"Hart aber fair" zum Lockdown:Und dann lächeln sie

Lesezeit: 2 min

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, der Virologe Alexander Kekulé, der Lungenfacharzt Cihan Çelik, die Journalistin Susanne Gaschke und der Wirtschaftswissenschaftler Michael Hüther diskutieren mit Moderator Frank Plasberg über den Lockdown. (Foto: WDR/Dirk Borm)

Wie einfallslos die Lockdown-Maßnahmen seien, lautet die Frage bei Plasberg. Die Runde ist eine schlechte Kreativagentur ohne gute Ideen. Dafür mutiert der Halbkreis zur Therapiesitzung.

Von Marlene Knobloch

Es gibt ja Dinge, die bei ihrer Wiederholung besser werden. Goethes Faust zum Beispiel. Filme von Stanley Kubrick. Austern. Sex. Diskussionen über die Corona-Maßnahmen gehören nicht dazu. Die Talkshows dieser Tage verschwimmen wie die Wochen im Lockdown. Bei Anne Will diskutierte man schon am Sonntag über die Impfstrategie, auch in der Sendung davor über Irgendwas-mit-Corona und bei "Hart aber fair" knetet man nun den Pandemiealltag zur klobigen Frage, wie "einfallslos" der verlängerte Lockdown sei.

Und letztlich geht es doch wieder um alles: um die Jungen, die Alten, die Impfungen, Triage, die Corona-Leugner. Als klebe in dieser Debatte alles aneinander, als sei es unmöglich, über eine Warn-App zu reden, ohne zwei Sätze später den wirtschaftlichen Schaden des Lockdowns zu erwähnen und fünf Sätze später die hohen Todeszahlen in Altenheimen. Entsprechend erdnah sind die Erkenntnisse.

Bund-Länder-Beschlüsse
:Das sind die neuen Corona-Regeln

Der Lockdown wird verlängert, die Kontaktbeschränkungen verschärft und der Bewegungsradius in Hotspots eingeschränkt. Die Corona-Maßnahmen in der Übersicht.

Von Philipp Saul

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer erzählt, dass sie jetzt eigentlich niemanden mehr kenne, der "nicht auch mit negativen Gefühlen dieser Corona-Krise gegenübersteht". Wenig später verkündet sie die beruhigende Nachricht über ihre Arbeit als Politikerin: "Leute, wir überlegen immer wieder, was wir hier tun." Der Virologe Alexander Kekulé will nicht, "dass in Deutschland gestorben wird" und die Welt-Journalistin Susanne Gaschke fühlt sich in der trauten Banalitätsgruppe offenbar wohl genug für das spontane Geständnis, dass sie die Leopoldina, die Nationale Akademie der Wissenschaften, vor Corona gar nicht kannte.

Griffiger sind da die O-Töne von Essens Straßen, die man am Anfang der Sendung hört: Ein Passant sagt, dass für ihn das Highlight des Tages der Gang zu Aldi sei. Eine Frau gesteht, dass sie jetzt einfach mehr trinke und sie an den überfüllten Altglas-Containern sehen könne, dass sie damit nicht alleine sei. Und eine andere Frau gibt zu, dass sie sich die Seele aus dem Leib weint: "Man kann einfach nicht mehr."

Was sollen die Talkshow-Moderatoren auch machen? Alte Folgen über eine neue alte Krise der FDP zeigen? Irgendwie muss also über diesen Lockdown diskutiert werden, auch wenn niemand im Studio weiß, welche Einfälle der Politik fehlen.

Journalistin Gaschke beschwert sich über die Dichotomie der Debatte aus "den guten Menschen, die alle retten wollen" und "den Irren und Nazis", ihr fehle "der Slot für die normale, vernünftige, empirische Kritik". Der Halbkreis mutiert zu einer fast therapeutischen Runde. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, wirft den Politikern eine Fixierung auf den Inzidenzwert vor, es käme doch auf die freien Intensivbetten an und bei den Krankenhausbetten sei ja noch "Luft nach oben". Dass der Lungenoberarzt Cihan Çelik schon vorher erklärt hat, dass das Problem nicht das Fehlen von Betten ist, sondern das fehlende Personal - Feinfieslerei.

"Wir reden ein bisschen abstrakt", stellt Plasberg auf halber Strecke fest und (er-)löst dann Gott sei Dank den jungen Çelik aus der Runde zum Einzelgespräch. Denn der erzählt daraufhin so gar nicht abstrakt von seiner schweren Corona-Erkrankung, von der zusätzlichen bakteriellen Infektion in seiner Lunge und von dem Gefühl, Arzt und Patient zu sein.

Die therapeutische Sitzung beendet Plasberg mit der träumerischen Frage, mit wem aus der Runde die Gäste in einer pandemiefreien Zukunft auf einer pandemiefreien Insel einen pandemiefreien Urlaub verbringen würden. Da lächeln wirklich alle, sogar Susanne Gaschke. Und während in dieser pandemiefreien Zukunft Malu Dreyer mit dem Virologen Alexander Kekulé auf den Seychellen sitzt, moderiert vielleicht Frank Plasberg eine Talkshow über die alte neue Krise der FDP.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusCoronavirus
:Warum hat der Lockdown bislang nicht genug gebracht?

Seit fast einem Monat befindet sich Deutschland wieder im harten Lockdown, doch die Infektionszahlen bleiben hoch. Was ist anders als im Frühjahr?

Von Christina Kunkel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: