Föderalismus:Der Kampf gegen Corona muss vom Bund gesteuert werden

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Schutzmaske am 13.01.2021 im Bundestag in Berlin. Foto: bildgehege Bundestag Au

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Bundestag in Berlin.

(Foto: imago images/Bildgehege)

Gleiche Infektionslage, unterschiedliche Regeln: Die Kakofonie der Bundesländer überfordert die Bürger und schwächt den Konsens zu den Maßnahmen. Dabei geht es auch anders.

Kommentar von Peter Fahrenholz

Deutschland ist mit seiner föderalen Staatsstruktur bislang gut gefahren, denn sie trägt den regionalen Unterschieden Rechnung und ermöglicht es den Bundesländern, viele Fragen in eigener Zuständigkeit zu regeln. Dennoch hat es zwischen Bund und Ländern immer wieder heftige Auseinandersetzungen um die Kompetenzverteilung gegeben. Das hat zu diversen Föderalismus-Reformen geführt. Die Corona-Pandemie zeigt, dass jetzt eine weitere Korrektur notwendig ist, bei der die Kompetenzen des Bundes gestärkt werden müssten.

In einer Krise solchen Ausmaßes ist föderales Durch- und oft auch Gegeneinander nicht der richtige Weg. Denn genauso wie es stimmt, dass Unterschiedliches auch unterschiedlich behandelt werden muss, gilt im Umkehrschluss: Gleiches ist gleich zu behandeln. Zu Beginn der Pandemie, als die Infektionszahlen in Deutschland stark variierten, war es verständlich, dass sich die Ministerpräsidenten in Ländern mit niedrigen Zahlen dagegen wehrten, strenge Beschränkungen mitzutragen. Doch schon damals haben Experten prognostiziert, bei lokalen Hotspots, die sich eingrenzen lassen, werde es nicht bleiben. Vielmehr werde sich das Virus über den Sommer unbemerkt in der Bevölkerung verbreiten, weshalb es dann überall zu Ausbrüchen komme. Genau das ist passiert.

Der Irrtum der Kirchturmpolitiker

Trotzdem haben sich einzelne Länderchefs hartnäckig gegen schärfere Maßnahmen gesperrt, allen voran die Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Drei Kirchturmpolitiker, die offenbar geglaubt haben, ein derart ansteckendes Virus würde dauerhaft an ihren Landesgrenzen haltmachen. Erst unter dem Eindruck explodierender Zahlen sind sie umgeschwenkt. Der thüringische Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) fordert jetzt gar einen noch härteren Lockdown. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) will das Ausmaß der Gefahr erst nach Besuchen in Krankenhäusern erkannt haben und beklagte, nicht früher gewarnt worden zu sein. Für jemanden wie ihn, der in seinem Amt Zugang zu allen verfügbaren Informationen hat, ist das eine Bankrotterklärung.

Schon beim ersten Lockdown hat die Kakofonie der Länder zu einem Flickenteppich aus Regelungen und Ausnahmen geführt, was die Akzeptanz der Maßnahmen enorm geschwächt hat. Jetzt zeigt sich das gleiche Bild, wieder gibt es zahlreiche Sonderwege. Diese Inkonsequenz trägt maßgeblich dazu bei, dass die immer noch hohe Zustimmung der Bürger zur offiziellen Corona-Linie mehr und mehr bröckelt. Sie war und ist der erste schwere Fehler des Corona-Krisenmanagements.

Der zweite, noch größere Fehler liegt im Mechanismus selbst. Wenn derart einschneidende Maßnahmen in vertraulichen Konferenzen zwischen Bund und Ländern beschlossen werden, bedeutet dies, dass darüber erst hinterher politisch debattiert werden kann und nicht vorher. Durch diese Sonderstellung der Exekutive aber wird ausgerechnet in einer für die gesamte Bevölkerung (über)lebenswichtigen Frage das Parlament (oder besser: die Gesamtheit der Parlamente, denn auch die Landtage hatten nur wenig mitzureden) entmachtet. Für eine parlamentarische Demokratie ist das ein Sündenfall.

Statt des ständigen Hin und Her hätten Bund und Länder besser einen Katalog entwickelt, der über eine längere Zeit gilt. Ausgerechnet Italien, dessen Politik hierzulande gern von oben herab betrachtet wird, führt vor, dass es möglich ist, einem einheitlichen nationalen Krisenmanagement und den regionalen Unterschieden bei den Infektionszahlen gleichermaßen gerecht zu werden - auch wenn die Umsetzung dort sehr kompliziert geraten ist.

Je nach Farbe gelten andere Regeln

Das Land hat eine Art Ampelsystem eingeführt: Gelb, Orange und Rot. Je nach Farbe gelten unterschiedlich strenge Regelungen. Jeden Freitag wird anhand detaillierter Kriterien festgelegt, welche Farbe in welcher Region für die nächsten sieben Tage gilt. Es ist ein atmendes System, das größere Freiheiten gewährt, wenn sich die Zahlen günstig entwickeln, und Verschärfungen wieder in Kraft setzt, wenn sich die Lage verschlechtert. Die Regional- und Lokalpolitiker dürfen die Vorschriften nicht nach eigenem Gusto lockern, sondern allenfalls verschärfen, wenn ihnen das geboten erscheint.

Ein solches atmendes System wäre auch in Deutschland eine denkbare Alternative. Aber dafür müssten auch überall die gleichen Regeln für die gleichen Infektionslagen gelten. Genau das passiert nicht. Das Flehen von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Familienministerin Franziska Giffey (SPD), die beschlossenen Maßnahmen bitte möglichst einheitlich umzusetzen, zeigt die Hilflosigkeit der Bundespolitik. Mehr als Flehen bleibt ihr nicht. Das muss sich ändern. Der Kampf gegen eine globale Pandemie muss vom Bund gesteuert werden. Dann wird auch die Debatte darüber, welche Maßnahmen notwendig und sinnvoll sind, wieder dort geführt werden, wo sie hingehört: im Parlament.

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