Hartz IV:Ökonomen loben Hartz-IV-Pläne

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„Ich bin gegen Schikane“, sagt Detlef Scheele, Chef der Bundesagentur für Arbeit. Im Bild die Zentrale in Nürnberg. (Foto: oh)

Den Vorstoß von SPD-Arbeitsminister Heil unterstützen viele Praktiker und Wirtschaftsforscher. Manches geht ihnen jedoch zu weit.

Von Alexander Hagelüken, München

Viele Praktiker und Ökonomen unterstützen eine Reform von Hartz IV. Der Vorstoß von SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil sei ein "gelungenes Gesamtpaket", sagt Jobagentur-Chef Detlef Scheele. "Das Gesetz ist da, um eine Notlage abzufedern, um dann wieder in eine Arbeit zu finden. Das wird jetzt besser möglich sein." Im Detail gibt es an den Reformideen aber durchaus Kritik. Arbeitsminister Heil will die Härten für die vier Millionen Hartz-IV-Empfänger reduzieren und dafür etwa Ersparnisse weniger antasten. Das hat der Koalitionspartner Union sofort abgelehnt.

Scheele lobt vor allem die bessere Weiterbildung. "Wenn jemand keine Erstausbildung hat, sind künftig drei statt zwei Jahre Qualifikation möglich. Das ist ein Riesenschritt nach vorne", sagt der Chef der Bundesagentur für Arbeit der Süddeutschen Zeitung. Richtig findet er auch, dass Weiterbildung künftig der Vermittlung in einen kurzfristigen Job vorgezogen und mit einem Bonus von monatlich 75 Euro belohnt werden soll.

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Eine solche Prämie steigert die Motivation, findet Bertram Brossardt, Geschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw). Allerdings könne die rasche Vermittlung in Arbeit ebenfalls der aussichtsreichste Weg aus der Hilfsbedürftigkeit sein. "Wir lehnen Vorgaben ab, die die Entscheidungsfreiheit der Integrationsfachkräfte im Jobcenter einseitig schwächen."

Auch Andreas Peichl vom ifo-Institut attestiert Heils Vorschlägen, dass sie in die richtige Richtung gingen. "Es ist ganz zentral, dass man vom ersten Tag an versucht, die Leute zu qualifizieren." Der Sachbearbeiter in der Agentur solle generell mehr zum Coach des Hartz-IV-Empfängers zu werden - statt wie bisher großteils mit Bürokratie beschäftigt zu sein, weil "die Betroffenen jede Klassenfahrt der Kinder genehmigen lassen müssen".

"Wer arbeitet, möchte sehen, dass man kein Geld ohne Gegenleistung bekommt."

Arbeitsagentur-Chef Scheele unterstützt Heils Plan, dass künftig in den ersten zwei Jahren nicht geprüft werden soll, ob ein Hartz-IV-Empfänger in einer zu großen Wohnung lebt. "Das schwierige Image der Grundsicherung kommt daher, dass viele Menschen Sorgen um ihre Wohnung haben. Wenn man da am Anfang großzügiger ist, nimmt man viele Ängste." Jürgen Schupp vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) verneint, dass dies den Anreiz reduziere, sich einen Job zu suchen. "Das folgt dem Klischee, dass die Menschen faul sind. Aber die meisten Menschen wollen arbeiten. Es gibt natürlich Fälle von Missbrauch. Wenn Hartz-IV-Bezieher mit großen Autos herumfahren, muss das verfolgt werden." Bei wachsender Großzügigkeit brauche es auch Kontrollen.

"Es ist falsch, gleich zu sagen: Du beantragst Hartz IV, also musst du dir eine neue Wohnung suchen", sagt auch Andreas Peichl. "In einer Großstadt ist das schwierig." Durch eine Reform lasse sich die Motivation steigern. Zu weitgehend findet der ifo-Ökonom allerdings Heils Pläne beim Vermögen. Bisher müssen Bürger das Vermögen oberhalb von 10 000 bis 20 000 Euro plus Altersvorsorge aufbrauchen, bevor sie Hartz IV bekommen. Künftig sollen sie in den ersten zwei Jahren 60 000 Euro plus Altersvorsorge behalten dürfen. Peichl schlägt vor, das verschonte Vermögen solle lieber pro Berufsjahr um 1000 Euro steigen. "Wer 40 Jahre gearbeitet hat, der sollte mehr haben. Beim 25-Jährigen kann man strenger sein."

Auch vbw-Geschäftsführer Brossardt würde lieber die Lebensarbeitsleistung stärker belohnen. Grundsätzlich sei die Vermögensprüfung wichtig. "Die Solidargemeinschaft soll nicht haften, solange der Betroffene seinen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten kann." Auch Detlef Scheele ist noch nicht überzeugt, ob das Schonvermögen wirklich dauerhaft für zwei Jahre auf 60 000 Euro steigen sollte, wie es in der Corona-Krise als Ausnahme gilt. "Ob man das für die Zukunft braucht, muss man erst sehen."

Ausdrücklich verteidigt der Chef der Bundesagentur für Arbeit, dass der Arbeitsminister künftig weiterhin Sanktionen zulassen will, wobei nur noch 30 Prozent des Hartz-IV-Regelsatzes von rund 450 Euro gekürzt werden sollen. "Ich bin gegen Schikane. Wenn jemand aber ohne guten Grund drei bis vier Mal nicht zum Termin kommt, muss man auch sagen: bis hierher und nicht weiter." Scheele hält es für falsch, wie die Grünen in Richtung eines bedingungslosen Grundeinkommens ohne jede Sanktion zu gehen. "Wer arbeitet, möchte sehen, dass man kein Geld ohne Gegenleistung bekommt. Wer knapp 450 Euro Grundsicherung und Kind und Wohnung hat, bekommt in einer Großstadt über 1000 Euro. Diese Summe muss man mit einem gering entlohnten Job erstmal verdienen." Da ist sich Scheele mit den anderen drei Befragten einig. "Praktiker sagen, man braucht die Sanktionen für die harten Fälle", berichtet Jürgen Schupp. Er findet es richtig, dass Heil künftig keine besonders harten Sanktionen gegen unter 25-Jährige mehr erlauben will.

Andreas Peichl kritisiert bei allem Lob für Heil, dass dieser ein entscheidendes Problem nicht angehe. Hartz-IV-Empfänger verlieren von jedem Dazuverdienst, der über 100 Euro liegt, 80 bis 100 Prozent. "Jetzt bekommt jemand unterm Strich genauso viel Geld, egal ob er Vollzeit im Niedriglohnbereich arbeitet - oder nur einen halben Tag die Woche. Das führt dazu, dass Menschen in Hartz IV steckenbleiben." Peichl fordert daher, wer dazuverdiene, solle davon 30 bis 40 Prozent behalten dürfen. "So kämen viel mehr Menschen aus Hartz IV. Und für den Staat würde es kaum teurer."

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