große Autoren verewigten das Verb, etwa Hugo von Hofmannsthal und Karl Kraus. Franz Werfel schrieb: "Mon cher! Warum beleidigen und agacieren Sie ihren Vater durch andauernde Nichtachtung und Nichtbeachtung?"

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Scherhaufen

Maulwürfe baggern sich durch Schlosspark Nymphenburg

Quelle: Annette Reuther/dpa

Neulich war in der SZ zu lesen, dass im Park von Schloss Nymphenburg unzählige Maulwurfshügel die barocke Gartenanlage übersäen. Die Maulwürfe können sich in diesem Habitat natürlich wunderbar ausbreiten, was für die Natur aber gar nicht schlecht ist. Denn ihre Grabungen nutzen den Pflanzen, die Maulwürfe lockern damit den Boden auf. Maulwurfshügel ist ein schönes Wort, aber trotzdem hält sich auf dem Land nach wie vor das bairische Pendant Scherhaufen (Scherhauffa). Der Maulwurf heißt hier Scher und Schermaus. Diese Begriffe scheinen schon im Mittelhochdeutschen auf (scher, schermus). Der Dialektologe Ludwig Zehetner führt das Wort auf scheren (schneiden) zurück, da der Scher die Erde durchschneidet. Das Etymologische Wörterbuch von Kluge ist da zurückhaltender, da der Scher ja nicht in erster Linie schneide. Umso lockerer klingt der vom Autor Josef Fendl dokumentierte Spruch: "Wer einen Ausschlag im Gesicht hat, der hat es voller Scherhaufen." In der Oberpfalz gibt es überdies das Wort Aswirflhaffa. Die Musikkabarettisten "Die Original Bauernsfünfer" haben sogar eines ihrer Lieder so benannt.

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gstreckterlängs

Sturz beim Rodeln

Quelle: dpa

Johann Rader schrieb uns, ihm sei ein Wort eingefallen, das er seit seiner Kindheit nicht mehr gehört habe: gstreckterlängs (gesprochen: gschtreckerlängs). In einem Interview mit der SZ sagte Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler vor Kurzem, er sei eben vorhin gestolpert und wäre fast gstreckterlängs hingefallen. Im Standarddeutschen hieße das: gestreckt der Länge nach. Er hätte also keine Zeit mehr gefunden, um sich mithilfe von Knien und Händen abzufedern. Oskar Maria Graf umschrieb jenes Malheur in seinem Roman "Das Leben meiner Mutter" so: ...die stolperte und fiel in gestreckter Länge hin."

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Lamplschwoaf

FIS World Ski Championships - Women's Slalom

Quelle: Getty Images

Am Samstag hat die österreichische Skirennläuferin Katharina Liensberger bei der Ski-WM in Cortina d'Ampezzo den Sieg im Slalom errungen. Das Finale war spannend und strapazierte hörbar die Nerven der Kommentatoren Ernst Hausleitner und Thomas Sykora, die im Österreichischen Fernsehen (ORF) live berichteten. Als Liensberger durch den Stangenwald rauschte, platzte aus einem von ihnen, es war wohl Sykora, der Satz heraus: "Mi reißts rum wia an Lamplschwoaf!" Diese bildhaften Worte stellten alle weiteren Begriffe aus dem ORF-Wortbaukasten (Sensation, Wahnsinn, unfassbar, mir geht da Text aus ...) weit in den Schatten.

In dem Wort Lamplschwoaf steckt das Lampl (Lamperl, Lambbe). Das ist ein Lamm, also ein Tier voller Unschuld und Milde. Sein Charakter wird manchmal auf fügsame Menschen übertragen, diese gelten auch als Lampl. Der Spruch "Einmal wird auch 's Lampl wild" bedeutet: Manchmal gerät auch der Geduldigste in Rage. Im alten Wörterbuch von Josef Ilmberger wird zudem das Verb lampeln erwähnt. Das Partizip Perfekt heißt glampelt (glambbed). Der Himmel ist glampelt, wenn er mit weißen Lämmleinwolken bedeckt ist. Der Schwoaf wiederum ist der Schweif. Noch bekannter ist der Begriff Oachkatzlschwoaf, der scherzhaft dazu dient, Zuagroaste einem Basis-Sprachtest zu unterziehen.

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Mistmatz

Portrait of Maria Dolores Elisa Gilbert

Quelle: DeAgostini/Getty Images

In der ZDF-Serie "Rosenheim Cops" hat der von Dieter Fischer gespielte Kommissar Stadler neulich ein grobes Schimpfwort verwendet. Nachdem er bemerkt hatte, dass am Scheibenwischer seines Wagens ein Strafzettel festgeklemmt war, schimpfte er: "So eine Mistmatz!" Er meinte damit wohl die Parkwächterin. Die Matz gilt als Klassiker im bayerischen Schimpfwörterkanon. Als die CSU-Rebellin Gabriele Pauli anno 2007 im Münchner Löwenbräukeller groß herumtönte, pulverte ein Stammtischgast: "Is des a freche Matz!" Ursprünglich wurde eine läufige Hündin als Matz bezeichnet, auch auf Dirnen und Huren war dieses Wort gemünzt. Dann übertrug man es auf böse Frauen. Heute als Matz bezeichnet zu werden, ist eine handfeste Beleidigung, die durch Komposita wie Dreckmatz, Schintermatz oder eben Mistmatz noch an Gehalt gewinnt.

Die Dame Lola Montez, die in diesen Tagen 200 Jahre alt geworden wäre, erfährt in den aktuellen Würdigungen reichlich Bewunderung, auch in der SZ wurde sie als "modernste Frau des 19. Jahrhunderts" gelobt. Und doch erfüllte sie zumindest in ihrer Münchner Zeit alle Kriterien, um als Mistmatz durchzugehen. Dass sie sich in Bayern aufführte wie eine Wilde, hebt weniger ihre frauliche Modernität hervor als vielmehr die blamable Schwerenöterei von König Ludwig I., die ihn zu Lolas wehrlosem Kasperl machte.

Etliche Leser haben nun darauf hingewiesen, dass die Matz doppeldeutig ist. Dass dieser Begriff also nicht nur eine beleidigende Herabsetzung ausdrückt, sondern auch anerkennend gemeint sein kann, und das gilt für Männer wie für Frauen. Ein gewiefter, raffinierter Mensch wird gerne mit dem Kompliment Matz bedacht. Es heißt dann: "A Matz is's scho" und "A Matz is er scho." Das ist ähnlich zu verstehen wie: "A Hund is er scho." In einem Interview mit der SZ sagte Wiesnwirt Wiggerl Hagn vor etlichen Jahren stolz über seinen Enkel: "Der Lukas, der ist so eine verrückte Matz wie ich."

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Gungl

Demonstration gegen Maschkera-Verbot

Quelle: dpa

Wie den Lokalblättern zu entnehmen war, hat es den Maschkera im Werdenfelser Land schwer gestunken, dass sie wegen der Coronakrise nicht zum Gungln gehen durften. Was aber versteht man unter dem Wort Gungl? Peter Wimmer aus Mittenwald verwies in einem Leserbrief auf Schmellers altes Wörterbuch, wo unter Gunkel die Bedeutung Spinnstube zu finden ist, also die Zusammenkunft an Winterabenden, um zu spinnen und zu plaudern. In der Fasnachtszeit kamen auch Männer zu diesen Treffen, und zwar als Maschkera. Im 19. Jahrhundert verlagerten sich diese Fasnachtsgungln in die Wirtshäuser. Wimmer scheibt: "Man geht zum Maschkeragehen hinaus und zum Gungln hinein." Gunglabende wurden auch früher schon verboten, "aus Sorge um die Sittlichkeit, heute aus Sorge um die Gesundheit", wie Wimmer resümiert.

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fieseln

Gänsebraten

Quelle: dpa

Das bildkräftige Verb fieseln leidet ebenfalls unter der Coronakrise. Da zurzeit keine Volksfeste, keine Fahnenweihen und keine Vereinsjubiläen gefeiert werden, gibt es auch nichts mehr zu fieseln oder abzufieseln, keinen Gickerl, keine Gans, keine Ripperl. Fieseln ist eine naturgegebene Esstechnik aus Zeiten, in denen es noch rustikal herging und der Trend zur gesunden Ernährung noch nicht so ausgeprägt war wie heute.

Das belegt auch die soeben im Bayerischen Fernsehen wiederholte Serie "Der Millionenbauer". In der letzten Folge (Der Schmuh) sitzt die Familie Hartinger in einem Wirtshaus, es gibt Gans und Ente. Und alle greifen mit den Fingern nach den fettigen Haxerln. Rosa Hartinger (Veronika Fitz) sagt zufrieden zu ihrem Enkel: "Wir fieseln, gell Beppi!" Ihren Mann (Walter Sedlmayr) fragt sie sodann: "Warum isstn dein Fleisch ned auf? Daheim fieselst doch auch!" Die Tochter (Monika Baumgartner) wirft ein: "Fieseln is bei da Gans erlaubt, Babba!" Fieseln heißt: das Fleisch von den Knochen abnagen. Wenn die Finger fettig sind, ist dem Genuss keine Grenze mehr gesetzt. Fieseln heißt aber auch, etwas genau zu nehmen. Eine Fieselarbeit verlangt penible Exaktheit, leider ist sie aber meistens wenig einträglich.

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Bifflamott

Böfflamott und Renken-Sushi - Die bayerische Küche ist wandelbar

Quelle: dpa

Die französische Küche hat in Bayern viele Spuren hinterlassen. Das Böfflamott dürfte beispielsweise ein Gericht aus der Napoleonzeit sein, es wird heute noch serviert. Das Wort Böfflamott ist hergeleitet vom französischen bœuf à la mode (Rindfleisch nach der Mode). Oft wird dafür ein Stück Rindfleisch in eine Rotweinbeize eingelegt, scharf angebraten und einige Stunden im Kochtopf geschmort. Dazu werden Spätzle oder Semmelknödel gereicht. Im Bairischen ist statt Böfflamott auch Bifflamott zu hören. In der Serie "Monaco Franze" sagt Erni Singerl als grantelnde Haushälterin Irmgard durchgehend Bifflamott.

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hasardieren

Alpine Skiing - Men's Slalom

Quelle: REUTERS

Der Nachtslalom im österreichischen Skiort Schladming ist alljährlich ein Höhepunkt im alpinen Weltcup-Zirkus. Dort sorgen aber nicht nur die Skifahrer für Kurzweil, sondern auch die Moderatoren des Bayerischen Fernsehens. Bernd Schmelzer und der frühere österreichische Slalomstar Rainer Schönfelder lieben es, das TV-Publikum während der Liveübertragung mit lockeren Sprüchen bei Laune zu halten. Diesmal wurde Schönfelder wegen der allzu riskanten Fahrten seiner Landsleute Michael Matt und Manuel Feller nervös. "Er hat schwer hasardiert jetzt", klagte er, nachdem Matt eingefädelt hatte. Slalomkollegin Michaela Kirchgasser hatte schon vor Jahren, nachdem sie einen Stockerlplatz ergattert hatte, allen Slalomfahrern geraten: "Nicht sinnlos hasardieren, sondern cool attackieren." Ein Skifahrer, der hasardiert, geht ein unnötiges Risiko ein und setzt dabei alles aufs Spiel. Bekannt ist das Hasardspiel, ein gewagtes Spiel oder Unternehmen. Das Wort ist entlehnt aus dem Französischen, wo jeu de hasard eine Art Würfelspiel benennt. Auch das Arabische schwingt mit, denn die Würfel zum Spielen heißen dort az-zahr.

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zrapft

Biden sworn in at US Capitol

Quelle: AFP

Leserin K. hat uns geschrieben, sie sei einigermaßen entsetzt gewesen, als sie die Amtseinführung des US-Präsidenten Joe Biden verfolgte. Da war zum einen der stilbildend am Rande sitzende Politiker Bernie Sanders, der mit seinen riesigen Wollhandschuhen zum gefeierten Hit im Netz wurde. Seine kreuz und quer liegenden Resthaare wurden weniger beachtet, umso mehr aber die Frisur der Präsidentengattin Jill Biden, die nicht zuletzt vom Januarwind gestylt wurde. Wobei man anmerken muss, dass Frau Biden von Haus aus zur wilden Mähne neigt. Als sie diese Haare sah, schreibt Leserin K., sei ihr das Wörterl zrapft (zrafft, zerrauft) eingefallen. Ihre Großmutter hätte dazu gesagt: "Is des a Frisur oder a Wiedhaufa?"

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Stoderer

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Quelle: Christian Endt, Fotografie & Lic

Das Verhältnis von Landmensch und Stadtmensch ist wegen der ausufernden Mobilität komplizierter denn je. Es erinnert an die Koexistenz von Hund und Katz. Beim Stoderer, der zum Schimpfwort mutiert ist, handelt es sich um die mundartliche Form des Städters. Das weibliche Pendant lautet Stoderin, seit jeher schwingt bei diesen Begriffen etwas leicht Abfälliges mit.

Beide Bevölkerungsgruppen sind voneinander abhängig, mag man auch gegeneinander sticheln. Schnell hat das Alpenvolk im 19. Jahrhundert gemerkt, dass es mit den Stoderern gutes Geld verdienen kann, wenn es ihnen eine mit reichlich Seppltum garnierte Landidylle vorgaukelt. Die Stoderer genossen dieses Schauspiel sehr, ihre Gastgeber hielten sie trotzdem gerne für einfältig. Und doch fand man meistens zueinander.

Die Sängerin Tanja Raith von den Raith-Schwestern ist liiert mit dem Musiker Andi Blaimer. Als sie sich in ihrer ersten Band kennenlernten, waren sie sich noch nicht sympathisch. Tanja sagt, sie habe rotgesehen, wenn sich Blaimer dem Proberaum näherte. Tanja, das brave Deandl vom Land, und Blaimer, der eingebildete Stoderer. Doch letztlich wendete sich die Beziehung zwischen Landpomeranze und Stadtfrack, wie der Stoderer auch genannt wird, zum Positiven.

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hudeln

Vierschanzentournee - Innsbruck

Quelle: dpa

Häufig erweisen sich die Skispringer als Großmeister des lebendigen Ausdrucks. Je mehr sie mit ihren sportlichen Leistungen hadern, desto lebhafter äußern sie ihren Unmut. Regelmäßig bereichert der Sportskamerad Eisenbichler (Eisei) den Wortschatz mit kuriosen Begriffen. Sein Kollege Pius Paschke eiferte ihm nach, nachdem er beim Springen in Bischofshofen viel zu kurz gesprungen war. Als Grund nannte er dem Fernsehreporter: "Do hob i 's Hudeln ogfangt." Statt Ruhe zu bewahren, hat er also gehudelt, er hüpfte hastig und schlampig. Origineller kann man die Not des Skispringers nicht ausdrücken. Das dazugehörige Naturgesetz hat der Kabarettist Keller Steff einmal so beschrieben: "Da Bayer, der hudelt ned, und wenn er hudelt, dann wird des nix!" Wenn jemand erkennbar nervös und fahrig ist, dann ruft man dieser Person zur Beruhigung gerne zu: Nur ned hudeln!

Lange vor der sogenannten Ibiza-Affäre, die ihn zu Fall brachte, verfolgte der damalige österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache den Plan, seine Freundin Philippa Beck zu ehelichen. Diese sagte: "Wir wollen heiraten. Man muss da nicht hudeln." Strache hätte in jeder Hinsicht besser auf sie hören sollen.

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Bamperl

Ski nordisch/Skispringen: Weltcup

Quelle: dpa

Skispringer Markus Eisenbichler, auch Eisei genannt, färbt die fade Rhetorik des Sportfernsehens oft mit originellen Begriffen aus seiner Siegsdorfer Mundart. Während eines ZDF-Interviews schimpfte er einmal einen Mannschaftskollegen, der ihn mit Zurufen nervös gemacht hatte: "Zipfe, gib a Ruah!" Bei der diesjährigen Vierschanzentournee sagte er in Garmisch-Partenkirchen, wo er nicht so weit hüpfte, wie er gehofft hatte: "Die Pamperl da vorne, die Norweger und die Polen, die holen wir schon noch ein." Das Gegenteil war der Fall: Vor allem die Polen flogen ihm davon, und plötzlich war er das Pamperl. Die lustig klingenden Wörter Pamperl und Bamperl drücken eine Verkleinerung aus. Ein Bamperlverein taugt nicht viel, er flößt niemandem Respekt ein. Den FC Bayern einen Bamperlverein zu nennen, würde beim Ex-Boss Uli Hoeness einen Wutanfall auslösen. Klar ist auch: Eisei und Kollegen springen nicht gerade von Bamperlschanzen in die Tiefe. Auf die Reporterfrage, ob er denn auf der Schanze keine Angst verspüre, sagte der Eisei einmal: "Da hast extremen Respekt, weilsd woast, wos passiern ko, wenns de do mal waffelt, des duad richtig weh."

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Parterre

Gericht prüft Wiederaufnahme Sedlmayr-Prozess

Quelle: dpa/dpaweb

Das Bayerische Fernsehen strahlt zurzeit in einer Wiederholung die 30 Jahre alte Erfolgsserie "Der Millionenbauer" aus. Zur Drehzeit gab es noch kein Internet, das Leben war anders getaktet als heute, und in sprachlicher Hinsicht pflegte man noch Feinheiten, denen man nachtrauern darf. Walter Sedlmayr schlüpfte für diese Serie in die Rolle des dickschädligen Dorfbauern Josef Hartinger, der durch den Verkauf seiner Äcker ein Vermögen erzielt, sich aber auch Neid und Missgunst eingehandelt hat.

Der Bauunternehmer und Gemeinderat Buchthaler nimmt ihn nicht ernst und lästert gerne über ihn. In einer Folge (Titel: Viel Feind, viel Ehr) flüsterte er dem smarten Bankdirektor Scheubel zu, Hartinger werde sich als Bürgermeisterkandidat anständig blamieren. Dem skeptisch reagierende Direktor raunte Buchthaler zu: "Hundertprozentig, der is doch schon parterre mit seim Image!" Parterre sein, das ist glänzendes, aber längst vergessenes Salonbairisch. Das Lehnwort aus dem Französischen benennt eigentlich ein Erdgeschoss. Nach dem Pokal-Aus beim Außenseiter Holstein Kiel ist vermutlich auch das sportliche Ansehen des FC Bayern vorübergehend parterre.

In der nämlichen Folge der Millionenbauer-Serie bittet der österreichische Wirt Hochecker in höchst gestelzter Diktion Hartingers Frau Rosa zum Tanz, wobei er ihr mit süßlich angereichertem k.u.k.-Charme andauernd Honig ums Maul schmiert. "Sie sind wunderbar zu führen, gnädige Frau, leicht wie eine Feder", säuselt er ihr ins Ohr. Rosa, dargestellt von Veronika Fitz, reagiert auf die Avancen freundlich, aber bestimmt: "Herr Hochecker, tuns mir einen Gefallen. Redens nicht immer so gschwolln mit mir. Ich bin die Rosa."

Gschwolln reden, diese Gabe zeichnet nicht nur den Lackaffen Hochecker aus. Kandidaten, die diesbezüglich gefährdet sind, werden seit altersher mit dem immer noch populären Bittbefehl eingebremst: "Red ned so gschwolln daher!" Wer gschwolln redet, ist aber nicht zwingend ein Gschwollschädel. Von dem gibt es zwei Sorten: jene mit einer vollen, runden Gesichtsbildung, und jene, die durch Aufgeblasenheit besticht. Gerhard Polt traf einmal einen Typen, der beide Eigenschaften in sich vereinigte: "Und wer hockt im Bauamt drin? A Gschwollschädel."

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Daxn

Frostige Termperaturen im Bayerischen Wal

Quelle: SZ

Kollege S. hat erzählt, er habe kürzlich in einem Gespräch über Tannenzweige das rar gewordene Wort Daxn gehört. Auch seine Großmutter, so erinnerte er sich, habe dieses Wort verwendet, wenn sie Tannenzweige für den Adventskranz gebraucht habe. Daxn wurden auch auf den Ofen oder auf die Heizung gelegt, des guten Dufts wegen. Auch Fichtenzweige werden als Daxn bezeichnet, vor allem wenn man mit ihnen die Beete im Garten abdeckt.

In dem vor gut 60 Jahren erschienenen Wörterbuch von Ilmberger ist zu lesen, das Wort Daxn könnte mit Taxazeen (Koniferen, Nadelhölzer, Taxus=Eibe) zusammenhängen. Auch den Dachs schließt Ilmberger in seine Überlegungen mit ein, verweist aber darauf, dass bei Daxn und Dachs das a unterschiedlich dunkel und hell ausgesprochen wird, was wiederum dagegenspricht. Interessant sind auch die einschlägigen Familiennamen: Daxeder, Daxenberger, Daxenbichler, Daxwanger... Der Dichter Harald Grill ist einer der wenigen, der das Wort literarisch am Leben erhält. Vor allem Kinder konfrontiert er in seinen Lesungen gerne mit wunderlichen Wörtern wie gackerlgelb, überzwerch und Daxn, die in der Schriftsprache einsam im Abseits stehen.

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Mettn

Klosterkirche Mariä Himmelfahrt in Indersdorf, 2015

Quelle: DAH

Die nächtlichen Christmetten müssen in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie vorverlegt werden. Im Bairischen heißt die Christmette kurz und bündig Mettn (das "e" wird hell gesprochen, wie bei Schnee). Das Wort Mette wurzelt im lateinischen hora matutina (der Morgen). Daraus wurde im Althochdeutschen mattina und im Mittelhochdeutschen mettine. In Bayern hat Mettn noch eine weitere Bedeutung. "Der Begriff des Lärmens ist mit dem der Mettn so sehr verschwistert geblieben, dass dieses Wort in den meisten Fällen schlechthin statt Getöse, Gepolter, Geschrey gebraucht wird", schreibt schon Schmeller in seinem berühmten Wörterbuch (1827-35).

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Bläschl-Hodan

Coronavirus - Großbritannien

Quelle: dpa

Der Grafenauer Anzeiger hat in einem Wettbewerb ein Mundartwort für den Corona-bedingten Mund- und Nasen-Schutz gesucht. 200 eingereichte Vorschläge belegen, wie attraktiv und variabel sich im Dialekt alte und neue Wörter kombinieren lassen. Zu den prämierten Begriffen zählt unter anderem der Bläschl-Hodan. Interessant ist, dass die Zeitung den Bläschl vom althochdeutschen blatecha (Blattgewächs, Sauerampfer) ableitete. Diese Blätter wurden einst zum Einwickeln von Butter und Schmalz verwendet. Treffender scheint hier allerdings der Bläschl in der Bedeutung Zunge zu sein ("Er hat mir doch glatt den Bläschl rausgestreckt!"). Es wäre also der Hodan (Hadern, Tuch) vor der Zunge.

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gschlamperts Verhältnis

Das ´Tatort"-Jahr 2021

Quelle: dpa

Seit 30 Jahren bekämpfen die TV-"Tatort"-Kommissare Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) das Böse. In der BR-Sendung "Ringlstetter" erzählten sie, dieser lange Einsatz sei nicht geplant gewesen. "Wir wollten uns damals nicht festlegen", sagten sie, der Sender drängte vergebens auf Planungssicherheit. "Sowohl der BR als auch wir könnten jederzeit sagen: Schluss! Es ist also a gschlamperts Verhältnis", sagte Wachtveitl.

Gschlamperte Verhältnisse sind in Bayern seit jeher beliebt, auch wenn die Morallehre beständig Widerstand leistete, vor allem wenn es sich um ungeregelte Paarbeziehungen handelte. Die Pfarrer benzten dann so lange, bis endlich geheiratet wurde. Sogar der ehrengeachtete Sprachforscher Johann Andreas Schmeller (1785-1852) pflegte ewig ein gschlampertes Verhältnis mit der Witwe Juliane Auer, die er erst heiratete, als die gemeinsame Tochter Emma schon erwachsen war. Damals war das ein gesellschaftlicher Skandal. Gschlampert heißt schlampig, nachlässig, liederlich. Gschlampert macht wampert! So drückt das ein alter Volksspruch aus.

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Waxlaber

Stechpalme ist der ´Baum des Jahres 2021"

Quelle: Christophe Gateau/dpa

Neulich war in der SZ zu lesen, die Europäische Stechpalme (Ilex aquifolium) sei zum Baum des Jahres 2021 gekürt worden. Man erkennt sie gut an ihrem dunkelgrünen, glänzenden Laub und ihren kräftig roten Früchten. Im Alpenvorland, am Tegernsee und im Ammertal, wachsen heimische Stechpalmen, die unter strengem Schutz stehen. Im Artikel wurde darauf hingewiesen, dass die Pflanze in Norddeutschland auch "Hülse" genannt wird.

Reinhard Wittmann hat diesbezüglich moniert, es hätte sich eigentlich angeboten, auch den hiesigen Namen zu erwähnen - der waxe Laber (Lorbeer), wie die Stechpalme im Oberland heißt. Der Waxlaber ziere Bauerngärten, diene als Schmuck für Grabstätten, Herrgottswinkel und bei Umgängen, auch den Palmbuschen werde er beigemengt. Das Adjektiv wax bedeutet in Altbayern spitz, scharf, scharfkantig. Wenn man zum Beispiel barfuß auf einem steinigen Weg oder auf Stoppeln geht, dann ist es dort wax. Auch Menschen können wax sein, jene Spezies also, die hantig und widerborstig auftritt. US-Präsident Trump ist das Paradebeispiel eines waxen Menschen, "er ist ein waxer Deife", sagt man auf dem Land.

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Diridari

D-Mark

Quelle: dpa

Das alte Wort Diridari ist in Prien am Chiemsee zurzeit sehr lebendig. "Priener Diridari" heißt ein neu eingeführter Gutschein, der dem örtlichen Handel durch die Corona-Zeit helfen soll. In Bayern galt der Sammelname Diridari früher für den Silberkreuzer, die Goldmark und die D-Mark. Der Begriff verknüpft Pragmatismus mit sprachlichem Wohlklang. Natürlich klingt Diridari auch ein bisserl nach Leichtsinn und Pleitebank.

Vorausschauend präsentierten Gerhard Polt, Dieter Hildebrandt und die Biermösl Blosn im Jahr 1988 an den Münchner Kammerspielen ein Programm namens "Diridari". Dort hieß es: "Diridari, das klingt wie Larifari." Das Magazin Der Spiegel urteilte einst über das Verhältnis der Bayern zum Geld: "Der Diridari, wie der bayrische Mensch, Daumen und Zeigefinger aneinander reibend, das Geld gerne nennt, gilt da als bevorzugter Maßstab der Hochachtung."

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Gschwollschädel

Patronatstag der bayerischen Gebirgsschützen

Quelle: Fotos: Harry Wolfsbauer/Angelika Warmuth, dpa

Ein junger SZ-Kollege trug neulich an uns heran, er habe ein beeindruckendes bairisches Wort gehört. Und zwar von einem Mann, der herzhaft über "Gschwuischädl" geschimpft hatte und damit, so der Kollege, wohl die "Großkopferten" in der Politik meinte, die es dem Volk ohnehin nie recht machen können. Gerhard Polt hatte diese Spezies früh im Visier: "Und wer hockt im Bauamt drin? A Gschwollschädel", lästert er in einem seiner Stückl.

Der Gschwollschädel ist eine von Bier und Braten aufgeschwemmte Spezies, nimmt sich kreuzwichtig und hat einen Trumm Belli auf, wie man im Bairischen ein Gesicht definiert, das breiter wie hoch ist. Georg Queri beschrieb diesen Typus 1909 in den "weltlichen Gesängen des Egidius Pfanzelter von Polykarpszell". Im Kapitel "Hochzeitsessen" bezeichnet er den Gschwollschädel als Gschwollkopfeten: "Das wirst schon einmal gehört haben, das schöne Sprüchl: dass einer speibt wie ein Hohzethund (Hochzeitshund, Red.) - und wannst es nicht gehört hast, dann bist halt immer unter den Groß- und Gschwollkopfeten und Gwappelten und bist noch nie richtig unter die Leut gekommen..."

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Auszogne

'Cafe Frischhut' in München, 2011

Quelle: Stephan Rumpf

Bei dem Wort Auszogne (Ausgezogene) fällt der Herrenwitzfraktion vermutlich die unter den Maßstäben heutiger Korrektheit anrüchige Geschichte vom Jäger ein, der einem in einem Waldsee badenden Mädchen zurief, dort sei das Baden verboten. Warum er ihr das nicht vorher gesagt habe, wollte sie wissen, daraufhin er: "Das Ausziehen ist ja nicht verboten!"

Zum Glück gibt es auch sittlich akzeptierte Auszogne. Zum Beispiel ein Traditionsgebäck, das gerne zum Kirchweihfest dargereicht wird. Es handelt sich um goldbraun herausgebackene Küchel (Kiache) aus Hefeteig, die durch das Ausziehen (Auseinanderziehen) des Teigs innen dünn und außen wulstig werden. Die Franken sagen auch Knieküchle dazu, weil die Bäuerinnen den Teig angeblich über dem Knie so ausgezogen haben, bis er in der Mitte hauchdünn war. Man sollte durch ihn hindurch einen Liebesbrief lesen können. Manche halten die Knieversion für einen Schmarrn. Eine Expertin sagte neulich, das habe man nur jenen Unbedarften erzählt, die auch an die Existenz von Wolpertingern glauben. Denen könne man auch weismachen, dass man Knödel unter der Achsel rollen müsse, damit sie rund werden. Auszogne bestreut man mit Puderzucker, wobei die Franken katholische (Mulde bestreut) und evangelische Küchle (Wulst bestreut) kennen.

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Rossbollnfinger

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Quelle: Alessandra Schellnegger

Wer hätte es für möglich gehalten, dass sogar König Ludwig II. einen Beitrag zu dieser Kolumne beisteuern würde. Im BR-Archiv schlummert ein Film aus dem Jahr 1964, in dem der damals 98-jährige Fritz Schwegler über seine Dienstzeit beim König erzählte. Einmal habe er ihm Forellen serviert. Die Tür habe beim Reintragen aber gegen die Platte geschlagen, die Fische verdrehten sich. "De ham an Schwanz hintnaus glegt", sagte Schwegler. Also wendete er sie wieder um. Der König klagte: "Du mit deine Rossbollnfinger, da mag ich keine Forellen."

Er spielte darauf an, dass Schwegler als Vorreiter auch mit Pferden zu tun hatte, was man vermutlich roch. Immerhin belegt das Wort Rossbollnfinger, dass sich der König bildmächtig im Dialekt ausdrücken konnte. Rossbollen sind Pferdeäpfel. In die Rossbollen hineinzufallen oder mit ihnen Gegner zu bewerfen, gefiel früher jedem Kind. Dem König missfielen die Rossbollnfinger natürlich schon.

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Gnackfettige

Blasmusiker in München, 2010

Quelle: Alessandra Schellnegger

Leser Emil Steinbach hat in alten Ausgaben seines Heimatblatts, des Neumarkter Anzeigers, geblättert und dort ein sehr schönes Wort entdeckt. Aufgeschrieben hat es der damalige Lokalredakteur Hermann Döring, ein virtuoser Wortkünstler, der im Oktober 1920 über die ersten Fußballspiele des Neumarkter Turnvereins berichtete. Bei einem Freundschaftsspiel der Neumarkter konnte man schon den nahenden Schnee riechen. Döring beschrieb die Szenerie überaus bildhaft: "Obwohl der Wind grimmig kalt über das Spielfeld hinwegblies, sodass es sogar einigen Gnackfettigen zu bunt wurde, ging doch der Kampf vonstatten." Gnackfettige - auf so ein Wort muss man erst einmal kommen. Es trifft aber voll ins Schwarze, denn die Gnackfettigkeit galt ja gerade in Bayern lange Zeit als Sinnbild für materielles Wohlergehen und behagliche Ernährungsgewohnheiten. Man hat beim Lesen förmlich das Bild vor Augen, wie es den gwamperten Männern die Genickschwarten über die Krägen ihrer Wintermäntel hinausbaazt, wodurch das Drehen des Kopfes beim Meinungsaustausch auf dem Turnplatz stark gehemmt wurde.

Das Gnack (Genick) hat in Bayern seit jeher kulturhistorische Bedeutung, was prototypisch beim Staatsmann Franz Josef Strauß zum Ausdruck kam, der vor lauter Gnack keinen Hals mehr hatte. Der Autor Josef Fendl beschrieb solche Männer einst sehr treffend: "Sie haben einen Kopf wie ein Prälat und allerweil noch zehn Pfund zuviel Schweinsbratn ums Gnack umi."

© SZ vom 21.12.2020/vewo
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