Urteil im Halle-Prozess:Fanal der Gerechtigkeit

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Lebenslänglich mit Sicherungsverwahrung: Nach der Verkündung des Urteils wird Stephan B. abgeführt. (Foto: dpa)

Es war fast unerträglich, dem Täter im Halle-Prozess zuzuhören - und doch hat die Justiz ihre Aufgabe erfüllt. Wichtig ist das nicht zuletzt für die Angehörigen der Opfer des rechten Terrors.

Kommentar von Annette Ramelsberger

Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019, der Anschlag auf die Synagoge von Halle im Oktober 2019, im Februar 2020 dann der mörderische Überfall auf Shisha-Bars in Hanau: Innerhalb von neun Monaten wurde Deutschland dreimal von rechtem Terror erschüttert. Die Taten haben das Versagen von Polizei und Verfassungsschutz gezeigt, bei den Prozessen gegen die Täter sollte nicht auch noch die Justiz versagen.

Das erste Urteil ist nun gesprochen, es lautet: lebenslänglich plus Sicherungsverwahrung. Das Oberlandesgericht Naumburg verhängte damit die höchste in Deutschland mögliche Strafe gegen den Attentäter von Halle. Erst wenn Stephan B. nicht mehr gefährlich ist, erst wenn er seinen Hass auf Juden, Ausländer und Frauen abgelegt hat, erst dann hat er die Chance, wieder in Freiheit zu kommen.

Vielleicht wird der Attentäter nie bis zu diesem Punkt gelangen - denn die Überzeugung hat sich tief in ihn hineingefressen, dass nicht er, sondern eine herbeifantasierte jüdische Weltverschwörung daran schuld ist, dass er es im Leben zu nichts gebracht hat. Und dass er nur deswegen keine Frau bekommt, weil es zu viel Konkurrenz von Migranten gibt. Der Attentäter ging davon aus, dass ihm als weißem Mann eine Frau zusteht - als wären Frauen das Nutzvieh der Männer.

Den Hass des Angeklagten zu erleben, wirkt wie Gift

Solche Ideen zu hören, ist eine Zumutung. Den Hass des Angeklagten zu erleben, wirkt wie Gift. Selbst die Richterin sagte, sie habe die unerträglichsten Tage ihrer Laufbahn erlebt. Dennoch ist es unumgänglich, das zu ertragen: Man muss erst alles über Tat und Täter wissen, um sie dann bewerten zu können. Und, noch wichtiger: Man kann dem Angeklagten nicht einfach den Mund verbieten.

In jedem Strafprozess steht der Täter im Mittelpunkt, es geht um seine Taten, seine Motive, seine Schuld. Die Strafprozessordnung gibt ihm nicht nur das Recht zu schweigen, sondern auch das Recht, sich vor Gericht zu äußern - und wenn er noch so dumm, aggressiv oder unmenschlich daherredet. Ein Mindestniveau ist nicht vorgeschrieben. Aus den Worten des Angeklagten lassen sich Rückschlüsse ziehen, auch darauf, ob der Täter schuldfähig ist oder nicht. Der Attentäter von Halle ist voll schuldfähig.

Den Auftritt des Angeklagten zu ertragen ist für die Opfer, die Hinterbliebenen, die Davongekommenen eine der schwersten Prüfungen überhaupt. Man sieht das auch im Lübcke-Prozess in Frankfurt, wo die Familie die Angeklagten anfleht, die Wahrheit zu sagen. Vermutlich bekommen sie nur die halbe Wahrheit.

Die Richterin meisterte den juristischen Balanceakt

Gerade im Halle-Prozess hätte viel schiefgehen können, so wie davor so vieles falsch gelaufen war bei der Bewachung der Synagoge, bei der Einschätzung der Gefahr für die jüdische Gemeinde. Das Worst-Case-Szenario: Ein Angeklagter, der sich über Tage in seinem Hass ergeht, der die Opfer beleidigt und dem seine Internet-Gemeinde Beifall klatscht. Dass es nicht so schlimm gekommen ist, ist in erster Linie Richterin Ursula Mertens zu verdanken, die den Angeklagten zunächst aus der Reserve gelockt und dann mit mütterlicher Strenge in die Schranken gewiesen hat. Ein juristischer Balanceakt, eine psychologische Leistung.

Dennoch versuchte sich Stephan B. als Held der Finsternis zu stilisieren. Er provozierte, er zeigte sich demonstrativ den Kameras, er bat darum, seinen vollen Namen zu nennen - er wollte eingehen in die düstere "Hall of Fame" des Terrors. Auch aus diesem Grund nennt die SZ seinen vollen Namen nicht.

Seine eigentliche Kraft entfaltete der Prozess erst durch die Nebenkläger. Sie machten ihn zu einem Fanal des Widerstands gegen Antisemitismus, Fremden- und Frauenhass. Das Verfahren ähnelte darin fast dem Prozess gegen den norwegischen Rechtsterroristen Breivik. Jugendliche kamen da in den Gerichtssaal, gezeichnet von ihren Schusswunden. Sie sahen Breivik ins Gesicht und zeigten die Unbeugsamkeit einer ganzen Nation.

Sie bezeugten den Lebenswillen jüdischer Menschen in Deutschland

Auch vor dem Oberlandesgericht Naumburg boten die Menschen aus der Synagoge und dem danach angegriffenen Döner-Imbiss dem Attentäter die Stirn. Sie bezeugten den Lebenswillen und das Lebensrecht jüdischer Menschen in Deutschland genauso wie den Wunsch von Zuwanderern, hier Heimat zu finden. Für viele, das spürte man, war das unendlich schwer - und dann doch befreiend.

Auch wenn der Attentäter von Halle bei vielen Prozessbeteiligten Widerwillen auslöste, so besteht doch die Hoffnung, dass die Konfrontation den Nebenklägern hilft: Sie haben den Täter auf der Anklagebank gesehen, in Handschellen, er hatte keine Macht mehr über sie. Sie konnten erkennen, dass der Staat diesen Mann zur Verantwortung zieht. Mit dem Urteil ist das nun besiegelt.

Nur vier Monate nach dem Angriff von Halle erschoss ein rechtsradikaler Attentäter in Hanau neun Menschen, die er für Migranten hielt. Dann tötete er sich selbst. Toten aber wird kein Prozess gemacht. Den Angehörigen der Opfer von Hanau bleibt die Wahrheitsfindung wie in Halle verwehrt.

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