Brexit-Deal:Was das Abkommen regelt

Coronavirus - Frankreich

Reisen ja, einwandern - nicht so leicht: Mit der in der EU geltenden Freizügigkeit ist es ab 1. Januar vorbei.

(Foto: dpa)

Der Handelsvertrag mit Großbritannien ist der ehrgeizigste und umfassendste in der Geschichte der EU. Trotzdem wird im Januar vieles anders - und meist schlechter.

Von Björn Finke, Brüssel, und Alexander Mühlauer, London

Es ist vollbracht, ein harter Brexit ist ganz knapp vor dem Ende der Frist am 31. Dezember abgewendet worden. Die EU und Großbritannien haben sich auf ein Handelsabkommen geeinigt. Was wird sich mit diesem Abkommen in den Wirtschaftsbeziehungen ändern, welche neue Regelungen gelten vom 1. Januar an? Eine Übersicht, von Fischfangquoten über Zollpapiere für Lkw-Fahrer bis zu den Regelungen für EU-Bürger in Großbritannien.

Was heißt das Ergebnis für die Fischer?

Fischfang ist wirtschaftlich nahezu unbedeutend. Trotzdem waren Fangquoten in den fischreichen britischen Gewässern der größte Streitpunkt am Ende der Verhandlungen. Bislang dürfen EU-Flotten dort sehr viel fangen, zum Nachteil der britischen Rivalen. Die britische Regierung wollte das unbedingt ändern. Zugleich fürchteten EU-Regierungen wie die französische Proteste ihrer Fischer, wenn es zu große Zugeständnisse gibt. Die Einigung sieht nun vor, dass die EU-Flotten über einen Zeitraum von fünfeinhalb Jahren schrittweise ihre Fänge senken müssen - insgesamt wird der Wert der Fangmenge nach Angaben der EU-Kommission um ein Viertel gekappt. Die Briten hatten zunächst ein Minus von 80 Prozent gefordert, am Ende 35 Prozent.

Kurz vor Ende der fünfeinhalb Jahre werden London und Brüssel neue Verhandlungen über die künftige Aufteilung der Quoten starten. Wollen die Briten dann die EU-Quoten weiter verringern, könne Brüssel zurückschlagen - etwa mit Zöllen auf Fischimporte aus dem Königreich, heißt es in der Kommission.

Was ist mit fairem Wettbewerb?

Einer der kniffligsten Streitpunkte in den monatelangen Verhandlungen war das sogenannte Level Playing Field: Brüssel wollte nur dann zollfreien Zugang zum EU-Markt bieten, wenn London zusagt, seinen Unternehmen in Zukunft keine unfairen Vorteile zu verschaffen, etwa durch Subventionen oder laxere Standards. Der Vertrag verpflichtet nun beide Seiten auf gemeinsame Prinzipien zur Subventionspolitik. Außerdem können Unternehmen, die sich durch Subventionsentscheidungen der britischen Regierung benachteiligt sehen, vor den dortigen Gerichten klagen. Missachtet London die Prinzipien und hat dies negative Folgen für europäische Firmen, kann Brüssel mit Strafzöllen zurückschlagen.

Die Briten garantieren auch, die existierenden Sozial- und Umweltstandards nicht abzusenken. Hebt eine Seite in Zukunft ihre Standards an, ist die andere Seite allerdings nicht verpflichtet nachzuziehen: Dieser Punkt war wichtig für die britische Regierung. Über die Jahre könnten solche Abweichungen aber dazu führen, dass Unternehmen in der EU mit teureren Vorgaben belastet werden als ihre Rivalen im Königreich - oder umgekehrt. Der Vertrag sieht nach Aussagen hoher Kommissionsbeamter vor, dass die benachteiligte Seite mit Strafzöllen oder anderen Maßnahmen reagieren kann, die wieder eine Balance herstellen. Zudem existiert ein Streitschlichtungsmechanismus. Der sieht jedoch keine Rolle für den Europäischen Gerichtshof vor, weil dies für London indiskutabel war.

Wie geht es weiter?

Am ersten Weihnachtstag kommen die 27 EU-Botschafter um 10.30 Uhr in Brüssel zusammen, um den Vertrag zu diskutieren. Alle Regierungen müssen zustimmen; manche werden dafür in den kommenden Tagen das Einverständnis ihres nationalen Parlaments einholen müssen. Normalerweise würde dann die Entscheidung, den Vertrag zu unterschreiben, bei einer Sitzung des EU-Ministerrats fallen, aber wegen Corona und der knappen Zeit soll der Beschluss schriftlich erfolgen, ohne Treffen der Minister. Zugleich werden die Mitgliedstaaten festlegen, dass der Vertrag am 1. Januar provisorisch in Kraft tritt - dies bedeutet: ohne vorheriges Plazet des Europaparlaments. Sobald das Abkommen im Amtsblatt der EU veröffentlicht ist, wird es wirksam.

Was ist mit dem EU-Parlament?

Das EU-Parlament wird sich erst im Januar nachträglich mit dem Vertrag befassen - und könnte ihn theoretisch ablehnen. Ursprünglich war für kommende Woche eine Sondersitzung des Plenums angedacht. Dort hätten die Abgeordneten den Vertrag billigen können. Allerdings wollten sie das nur tun, wenn die Ausschüsse das fertige Abkommen vorher prüfen können. Daher setzten sie den 20. Dezember als Frist für den Vertrag - und diese wurde gebrochen.

Bernd Lange, der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, sagt, die Abgeordneten hätten "schweren Herzens" akzeptiert, dass sie sich nicht vor dem Inkrafttreten mit dem Vertrag befassen können: "Das ist sicherlich eine unbefriedigende Situation, aber wir wollten auch nicht die Verantwortung für eine No-Deal-Situation tragen mit all den Brüchen - wissend, dass es einen Vertrag gibt", erklärt der SPD-Europa-Abgeordnete. Normalerweise brauche das Parlament im Durchschnitt 136 Tage "für eine seriöse Prüfung" eines Handelsabkommens. Die "Verschleppung der Verhandlungen durch die britische Seite" habe eine sorgfältige Beratung unmöglich gemacht.

Was ändert sich bei Bürgerrechten?

EU-Bürger, die bereits im Vereinigten Königreich leben, können noch bis zum 30. Juni einen Aufenthaltsstatus beantragen. Sie haben damit das Recht, weiter in Großbritannien zu wohnen und zu arbeiten. Vom 1. Januar an wird die Einwanderung ins Königreich erschwert - mit der in der EU geltenden Freizügigkeit ist es dann vorbei. EU-Bürger, die sich im Königreich niederlassen wollen, müssen vom neuen Jahr an bestimmte Kriterien erfüllen, um einwandern zu können. So gibt es eine Einkommensschwelle, die vor allem die Zuwanderung von Geringqualifizierten verhindern soll. Zugleich verlieren Britinnen und Briten zum Jahreswechsel das Recht, in allen Staaten der Europäischen Union zu leben und zu arbeiten.

Wieso sind trotz Vertrags Zollbürokratie und -kontrollen nötig?

Das Freihandelsabkommen verhindert, dass beide Seiten gemäß der Regeln der Welthandelsorganisation WTO Zölle einführen müssen. Trotzdem werden Exporteure Zollpapiere ausfüllen müssen - und es wird stichprobenartige Kontrollen geben. Dies liegt daran, dass Großbritannien keine Zollunion mit der EU eingehen, sondern lieber eine eigenständige Handelspolitik betreiben will.

London kann nun selbst Handelsverträge abschließen, die Zölle abschaffen, etwa mit den USA. Dann könnten Waren zollfrei von Amerika ins Königreich verkauft werden. Zwischen den USA und der EU existiert aber kein vergleichbarer Deal. Deswegen muss die EU sicherstellen, dass nicht über den Umweg Großbritannien Waren aus den USA unverzollt in die Europäische Union eingeführt werden. Britische Lastwagenfahrer auf dem Weg in die EU müssen daher Zollpapiere abgeben, in denen aufgeführt ist, was sie geladen haben: nur britische Produkte, die zollfrei sind - oder vielleicht auch US-Produkte, die zollfrei ins Königreich kamen, für die aber die EU Zölle verlangt? Zudem müssen Unternehmen belegen, dass ihre britischen Produkte wirklich britisch genug sind, um von der Zollfreiheit zu profitieren. Nur Waren, bei denen genug Wertschöpfung und Produktionsschritte im Königreich anfielen, wird die EU als zollfreien britischen Export akzeptieren.

Vermeiden ließe sich solche Bürokratie nur, wenn Großbritannien Teil des EU-Zollgebiets wäre - eben in einer Zollunion. Das ist aber nicht der Fall. Und Mitglied im Binnenmarkt bleibt das Königreich genauso wenig. Auch dies wird manche stichprobenartige Kontrolle von Lastwagen nötig machen. Denn außerhalb des Binnenmarkts muss sich Großbritannien nicht mehr an EU-Standards und -Regeln halten. Diese große Freiheit bedeutet freilich, dass die EU nicht mehr automatisch davon ausgehen kann, dass britische Produkte europäischen Regeln zum Verbraucherschutz und zur Lebensmittelsicherheit entsprechen.

Hilft der Vertrag den Banken?

Bislang können Banken, Versicherer und Fondsgesellschaften in London, Europas wichtigstem Finanzplatz, problemlos Kunden in der ganzen EU bedienen oder dort Filialen eröffnen. Dank des gemeinsamen Binnenmarktes wird die britische Genehmigung überall anerkannt, eine zusätzliche Lizenz vor Ort ist nicht nötig. Fachleute sprechen davon, dass die Konzerne einen EU-Pass für ihre Produkte haben. Doch mit Auslaufen der Brexit-Übergangsphase an Silvester verlässt das Königreich den Binnenmarkt - daran ändert auch der Handelsvertrag nichts.

Die praktischen EU-Pässe fallen also weg und sollen zum Teil durch das sogenannte Äquivalenzprinzip ersetzt werden: Erkennt die EU an, dass die Regulierung in einem Staat äquivalent, also gleichwertig, zu Brüsseler Vorgaben ist, kann sie den dortigen Finanzfirmen ungehinderten Zugang zum Binnenmarkt gewähren. Von solchen Privilegien profitieren etwa manche US-Finanzdienstleister. Allerdings umfassen Äquivalenzregeln weniger Produkte als die EU-Pässe, und die Kommission kann die Begünstigungen jederzeit wieder einkassieren, ohne dass die Regierung des anderen Staates dies verhindern könnte. Die EU will Äquivalenz zudem nur in solchen Bereichen gewähren, bei denen dies im Interesse Brüssels ist. Die Wünsche Londons spielen keine Rolle. Dieses Äquivalenzverfahren war daher auch nicht Teil der Verhandlungen über ein Abkommen.

Zugleich will die britische Regierung Anbietern aus EU-Staaten mit Äquivalenzentscheidungen weiter Geschäfte im Königreich ermöglichen - doch ist der EU-Markt für britische Finanzkonzerne viel wichtiger als umgekehrt. Es war geplant, dass die Äquivalenzentscheidungen bis Ende Juni fallen, doch wurde diese Frist gerissen. Eine neue Zielmarke gibt es nicht.

Was wird sonst noch geregelt?

Die EU und Großbritannien haben sich darauf verständigt, im Bereich der Sicherheitspolitik weiter eng zusammenzuarbeiten. Das betrifft den Austausch von Geheimdienst-Informationen, etwa zur gemeinsamen Terrorabwehr oder im Kampf gegen organisierte Kriminalität.

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