München:Hinter den Masken

Im Isolationsjahr 2020 sind Dasha Minkinas Selbstporträts entstanden. Nun bleibt die Künstlerin mit ihren Bildern alleine

Von Jutta Czeguhn

Dunkle Höhlen sind diese Augen. Nur wer nahe genug herantritt an das Frauenporträt, entdeckt in der weniger verschatteten Gesichtshälfte den nach unten gerichteten, verschleierten Blick. Mit groben, weißen Pinseltupfern ist das Lid skizziert, die Wimpern hingegen sind haarfein aufgetragen, als wären sie zu Eis gefrorene Nadeln, die sich über eine schwarze Pupille senken. Eine Kommunikation mit dieser Frau erscheint unmöglich. Der Eindruck teilnahmsloser Abwesenheit, tonloser Traurigkeit verstärkt sich noch durch einen achromatischen, graukalten Hintergrund. All das könnte den Betrachter auf Distanz halten, und doch zieht es einen an die Wand. Für Dasha Minkina hat das Bild große Bedeutung, "es ist quasi die Entscheidung, mich mit dem Thema Selbstporträt auseinanderzusetzen", sagt die Künstlerin, die den winzigen Ausstellungsraum im LOT62 an der Schleißheimer Straße zum Ort der Selbstbegegnung gemacht hat. Ganz für sich. Denn "Alone. Pandemic Edition", so der Titel dieser Ausstellung, findet ohne Publikum statt. Doch womöglich bleibt Minkina nicht völlig alleine, man kann ihr durch die Schaufensterscheibe beim Arbeiten zusehen.

Dascha  Minkina

Blicktausch: In den Selbstporträts von Dasha Minkina geht es nicht um fotografische Ähnlichkeit. Der Betrachter soll sich selbst in ihnen spiegeln können.

(Foto: Catherina Hess)

An diesem unfreundlichen Januartag, als man sie bei der Hängung in der Galerie besucht, drückt ein alter Mann die Türklinke. Ob man einen Euro für ihn erübrigen könne, fragt er unaufdringlich. Ein merkwürdiger Moment, denn gerade ist man ganz weit weg. Im Sibirien der Sowjetjahre, von dem Dasha Minkina erzählt. In einer dieser namenlosen Industriestädte, in der die Welt keine Farbe hat. Minkina, Jahrgang 1981, kommt von dort, ihre Eltern waren Ingenieure, hatten in der Erdölförderung gearbeitet. 1992 übersiedelt die Familie nach Deutschland. Verwischt, verblasst erscheint ihr alles, wenn sie an die Kindheit denkt. Seither aber begleite sie dieses Standardgrau. Eine Grundstimmung, die sich auch in ihrer Abschlussarbeit für das Kunststudium finde, Porträts ihrer Familie, im typischen Sowjetstil. Die kleine Dasha sei auf diesen Bildern stets gesichtslos, eine Leerstelle. "Weil ich so wahnsinnig wenig Erinnerung an diese Zeit habe", sagt sie.

Hyperrealistisch oder in der Abstraktion, lange hatte in der Bildskepsis der zeitgenössischen Kunst das Porträt als Genre, zumindest in der Malerei, keinen wirklich ernst zu nehmenden Raum. Letztlich waren es hartnäckige Individualisten wie etwa Lucian Freud oder Elizabeth Peyton (sie hat für die neue Porträtgalerie der Bayerischen Staatsoper Jonas Kaufmann in einer kleinformatigen Buntstiftzeichnung inszeniert), die hier nicht nur Anerkennung, sondern auch erhebliches Marktterritorium für die Porträtkunst zurückgewonnen haben. Für Dasha Minkina ist das Porträt die künstlerische Ausdrucksform, die sich im Moment einfach richtig für sie anfühlt. "Mir ist schon klar, dass das, was ich da mache, nicht unbedingt gut verkäuflich ist." Eine interessante Entscheidung für jemanden, der sich erst vor einem Jahr, im vollen Bewusstsein aller Risiken, dazu entschieden hat, als freischaffende Künstlerin ihr Geld zu verdienen. Zuvor hat sie zehn Jahre in einem Verlag gearbeitet.

Dascha  Minkina

Mut zur Selbstbegegnung: die Künstlerin Dasha Minkina.

(Foto: Catherina Hess)

Bis sie sich selbst zum Sujet ihrer Arbeiten gemacht hat, malte Minkina andere. Menschen, die ihr zufällig begegnet sind, in deren Gesichtern sie irgendetwas gelesen hat, das sie berührt. Den Ansatz ihrer Porträtkunst beschreibt sie als "konzeptionell". Aus einem Pool von Vorlagen, Fotos, quasi Rohmaterial, entstehen so, in Öl oder Acryl auf Leinwand, Verfremdungen. Obwohl in einem realistischen Stil gemalt, geht es Minkina bei diesen Porträts gerade nicht um Ähnlichkeit, um das Identifizierbare, Individualistische. Statt sich sklavisch an die Vorbilder zu klammern, will sie die Essenz herausschälen, die Gesichter auf diesen Bildern sollen die Betrachter emotional berühren. "Ich bin überzeugt, dass jeder in meinen Bildern etwas anderes sieht, auf einer Ebene angesprochen wird, die ich gar nicht wissen kann."

"Holding back the black" heißt eine der Arbeiten im LOT62, die Dasha Minkina als "Schlüsselwerk" in ihrem Selbstporträt-Projekt bezeichnet. Es zeigt eine Frau, die sich in einer schützenden Geste die Hände vors Gesicht hält. "Ich habe dieses Bild in einem Rutsch gemalt", erzählt sie. Nur wenige Farben hat sie verwendet für diese Porträtskizze, Schwarz, Braun, Beige, viel Wasser, es wirkt wie in Hast aquarelliert, tuschiert. Der Torso ist nur angedeutet, als hätte sie mitten im Malprozess den Pinsel beiseite gelegt. Doch Minkina hatte sehr deutlich das Gefühl, dass das Bild vollendet ist. Die Frau, die da alles Dunkle von sich bannen will, ist die Künstlerin selbst. "Ich habe mich immer gefragt, ob ich mit einem Selbstporträt rausgehen und sagen kann: Seht mich an!". Im zurückliegenden Jahr hatten äußere und familiäre lebensverändernde Umstände die Mutter einer kleinen Tochter auf sich selbst zurückgeworfen. Sie spürte, dass es nun Zeit war, diesen großen Schritt zu gehen. Die Isolation, erzählt sie, sei eine Chance gewesen, genau hinzuschauen, in die eigene Tiefe hinabzusteigen, ohne zu wissen, was sie dort vorfinden würde. "Unter die eigenen Masken zu kommen, muss man auch aushalten können." All diese unsichtbaren Masken, die wir mit uns herumtragen, um uns zu schützen. Diese kleinen oder großen Fälschungen unseres gesellschaftlichen Ichs - und die Narben darunter. Dasha Minkina glaubt, dass gerade in der aktuellen Situation, die uns dazu zwingt, unser Gesicht zu verbergen, eine große Sehnsucht nach Ehrlichkeit und letztlich Heilung wächst. Das Vordergründige, all die lauten, grellen Posen, die die Menschen vor allem auch auf den virtuellen Bildplattformen einnehmen, erscheinen mit einem Mal hilflos und hohl.

Dascha  Minkina

Blickverweigerung: Dasha Minkinas Selbstporträts zeigen die innere Verfasstheit, Brechungen.

(Foto: Catherina Hess)

Augen, heißt es, sind die Quelle der Präsenz. Die Malerin spart sie sich nicht bis zum Schluss auf, wie es oft Praxis ist. "Sie sind für mich die Seele des Porträts, das Kernelement, sie müssen vorher da sein, alles andere folgt", sagt Dasha Minkina. Die Augen, ihre Augen, im Selbstbildnis mit dem Titel "Hoffnung" verfolgen den Betrachter, fordern den Blicktausch geradezu hypnotisch ein. Die Frau mit den feinen Gesichtszügen umfasst ein Kerzengefäß, das den Bildaufbau bestimmt. Im Laufe der Arbeit an dem Gemälde, sagt die Künstlerin, hätten sich die Lichtverhältnisse immer weiter verdunkelt. Schicht um Schicht schwarzer Farbe wurde aufgetragen, der helle Radius um das Gesicht wurde immer enger, wurde zu einer Art Heiligenschein. Was dem Porträt eine Tiefe gibt und tröstende, sakrale Ruhe verleiht, wie man sie etwa von Madonnen-Darstellungen der Renaissance kennt.

Umgeben von ihren Selbstporträts wird Dasha Minkina nun die kleine Galerie bis Ende Januar zu ihrem Atelier machen. Sie hofft sehr, dass es nach dem Lockdown Gelegenheit geben wird, die Bilder vor Publikum zu zeigen. Denn die Gesichter an den Wänden sollen Gesellschaft haben, Menschen, die in ihnen nach verborgenen Gefühlen und Geschichten suchen, nach ihren eigenen.

"ALONE. Pandemic Edition", Dasha Minkina, Schleißheimer Straße 62, geschlossen. Immer donnerstags, freitags und samstags bis Ende Januar kann man der Künstlerin bei der Arbeit zusehen. Nähere Infos unter https://dashaminkina.com.

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