Ausstellung:Idyll ohne Pastell

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Die Gemäldegalerie zeigt eine Ausstellung über die niederländische Künstlerkolonie Katwijk an Zee. Dort entwickelten die Maler einen neuen Stil, um die raue Witterung und das harte, einfache Leben der Menschen an der Nordsee abzubilden

Von Gregor Schiegl, Dachau

Der Himmel schäumt, ein schmutzig graues Gewölk mit grünlich-gelbem Stich, aufgewühlt ist auch das Meer: graubraun die Fluten mit weiß flatternden Wellenkämmen, ein Fischer steht knöcheltief im anrollenden Wasser. Obwohl Gerhard Arij Ludvig "Morgenstjerne" Munte (1875-1927) den bemützten Mann mitten ins Bild gestellt hat, ist er nur Randfigur neben dem riesenhaften "Bomschuit", der im Sand vor Anker liegt. Das traditionelle niederländische Fischerboot ist ein hölzerner Gigant von den Dimensionen einer Doppelgarage, mehr breit als hoch - die Küstengewässer der Nordsee sind flach. Mit seinem rostroten Segel nimmt es mehr als ein Drittel der Bildfläche ein. Bei dem Bild "Fischerboot / Bomschuit vor Anker" glaubt man die salzige Brise im Gesicht zu spüren.

"Bomschuit vor Anker" (Morgenstjerne). (Foto: Gemäldegalerie Dachau)

Die industrielle Revolution veränderte im 19. Jahrhundert das Antlitz Europas fundamental: Fabrikschornsteine, verelendete Massen, maschinell getaktete Ausbeutung, Dreck und Rauch. Ebenso wie Dachau war Katwijk in jener Zeit urige Provinz, arm, aber in seiner Rückständigkeit unberührt von den Verwüstungen der Zivilisation. Wenngleich kaum mehr als eine Ansammlung ärmlicher Katen galt dieses Fleckchen Erde zwischen Amsterdam und Den Haag den Malern als Stück heiler Welt, und die zwei Landmarken, die man auf vielen Gemälden dieser Zeit sieht, die Oude Kerk aus dem 14. Jahrhundert und die weithin sichtbare Leuchtbake Vuurbaak aus dem Jahr 1605, gaben schöne Motive ab. Ansonsten Natur pur: nur Dünen, Meer und Wolkenkino.

"Schifflein segeln lassen" (Bernard J. Blommers). (Foto: Gemäldegalerie Dachau)

Katwijk ist die erste Künstlerkolonie an der Nordsee, der die Gemäldegalerie Dachau eine Ausstellung widmet. Atmosphärisch hat die Kunst von dort wenig gemein mit den Werken, die in den Kolonien an der Ostsee, in Ahrenshoop, Önningeby oder Nidden entstanden sind. An der Ostsee ist das Licht von kristalliner Klarheit, die Farben hell, alles atmet eine frische Leichtigkeit. Ganz anders an der Nordsee bei Katwijk, an der alles irgendwie stumpf, fleckig und verwaschen wirkt. Der Himmel schwappt ins Meer, das Meer matscht ins Land. Watt eben. Grenzen: reine Ansichtssache. Das ist die Poesie des Ungefähren, in der stets die Bedrohung des Unwägbaren schlummert.

Diese besondere Landschaft verlangt nach einer adäquaten Form der Darstellung, einen neuen Malstil, für den der Journalist J. van Santen Kolff 1875 den Begriff "Haager Schule" prägte. Eine "neue, ultraradikale Bewegung" war das, bei der Grau- und Braunwerte den Farbton angaben. Daran sieht man wieder, wie sehr die Künstlerkolonien als Katalysator für die moderne Kunst wirkten. Und wie es immer so ist, wenn Künstler auf einmal anders malen, als Zuschauer es gewohnt sind zu sehen, bleibt das Gemecker nicht lange aus. Als "Graumalerei" wurde der Stil diffamiert, und in einer Ausstellungskritik von 1888 mokierte sich ein konservativer Kritiker darüber, wie "schrecklich dreckig" das Meer auf den Bildern aussehe. Und dann diese Wolken! "Wie riesige Mehlknödel", die "durch die Luft fliegen".

Ein Blick in die Ausstellungsräume. (Foto: Toni Heigl)

Der progressive van Santen Kolff sah das freilich anders: "Hier haben wir den Realismus der wahren, gesündesten Sorte vor uns." Und das Attribut "gesund" verdient hier besondere Beachtung. Während in den Arbeiterbaracken der Städte die Menschen von der Schwindsucht dahingerafft werden, strahlen die properen Bauersfrauen pure Vitalität aus mit ihren roten runden Bäckchen, ihren dicken Armen und den Trachten, die sie noch fülliger erscheinen lassen. Die Rauheit der Landschaft findet ihre Entsprechung in den Gesichtern der Menschen. Nichts ist hier zart, nichts lieblich und fein. Wer dem Wind und der anstürmenden See trotzen will, muss stark sein und widerständig.

"In Gedanken" (Hans von Bartels). (Foto: Gemäldegalerie Dachau)

Eines der wenigen Bilder dieser Ausstellung, bei dem den Betrachter mal ein bisschen die Sonne kitzelt, stammt von Hans von Bartels (1856-1913); es zeigt zwei der markanten holländischen Plattenbodenboote im Sand. Die Planken sind aufgerissen wie die Borke eines zerschmetterten Baums. Mag der Himmel noch so wolkenlos sein und der Sand handwarm: Die "Verfallenen Fischerboote" geben Zeugnis ab von den rohen Kräften, die hier walten. Und auch bei Eugène Gustave Dückers (1841-1916) vordergründig so idyllischem "Abendhimmel am Meer", bei dem die Frauen der Fischer mit ihren leuchtend weißen Hauben aufgereiht vor der weißen Brandungslinie am Strand stehen und auf die Segel der einfahrenden Boote am Horizont starren, hat etwas furchtsam Bangendes: Werden alle Männer an diesem Abend nach Hause zurückkehren?

Viele maritime Motive dieser Ausstellung sind einander sehr ähnlich. Die Unterschiede liegen eher im Detail, die aber im unmittelbaren Vergleich umso deutlicher zutage treten, sei es im Pinselstrich, der Komposition oder in der Perspektive. Gregor von Boschmann (1850-1930), der als Kind oft auf einem Fuhrwerk unterwegs war, setzt den Betrachter in eine leicht erhöhte Position, sodass er über die Köpfe der Fischer hinausschauen kann, weit aufs Meer, wie eine Möwe.

Die Ausstellung ist grob in drei Bereiche gegliedert: Das Dörfchen Katwijk und seine Menschen mit zahlreichen Genremalereien bilden das Entree. Der zweite und, wie bereits beschrieben, homogenste Teil sind die Fischerszenen. Der dritte Teil ist der munterste und bunteste. Hier erleben wir die Nordsee als Freizeitparadies. Jan Zoetelief Tromp (1872-1947) setzt die bürgerliche Idylle mit sonnenbehüteten Kinderlein und spielenden Hunden in Szene; eine Touristikagentur hätte es nicht besser hinbekommen. Allerdings war es der bereits 1856 eintreffende Jozef Israëls(1824-1911), der das Fischerdorf weithin bekannt machte: Seine Gemälde veranlassten viele holländische und deutsche Künstler, selbst an deren Entstehungsort zu reisen. Für die erholungsbedürftigen Städter begann man Unterkünfte zu bauen: das Badhuis, später Groot Badhotel; die Fischer vermieteten Privatzimmer.

Heute ist das Städtchen ein Seebad, das wegen seines breiten Sandstrands geschätzt wird. Das Erbe der Künstlerkolonie wird im Museum Katwijk bewahrt und gepflegt. Von dort stammt auch der Großteil der 60 Gemälde, die in Dachau ausgestellt sind. Zu Gesicht bekommen haben sie bisher nur wenige: OB Florian Hartmann und Landrat Stefan Löwl und natürlich Kuratorin Elisabeth Boser und ihr Team. Wegen des Lockdowns ist die Galerie zu. Elisabeth Boser ist trotzdem regelmäßig in den Ausstellungsräumen unterwegs. "Es muss ja auch immer jemand nach dem Rechten sehen", sagt sie. Temperatur, Luftfeuchtigkeit, solche Sachen.

Jutta Mannes vom Zweckverband Dachauer Galerien und Museen bleibt optimistisch, dass das Dachauer Publikum die Ausstellung noch sehen wird. "Im Hintergrund wird über eine Verlängerung der Ausstellung über den 21. März hinaus nachgedacht und eine Verschiebung der folgenden Ausstellung mit Gemälden süddeutscher Impressionisten", sagt sie. "Wir ruhen uns hier nicht aus." Kunst ist derzeit überall ein Kampf.

Katwijk aan Zee. Eine Künstlerkolonie an der Nordsee. Gemäldegalerie Dachau. Videoimpressionen gibt es auf dachauer-galerien-museen.de.

© SZ vom 09.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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