Kunstausstellung in Südkorea:"Die Zeit der Mega-Biennale ist vorbei"

Kunstausstellung in Südkorea: Im Andenken an den Studentenaufstand gegen die südkoreanische Militärdiktatur gegründet: Die Eröffnungszeremonie der ersten Biennale von Gwangju Biennal 1995.

Im Andenken an den Studentenaufstand gegen die südkoreanische Militärdiktatur gegründet: Die Eröffnungszeremonie der ersten Biennale von Gwangju Biennal 1995.

(Foto: Gwangju Biennale Foundation)

Die Biennale von Gwangju wird gerade vorbereitet. Womöglich vergelblich. Ein Gespräch mit den Kuratorinnen Defne Ayas und Natasha Ginwala über Großausstellungen in der Pandemie.

Interview von Ingo Arend

"Der Verstand erwacht, die Geister heben sich" - so ungefähr lässt sich der Titel der 13. Biennale von Gwangju übersetzen ("Minds Rising, spirits tuning"), deren Eröffnung vom Herbst auf das Frühjahr 2021 verschoben werden musste. Im Andenken an den Studentenaufstand gegen die südkoreanische Militärdiktatur gegründet, zählt sie zu den wichtigsten Kunstausstellungen der Welt. Diese Ausgabe wird von Defne Ayas und Natasha Ginwala kuratiert. Die Istanbulerin Ayas war Direktorin des Witte-de-With-Zentrums für zeitgenössische Kunst in Rotterdam, bevor sie als Kuratorin die V-A-C-Foundation übernahm. Natasha Ginwala, die aus Indien stammt, wurde als eine der Kuratorinnen der Documenta 14 bekannt; sie arbeitet derzeit am Martin-Gropius-Bau in Berlin und leitet das Colomboscope Festival in Sri Lanka.

Kunstausstellung in Südkorea: Zeigen, wohin sich die Kunst entwickelt: die 13. Gwangju Biennale wird von Natasha Ginwala und Defne Ayas geleitet.

Zeigen, wohin sich die Kunst entwickelt: die 13. Gwangju Biennale wird von Natasha Ginwala und Defne Ayas geleitet.

(Foto: Victoria Tomaschko)

SZ: Die Pandemie hat das Karussell der Biennalen zum Stillstand gebracht. Auch die Gwangju-Biennale musste verschoben werden.

Defne Ayas: Noch planen wir, am 26. Februar zu eröffnen. Falls die Welt wegen der Pandemie wieder zu einem Halt kommt, kann natürlich auch die Biennale nicht eröffnen. Aber die Ausstellung wird bereits aufgebaut.

Natasha Ginwala: Unser Ausstellungsarchitekt und das Team in Gwangju senden uns täglich Bilder auf den Bildschirm. Das ist natürlich eine völlig neue Art der kuratorischen Arbeit über die Distanz quer über sieben Länder. Man fühlt sich schon sehr entkörperlicht

Millionen Covid-Infizierte, Millionen Tote weltweit. Kann man es überhaupt verantworten, eine internationale Ausstellung zu veranstalten?

Ayas: Gerade in der Pandemie wird es noch relevanter, für die Dringlichkeit der Biennalen zu werben: Um die vielen Graswurzel- und Protestbewegungen zusammenzubinden, um Künstlerinnen zu unterstützen, ein neues Denken für die soziale, ökologische Welt zu befördern, die wir anstreben, auch für die Zeit nach der Pandemie. Den Platz, um darüber nachzudenken, was es bedeutet, Mensch zu sein.

Ginwala: Biennalen zeigen, wohin sich die Künste entwickeln. Für mich war immer die Frage wichtig, wie man eine Biennale realisiert, die nicht dem Markt gefällt, sondern eine gewagte, vielfältige kulturelle Agenda anspricht, für die Museen viel länger bräuchten.

Welche Herausforderung stellt die Pandemie für die Biennalen und den internationalen Kunstbetrieb dar?

Ginwala: Viele der Teilnehmer der 13. Gwangju-Biennale kommen aus indigenen, aus queeren Zusammenhängen oder aus der Diaspora von Haiti bis Neuseeland. Für sie sollte Korea zum Terrain für Recherche werden. Es war natürlich frustrierend, dass wir die Idee einer forschenden Gemeinschaft, die uns mit den Künstlern vorschwebte, nur während zweier Forschungsaufenthalte verwirklichen konnten. Die wichtigste grundsätzliche Erfahrung war jedoch: Wir kamen in einem Moment auf die Bühne, an dem das weiße, hetero-patriarchale Starkuratoren-System der Biennalen umgestürzt wurde und gemeinsames Wissen, kreativer Instinkt und Intuition wichtiger wurden.

Sollten sich Biennalen in Zukunft auf ihren lokalen Kontext konzentrieren? Jetzt wo man nicht mehr so viel reisen kann?

Kunstausstellung in Südkorea: "Die Gwangju-Biennale hatte schon immer eine große lokale Öffentlichkeit": Besucher der ersten Ausstellung 1995.

"Die Gwangju-Biennale hatte schon immer eine große lokale Öffentlichkeit": Besucher der ersten Ausstellung 1995.

(Foto: Biennale Foundation)

Ginwala: Die Gwangju-Biennale hatte schon immer eine große lokale Öffentlichkeit, inklusive Studenten, und auch aus verschiedenen Teilen Asiens. Für viele Biennale-Direktoren ist die Gwangju-Biennale deswegen ein Modell. Überhaupt sind die Menschen in Korea sehr neugierig auf Kunst und Ausstellungen. Sie wünschen sich diese Reflexionsräume.

Ayas: Das hat natürlich mit der politischen DNA dieser Biennale zu tun. Sie ist ein lebendes Denkmal des Aufstands gegen die Diktatur in den Achtzigerjahren. Das ist hier immer präsent. Es spricht viel dafür, sich stärker auf den lokalen Kontext zu konzentrieren.

Biennalen erscheinen immer problematischer wegen ihres ökologischen Fußabdrucks. Wären weniger mehr?

Ayas: Na ja, das Reisen hat sich ja erledigt. Viel Kohlendioxid werden wir nicht hinterlassen. Und wir achten sehr auf die Materialien, die wir einsetzen. Ich habe schon vorher mit experimentellen, ressourcensparenden Formaten gearbeitet. Bei der 11. Baltischen Triennale sind alle Kunstwerke durch einen einzigen Schauspieler performt worden.

Ginwala: Ich arbeite viel lieber mit kleineren Biennalen und Plattformen, die die kulturelle Gemeinschaft vor Ort bereichern. Die Zeit der Mega-Biennalen ist definitiv vorbei.

Minds Rising, Spirits Tuning - der Titel der 13. Biennale scheint nicht recht in die depressive Zeit zu passen. Ist Ihre Biennale als Muntermacher gedacht?

Ginwala: Interessant, dass Sie das als Optimismus interpretieren. Spirits Tuning kann genauso den Geist des Todes, der Revolution oder der Geschichte meinen, die volatile Natur und das Monströse der Gegenwart und der imperialen Geschichte. In Korea ist das sehr präsent.

Im Untertitel findet man die Formel von den "communal minds". Was ist damit gemeint?

Ginwala: In vielen asiatischen Gemeinschaften liegt der Fokus nicht auf dem individuellen Überleben, sondern auf dem gemeinschaftlichen und der wechselseitigen Abhängigkeit. Selbst im koreanischen Schamanismus spielt Solidarität eine wichtige Rolle. Wie der amerikanische Anarchist und Kulturanthropologe David Graeber sagte: Als logische Einheit sind wir zerbrechlich und werden sterben, es sei denn wir sorgen füreinander. Dieser Gedanke ist auch tief verankert in indigenen Gesellschaften und der asiatischen Philosophie.

Welche Strategien des Aufbaus von Solidarität kann die Kunst denn beisteuern?

Ayas: Kann Kunst die Welt retten? Kann sie die Automatisierung der Arbeit im 21. Jahrhundert ändern? Ich glaube nicht. Aber sie kann das Fundament für die Umschreibung des Wissens legen. Sie kann den Finger auf Ungerechtigkeiten legen, sie kann Streit und Debatte auslösen. In China sind Künstler gefürchtet, in den Niederlanden kann ein Kunstprojekt eine Debatte über das koloniale Erbe provozieren.

Südkorea ist heute keine Diktatur mehr. Ist da die Gwangju-Biennale als Protestform gegen die Militärdiktatur noch aktuell?

Ayas: Gut, Korea ist eine Demokratie. Aber es ist immer noch ein Stellvertreter Amerikas. Es hat demokratische Institutionen, kämpft aber mit den denselben Problemen wie Demokratien weltweit: Patriarchalen Strukturen, Korruption, Neoliberalismus, den evangelikalen Kräften. Militär und Finanzoligarchie sind noch da. Nach dem World Economic Forum rangiert das Land bei der Geschlechtergerechtigkeit unter 144 Ländern auf Platz 116. Es ist eine hyperkapitalistische Gesellschaft. Die Biennale wird noch lange damit zu tun haben, diese kranken Aspekte der Demokratie und der Postdiktatur anzusprechen.

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