Artensterben:Warum die Insekten sterben

Brauner Bär

Schmetterlinge schwinden in Europa.

(Foto: T. Laußmann / dpa)

Der Tod von Schmetterlingen, Käfern und Bienen hat viele Ursachen. 56 Wissenschaftler aus aller Welt gingen diesen nun auf den Grund.

Von Tina Baier

Etwa eine Million Menschen lebten vor 10 000 Jahren auf der Erde. Heute sind es 7,8 Milliarden. Eigentlich ist es nur logisch, dass dieses explosionsartige Wachstum für andere Lebewesen Folgen hat. Kaum jemand bestreitet noch, dass derzeit auf der Welt ein gigantisches Massensterben läuft, ähnlich dem vor 66 Millionen Jahren, als die Dinosaurier von der Erdoberfläche verschwanden. Ob Insekten davon stärker betroffen sind als andere Tiere ist unklar, obwohl sich mittlerweile viele Forschergruppen mit dem Phänomen des Insektensterbens beschäftigen. In der aktuellen Ausgabe des Fachjournals PNAS fassen jetzt 56 Wissenschaftler in elf Studien zusammen, was man bislang über den Schwund der Insekten weiß - und was nicht.

Die Häufigen werden selten. Anders als bei vielen anderen Tieren schwinden bei den Insekten nicht vor allem seltene Arten, sondern auch solche, die früher stark verbreitet waren. Ein Beispiel dafür sind die Schmetterlinge in Europa, wie ein Team um Martin Warren von der Butterfly Conservation Europe im britischen Dorset in einer der PNAS-Studien schreibt. Demnach ist die Zahl aller Schmetterlinge in Großbritannien seit 1976 um die Hälfte zurückgegangen. In den Niederlanden sind mittlerweile 20 Prozent der ehemals dort lebenden Arten ausgestorben. Und im belgischen Flandern ist die Zahl der Schmetterlinge allein zwischen 1992 und 2007 um 30 Prozent zurückgegangen. Auch die Krefelder Studie aus dem Jahr 2017, durch die das Insektensterben überhaupt erst ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gekommen ist, deutet darauf hin: Demnach ist die Biomasse aller fliegenden Insekten in weiten Teilen Deutschlands innerhalb von 27 Jahren um 76 Prozent zurückgegangen.

Das große Ganze ist gefährdet. Der Schwund der Insekten quer über alle Arten hinweg kann nach Meinung mehrerer an dem Schwerpunkt beteiligten Autoren ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen, aus verschiedenen Gründen: Zum einen sind Insekten Nahrungsgrundlage für viele andere Tiere, deren Überleben ebenfalls gefährdet ist, wenn sie nicht mehr genug zu fressen finden. Zum anderen spielen Insekten eine essenzielle Rolle dabei, dass die Böden fruchtbar und das Wasser sauber bleiben. Ohne sie würden die Stoffkreisläufe in der Natur zusammenbrechen. Ein Beispiel dafür sind im Boden lebende Insekten, die dazu beitragen, dass Blätter und Holz kompostiert und der Dung anderer Tiere entfernt wird. Die Ernährung des Menschen könnte durch den massenhaften Schwund von Insekten gefährdet werden, die Obst- und Nussbäume sowie Gemüse bestäuben.

Manchen Insekten geht es gut. Vier Untersuchungen in dem Schwerpunkt beschäftigen sich mit Ausnahmen von der Regel. Einzelne Spezies schaffen es nämlich, dem Trend zu entgehen und sich zu vermehren oder den Bestand zumindest stabil halten. Einige Arten, denen es bisher in bestimmten Regionen zu kalt war, profitieren vom Klimawandel und können ihren Lebensraum aufgrund der ansteigenden Temperaturen ausweiten. Auch der Honigbiene - ehemals das Paradebeispiel für das Insektensterben - geht es mittlerweile wieder vergleichsweise gut. Der Grund dafür ist, dass sie - anders als die meisten Wildbienen - Hilfe vom Menschen bekommt, der sie gegen Krankheiten behandelt und dafür sorgt, dass die Bienenstöcke gut durch den Winter kommen. Eine im vergangenen Jahr in Science erschienene Untersuchung zeigt, dass die Zahl der Wasserinsekten wieder zunimmt, wenn gesetzlich geregelt ist, dass Wasser nicht verschmutzt werden darf.

Die Rolle der intensiven Landwirtschaft. Dass die Intensivierung der Landwirtschaft eine der Hauptursachen für das weltweite Insektensterben ist, zeigt sich nach Ansicht von Peter Raven vom Missouri Botanical Garden in St. Louis und David Wagner von der University of Connecticut, schon allein am zeitlichen Zusammenhang. "Ein starker Rückgang der Insekten ist nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs offensichtlich geworden", schreiben sie in ihrem Beitrag. "Wir gehen davon aus, dass die Ausbreitung und Intensivierung der Landwirtschaft direkt mit dem Schwund zusammenhängt." Intensive Landwirtschaft beeinträchtigt Insekten aus vielen verschiedenen Gründen: Monokulturen verringern sowohl das Nahrungsangebot als auch die Zahl ihrer Lebensräume; der Einsatz von Dünger erhöht den Nitratgehalt in Gewässern und Böden, was allen Insekten schadet, die an eine nährstoffarme Umgebung angepasst sind; und viele Pestizide dezimieren nicht nur Schädlinge, sondern auch viele andere Insekten. Dazu kommt, dass vor allem in den Tropen jedes Jahr Millionen Hektar Wald abgeholzt werden, um neue Ackerflächen zu schaffen. Dort werden dann oft Pflanzen für den Export angebaut: Ölpalmen zum Beispiel oder Soja.

Der Einfluss des Klimawandels. Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Klimawandel mit dem Anstieg der Temperaturen auch die Insekten immer stärker beeinträchtigen wird. Zwar können manche Arten aufgrund der Erderwärmung auch neuen Lebensraum erobern, wo es früher zu kalt für sie war. Vor allem in den Tropen scheint der Anstieg der Temperaturen aber eine der Hauptursachen für das Insektensterben zu sein, weil es dort für viele Arten zu heiß wird. Auch bei Insekten, die an eine kalte Umgebung angepasst sind, macht sich der schädliche Einfluss des Klimawandels bereits bemerkbar. Für Tiere, die in der Nähe der Pole leben oder in Bergregionen, gibt es keine Möglichkeit mehr, in kältere Regionen auszuweichen. Wie dramatisch sich der Temperaturanstieg in diesen Fällen auswirken kann, zeigt eine Untersuchung an Schmetterlingen in hoch gelegenen Regionen Kaliforniens. Christopher Halsch von der University of Nevada hat mit seinem Team gezeigt, dass die Zahl der Insekten dort stark zurückgegangen ist, obwohl in der Region weder Landwirtschaft betrieben wird, noch sonstige menschliche Aktivitäten die Tiere stören.

Druck von allen Seiten. Mittlerweile ist klar, dass es die eine Ursache für das Insektensterben nicht gibt, sondern dass es der Druck vieler verschiedener Faktoren ist, der schließlich zu viel wird. Die an dem Schwerpunkt beteiligten Forscher sprechen deshalb in Anspielung auf einen Song von Taylor Swift von "Death By A Thousand Cuts". Allen Faktoren gemeinsam ist allerdings, dass sie mit Aktivitäten des Menschen zusammenhängen. In der Nähe des Menschen sei das Insektensterben besonders auffällig, schreiben Autoren des PNAS-Schwerpunkts. Die meisten dieser schädlichen Einflüsse machen nicht nur den Insekten zu schaffen, sondern auch vielen anderen Tieren und Pflanzen. Es scheint aber einige zu geben, unter denen Insekten besonders leiden. Dazu gehört neben dem Einsatz von Pestiziden und Herbiziden auch die Lichtverschmutzung. Es gebe immer mehr Hinweise darauf, dass diese vor allem in Städten eine wichtige Rolle beim Schwund der Insekten spielt, schreibt unter anderem David Wagner in PNAS.

Was dagegen getan wird. In Europa und speziell in Deutschland wurde in den vergangenen Jahren einiges unternommen, um den Schwund der Insekten aufzuhalten. Unter anderem hat die Europäische Union den Einsatz bestimmter Pestizide stark eingeschränkt. Einige Substanzen aus der Klasse der Neonikotinoide wurden sogar ganz verboten, weil sie nicht nur Schädlinge töten, sondern auch Bestäuber vergiften. Parallel haben die Regierungen mancher Länder Geld zur Verfügung gestellt, um Insekten besser zu schützen. Deutschland allein hat fast 100 Millionen Euro investiert.

Wie es weitergeht. Insekten und ihr Schwund sind extrem schwierig zu erforschen, was unter anderem daran liegt, dass es so viele verschiedene Arten gibt. Mehr als eine Million Spezies sind beschrieben. Zwischen 4,5 und sieben Millionen sind noch nicht einmal entdeckt. Viele von ihnen werden verschwinden, ohne dass sie je bemerkt wurden. Besonders große Wissenslücken klaffen in den Tropen: zum einen, weil die Vielfalt dort extrem hoch ist, und zum anderen, weil viele Länder kein Geld für solche Projekte haben. Die Autoren des aktuellen Schwerpunkts betonen, dass die vielen offenen Fragen auf keinen Fall dazu führen dürfen, nichts gegen den Schwund zu unternehmen. "Wir müssen jetzt handeln", schreiben sie. Denn eines ist klar: Der Grund für das weltweite Insektensterben ist der Mensch. Und je stärker die Weltbevölkerung wächst, umso mehr wird sich der Schwund beschleunigen. Es sei denn, der Homo sapiens schafft es, ihn irgendwie zu stoppen.

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