Strafvollzug und Auslieferung:Drei Quadratmeter Lebensraum

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Wie gut belüftet sind diese Zellen? (Hier eine Haftanstalt in Ramnicu Sarat in Rumänien.) Solche Fragen müssen deutsche Gerichte klären, bevor sie Straftäter nach Rumänien abschieben.

(Foto: Daniel Mihailescu/AFP)

Das Bundesverfassungsgericht hat die Auslieferung von zwei Häftlingen nach Rumänien unterbunden - und der deutschen Justiz eine menschenrechtliche Checkliste an die Hand gegeben.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Dass Straftäter wegen des europäischen Haftbefehls nirgendswo in Europa mehr vor Verfolgung sicher sind, galt lange als wichtige Errungenschaft der EU. Doch vor allem beim Vollstreckungshaftbefehl, der verurteilte Kriminelle ohne viel Federlesen aus dem fernen Ausland ins Gefängnis ihres Heimatstaats befördern soll, verhakt sich die europäische Zusammenarbeit zunehmend. Immer wieder stoppen Gerichte solche Überstellungen, weil Häftlingen in einigen Ländern prekäre Haftbedingungen drohen. Nun hat das Bundesverfassungsgericht die Auslieferung zweier Häftlinge nach Rumänien unterbunden - und der deutschen Justiz eine menschenrechtliche Checkliste an die Hand gegeben.

Drei Mal die Woche warmes Wasser

Einer der Kläger, in Rumänien zu fünf Jahren Haft wegen versuchten Mordes verurteilt, sollte aus Berlin zunächst in die nicht sonderlich gut beleumundete Haftanstalt im rumänischen Rahova ausgeliefert werden, von wo er in den geschlossenen Vollzug in Tulcea wechseln sollte. Nach offizieller Auskunft erwartete ihn in der Gemeinschaftszelle ein persönlicher Lebensraum von drei Quadratmetern, plus Waschgelegenheit; warmes Wasser sollte es drei Mal pro Woche geben. Nach einem Jahr würde er wohl verlegt und dürfte sich in der neuen Anstalt tagsüber frei bewegen. Während der übrigen gut 15 Stunden stünden ihm aber nur zwei persönliche Quadratmeter zu. Beim zweiten Kläger, einem Schleuser, hatten die deutschen Gerichte aus Sicht der Karlsruher Richter nicht ausreichend geprüft, wie die Haftbedingungen am Ende ausgesehen hätten.

Neu an dem Karlsruher Beschluss ist zunächst, dass das Gericht nicht aufs Grundgesetz, sondern unmittelbar auf die EU-Grundrechtecharta zurückgreift. In einer Grundsatzentscheidung vom Frühjahr hatte sich das Verfassungsgericht für zuständig erklärt, EU-Grundrechte selbst anzuwenden - in europäischer Arbeitsteilung, versteht sich. Wobei eine gewisse Arbeitsteilung bereits existiert, wie der Fall zeigt: Für die Mindestgröße von Zellen haben die europäischen Gerichtshöfe in Straßburg und Luxemburg bereits gemeinsame Standards entwickelt. Danach spricht bei weniger als drei Quadratmetern eine "starke Vermutung" für einen Menschenrechtsverstoß, der aber auch bei drei bis vier Quadratmetern vorliegen kann, wenn etwa die Belüftung schlecht ist.

Eine gehörige Portion Skepsis ist angebracht

Aber mit der Flächenangabe fängt der menschenrechtliche Prüfauftrag der Gerichte erst an. Denn laut Verfassungsgericht ist stets eine Gesamtbeurteilung der Umstände nötig, auch bei mehr als vier Quadratmetern. Dazu müsse die deutsche Justiz "objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Angaben über die Haftbedingungen", über etwaige systemische Mängel im Land einholen und vor allem über die konkreten Gefängnisse, in denen die Haft vollzogen werden soll.

Eine wichtige Rolle spielen Zusicherungen der staatlichen Behörden, die um eine Auslieferung ersuchen. Darauf müsse man sich zwar zumindest dann verlassen können, wenn keine Anhaltspunkte für Menschenrechtsverstöße vorliegen. Schon deshalb, weil hier der "Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens" gelte. Doch der Karlsruher Beschluss zeigt, dass sich längst eine gehörige Portion Skepsis in dieses Vertrauen mischt. Dort heißt es: "Auch eine Zusicherung des Ausstellungsmitgliedstaats entbindet das mit einem Überstellungsersuchen befasste Gericht aber nicht von der Pflicht, zunächst eine eigene Gefahrenprognose anzustellen, um so die Belastbarkeit einer Zusicherung einschätzen zu können."

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