Pixars "Soul":Ja, da leuchtet ein helles Licht

Pixars "Soul": Systemsprenger unter sich: 22 will nicht ins Leben, Joe Gardner (rechts) weigert sich zu sterben.

Systemsprenger unter sich: 22 will nicht ins Leben, Joe Gardner (rechts) weigert sich zu sterben.

(Foto: AP/AP)

Pixars Animationsfilm "Soul" schafft eine faszinierende Fantasiewelt für das Jenseits unserer Existenz - und wird wohl ein neuer Weihnachtsklassiker werden.

Von Tobias Kniebe

Vielleicht ist es ja wirklich die Lust auf neue, nie gesehene Perspektiven, die am Anfang steht. Ein Kinderzimmer aus Sicht der Spielzeuge, eine Welt hinter den Träumen, ein kunterbuntes Kontrollzentrum für menschliche Gefühle - schaut man auf die Erfolgsgeschichte des Animationsstudios Pixar, findet man lauter solche Ideen. Immer ist da dieser Funke der Entdeckungsfreude, mithilfe der Computergrafik weit über das normalerweise Sichtbare hinauszugehen.

Der neueste Pixar-Film heißt "Soul", startet pandemiebedingt gleich auf Disney+, und verspricht, von dem Moment zu erzählen, in dem die menschliche Seele ihren Körper verlässt. Sofort ist natürlich die Schaulust wieder da: das Leben nach dem Tod also, ein ewiges Rätsel, von dem bisher nur ein paar Grenzgänger zu berichten wussten, Menschen mit Nahtoderfahrung. Ist da wirklich ein dunkler Gang, am Ende gleißendes Licht? Pixar, denkt man sich gleich, wird da schon ein paar gut aussehende Antworten finden.

Ja, da leuchtet ein helles Licht. Aber statt eines Stairway to Heaven gibt es eine Art Seelenförderband.

Damit sich aber nicht alles sofort in gleißender Harmonie auflöst, braucht es erst einmal jemanden, der auf keinen Fall sterben will. Auftritt Joe Gardner: Alter Mitte vierzig, Hautfarbe schwarz, Existenz prekär. Ein toller Pianist mit Jazzleidenschaft, der sich aber als Teilzeit-Musiklehrer in Queens durchschlagen muss - bis zu dem Moment, als der lebensverändernde Auftritt zum Greifen nah ist. Noch ganz verzückt von der Nachricht hat er einen schweren Unfall.

Und ja, da ist dann wirklich dieses allumfassende Schwarz; und ja, ganz oben leuchtet wirklich schon ein sehr helles Licht. Joe Gardner und einige andere Seelen - klein, bläulich, kindlich-knubbelig und diffus durchscheinend - stehen auf einer Art Seelenförderband, das sie unaufhaltsam Richtung Licht schiebt, wo sie dann aufsteigen und irgendwie verpuffen.

Richtig, das ergibt mehr Sinn als diese Treppe, der viel besungene Stairway to Heaven - vom Treppensteigen aus freiem Willen kann hier ja kaum die Rede sein. Und dann, typisch Pixar: Über allem wacht eine Art Strichmännchen namens Terry, ein Seelenzähler mit Unmengen von Rechenschiebern, der an ein altes deutsches Kinderlied erinnert: Gott der Herr hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet ...

Joe Gardner wird dann aber doch fehlen. Er stemmt sich gegen den unaufhaltsamen Seelenstrom, flüchtet das Band hinab und stürzt schließlich ins Nichts. Nach einem Fall durch alle Dimensionen erwacht er zwischen sanften blauen Hügeln unter einem violetten Himmel, wo es auch wieder viele Seelen gibt. Die werden aber, erfährt er bald, gerade erst auf ihre Reise zur Erde vorbereitet. Statt im großen Danach zu landen, steckt er jetzt fest im großen Davor.

Wie geht man im Jenseits mit Seelen um, die einfach nicht ins Leben wollen? Mentorenprogramm!

Für diese Art von Erfindungsreichtum liebt man Pixar - und ganz besonders noch einmal Pete Docter, der hier der Hauptregisseur ist. Er war schon dabei, als das Studio vor 25 Jahren mit "Toy Story" loslegte, hat bei "Monsters, Inc.", "Oben" und "Alles steht Kopf" dann selbst Regie geführt, und nach dem unrühmlichen Abgang des Gründervaters John Lasseter ist er jetzt auch der kreative Chef.

Die eine geniale Idee über das Erwartbare hinaus - sehr oft geht sie am Ende auf Docters Konto. Hier ist es eine Seele namens "22", die sich - ganz ähnlich wie Joe Gardner - dem Unausweichlichen widersetzt: Sie will nicht auf die Erde, will nicht wie alle anderen Seelen inkarniert werden, ihr fehlt diese Lust aufs Leben, die alle hier nur den "Funken" nennen.

Im selben Moment, wo das Pixar-System der Existenz etabliert wird - das Vorher, das Nachher, die Erdenreise, die Rückkehr - verschiebt Pete Docter den Fokus auch schon auf die Systemsprenger. Zwar gibt es eine Art Kaste der Oberaufseher - Strichmännchen-Entitäten des kosmischen Gleichgewichts. Die aber haben sehr viel Geduld mit "22", die zwar noch kein Geschlecht hat, aber mit weiblicher Stimme spricht (im Original Tina Fey).

Seit Jahrhunderten steckt "22" in einer Art Mentorenprogramm, berühmte Verstorbene sollen ihr das Leben schmackhaft machen. An viele kann sie sich gar nicht erinnern, bestätigt sind aber unter anderem Kopernikus, Abraham Lincoln, Mutter Theresa und C. G. Jung. In dem großen kosmischen Mixup, das durch Joe Gardners Renitenz entsteht, wird dieser nun nicht nur als falscher Mentor mit "22" zusammengespannt. Durch ein Schlupfloch im System landen beide auch alsbald auf der Erde.

Die weiteren haarsträubenden Verwicklungen sollen hier nicht vorweggenommen werden - wichtig ist aber, dass dieser ganze Mittelteil mitten im schwarzen Leben von Queens spielt. Hier spürt man den großen Wunsch bei Pixar, auch den eigenen Ursprungsmythos - weiße picklige Computernerds werden kreativ und erzählen herzerwärmende weiße Kinderzimmergeschichten - langsam hinter sich zu lassen.

Der Mann der Stunde ist deshalb Kemp Powers, ein schwarzer New Yorker Theaterautor mit bisher wenig Filmerfahrung, der zunächst an Bord geholt wurde, um in die Figur des Joe Gardner mehr lebenspralle Relevanz hineinzuschreiben. Seine Ideen waren dann aber in jeder Phase so wichtig, dass er schließlich von Pete Docter zum Co-Regisseur ernannt wurde.

Das gönnerhaft-patriarchale Element, das in dieser Beförderung noch steckt, ist zwar spürbar, könnte sich im Lauf der nächsten Jahre aber verflüchtigen. Zwischenzeitlich wurde nämlich auch eines von Powers' frühen Theaterstücken verfilmt, die Regisseurin und Schauspielerin Regina King hat "One Night in Miami" zu einem starken Film gemacht, der schon beim Festival in Venedig Aufsehen erregte und im Januar auf Amazon Prime starten wird.

Und spürbar ist auf jeden Fall, dass es in "Soul" um echte Zusammenarbeit geht, um eine Balance zwischen bunten Fantasmagorien und diesseitiger, schwarzer, mühsam errungener und standhaft verteidigter Lebensfreude. So reiht sich der Film in eine Reihe großer Klassiker ein, die aus einer Art Zwischenwelt Rückschau aufs Leben halten und wahrscheinlich gerade deshalb fast jedes Weihnachten wiederholt werden.

Zu James Stewart in "Ist das Leben nicht schön?" und Ebenezer Scrooge in Dickens' "Weihnachtsgeschichte" gesellt sich hier ein neuer Held, der angesichts des Endes über die Errungenschaften und Versäumnisse der eigenen Existenz nachdenken darf. Ruhm, Erfolg, Geld und eine angebliche "Bestimmung" sind dabei nie so wichtig, wie es scheint, und das Fazit muss selbstverständlich dieses sein: Hört mal her, Leute - es gibt ein Leben vor dem Tod.

Soul, USA 2020 - Regie: Pete Docter, Kemp Powers. Buch: Docter, Powers, Mike Jones. Kamera: Matt Aspbury, Ian Megibben. Mit den Stimmen von Jamie Foxx, Tina Fey, Phylicia Rashad. 100 Minuten. Auf Disney+.

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Soul

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