Design:Tischlein, roll dich

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Flott unterwegs: die "Week-End"-Ablage der französischen Möbelmarke Petite Friture. (Foto: PR)

Vertritt er den in 2020 verstaubten Rollkoffer? Praktiziert man auch zu Hause das standortlose Arbeiten? In jedem Fall: das Käseigel-Fossil namens Teewagen ist zurück.

Von Max Scharnigg

Wer an Weihnachten doch mal bei den Großeltern reingezoomt hat, hat ihn vielleicht wiedergesehen, ohne ihn weiter zu beachten. Denn Omas alter Servier-, Tee-, oder Barwagen ist schließlich im Laufe der Jahrzehnte oft in einer Ecke des Wohnzimmers mit der restlichen Einrichtung verwachsen, als mitgerolltes Fossil aus den 50er- oder 60er-Jahren. Er steht da zum Beispiel in Form eines Laura-Ashley-artigen Zierwägelchens oder als Ethno-Modell aus der ersten Hula-Phase mit geflochtenem Peddigrohr. Oder natürlich als deutscher Klapper-Klassiker - jenem Dinett genannten Faltwägelchen, das von 1955 an von der Firma Bremshey in Solingen gefertigt wurde.

Auf dem Dinnet standen Bowle und Käseigel

Mit einem filigranen Metallrahmen, zwei dünnen Tabletts aus foliertem Sperrholz und gummierten Rollen war es dieses Dinett, das damals die Vorzüge eines mobilen Staumöbels in der BRD flächendeckend bekannt machte. Seine Botschaft: maximale Beweglichkeit bei (geklappt) minimalem Platzbedarf, dazu schnell verfügbare Abstellfläche, etwa für ein Tortenservice oder eine Schüssel Bowle nebst Käseigel. In seiner ersten Hochphase im Wirtschaftswunder wurde dieser Servierwagen als Gute-Laune-Transporter vermarktet. Auf den Werbeanzeigen aus dieser Zeit sind auf dem Dinett jedenfalls immer bauchige Cognacschwenker, Eiswürfelkübel, Sodaflaschen und eine Packung Lord-Zigaretten zu sehen. Drink and drive!

War der klassische Servierwagen davor eher als Utensil für Teesalons oder als Käsewägelchen in Hotels und Restaurants geläufig, eroberte das Gefährt nach dem Krieg das bundesdeutsche Wohnzimmer also als Spaßmobil - wohl auch, weil man jetzt Partys und Einladungen vermehrt bei sich zu Hause ausrichtete, egal wie beengt die Verhältnisse waren. Dabei schien der mobile Helfer zumindest eine Art Ersatz für sonstiges Personal zu versprechen. Das faltbare Dinett aus Solingen fand dann auch viele billige Nachahmer, die allerdings nicht an die Stabilität und Laufruhe des Originals heranreichten. Vielleicht lag es ein bisschen an diesen wackligen Plagiaten, dass die Firma Bremshey Anfang der Achtzigerjahre dichtgemacht wurde. Vielleicht schob aber auch damals die Hausfrau einfach keine Cognacschwenker mehr durch die Gegend, und die Tage der natürlichen Dinett-Umgebung - also Esszimmer, Durchreiche und Partykeller - waren ja ebenfalls gezählt.

Wenige Nischen-Möbelstücke sind bei hippen Designern so beliebt

Erst in den vergangenen Jahren erlebt der Servierwagen wieder ein erstaunliches Comeback. Heute ist Ebay zwar noch voll mit alten Dinetts, die keiner will, aber gleichzeitig sind die Designboutiquen und Schaufenster auch voll mit formschönen bis protzigen neuen Teewagen, die alle wollen. Häufiger werden sie jetzt Serving Trolley genannt oder gleich Beistellwagen - das klingt noch weniger nach Käseigel. Kaum ein Nischen-Möbelstück hat jedenfalls zuletzt so viele hippe Designer oder Marken auf den Plan gerufen und sich in solcher Vielfalt auf die Messestände geschlichen.

Der Servierwagen "Grace" von Schönbuch. (Foto: Schönbuch)

Sebastian Herkners 2018 vorgestellter Servierwagen "Grace" für Schönbuch steht heute bei jedem zweiten Interieurstyling elegant im Hintergrund und ist mit einem Preis von knapp 1400 Euro schon beinahe das Statussymbol unter den Kleinwagen geworden, wäre dieser Platz nicht auf immer an den mondänen 901 Servier-& Küchenwagen von Alvar Aalto vergeben, den die finnische Möbelfirma Artek seit 1936 produziert. Ikea hat mehr als ein Dutzend frischer Modelle der Schiebwägelchen im Sortiment, und eine angesagte Marke wie Gubi wühlte mutmaßlich lange im Archiv der Designgeschichte, um den avantgardistischen Servierwagen von Mathieu Matégot aus dem Jahr 1953 wieder neu aufzulegen.

901 Servier-& Küchenwagen, den die finnische Möbelfirma Artek seit 1936 produziert. (Foto: Artek)

Die anvisierten Einsatzzwecke der neuen Teewagen-Flotte haben sich heute freilich ein wenig verändert, jedenfalls dürfen bei den modernen Inszenierungen keine Cognacschwenker mehr mitfahren. Stattdessen steht auf den klassisch beibehaltenen zwei Ebenen dieser Rollwagen jetzt die Ausrüstung moderner Wohn- und Arbeitsnomaden: Laptop und Soundbox, Angeber-Magazine, absichtlich körnige Keramik, Monstera-Pflanze und ja, vielleicht auch eine formschöne Ginflasche. Einer der neuen Bestseller, der "Block"-Schiebewagen vom jungen dänischen Einrichter Normann Copenhagen, wird mit solcher Besatzung gleich als universaler Tisch to go angepriesen: An der Couch, neben dem Bett, unter dem Schreibtisch soll er zum Stehen kommen. Skizziert ist damit also die klassische Tagesroute eines Menschen im Home-Office, der dabei die flotten Tiefebenen hinter sich herziehen soll, um immer eine Ablage zu haben.

Für drinnen und draußen: der Kleinwagen von Skagerak. (Foto: Skagerak)

Das ergibt einerseits Sinn, denn die Wohnverhältnisse sind ja manchmal noch beengter und kurzfristiger als in den Fünfzigerjahren, und alles, was irgendwie leicht und rollbar ist, wird deswegen schon lange als modernes Wohnen verkauft. Andererseits wird der Servierwagen wahrscheinlich viel seltener wirklich durch die Räume gefahren, als von den Theoretikern angedacht, sondern fristet sein Dasein nach einer Probefahrt doch eher an der ihm zugestandenen Stelle an der Wand. Denn egal wie laufruhig - selbst eine moderat bestückte Hausbar oder auch nur ein hipper Trockenblumenstrauß lassen sich nur ungerne beschleunigen. Wozu auch, es genügt ja schließlich das Gefühl, dass man total flexibel sein könnte!

Fährt sich wie ein Kinderwagen: der Exit Trolley von Design House Stockholm. (Foto: Design House Stockholm)

Platz dafür ist genug, da heute niemand mehr eine Schrankwand im Wohnzimmer haben möchte und sogar die Regale mangels analoger Bibliotheken langsam verschwinden. So mag einer der kleinen Wohn-Wagen den Genügsamen tatsächlich als Parkplatz für den alltäglichen Kram genügen. Und man weiß ja von der Büro-Philosophie moderner Arbeitgeber wie Google und Co., dass den Mitarbeitern sowieso nur noch ein ähnlich gelagertes Office-Wägelchen (allerdings mit Schubladen) für ihren Kram zugestanden wird, mit dem sie dann durch die loftartigen Firmenzentralen und durch ihre Karriere rollen. Also, warum nicht auch zu Hause alles Wichtige auf zwei Achsen beschränken? Angesichts der aktuellen Flut an neuen Teewagen könnte man jedenfalls fast auf die Idee kommen, sie wären das Corona-Pendant zu den Rollkoffern. Wenn man schon nicht mehr mit seinen essentiellen Dingen durch die Welt reisen kann, dann wenigstens schön durch die drei Zimmer Altbau klackern - und damit das Gefühl großer Ungebundenheit simulieren.

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