Jens Spahn:Vertrauen schaffen im Ausnahmezustand

Bundestag

Gesundheitsminister Jens Spahn bei der Regierungserklärung am Mittwoch.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Der Gesundheitsminister hat heftige Kritik einstecken müssen für den schleppenden Impfstart. Nun rechtfertigt er sein Vorgehen - und nutzt die Gelegenheit zu einem Appell, der schon staatstragend wirkt.

Von Nico Fried, Berlin

Der Gesundheitsminister wählt Worte, die über sein Amt hinausreichen. Er appelliert an die Bürgerinnen und Bürger: "Wir müssen da jetzt durch." Er versichert: "Wir werden für unsere Geduld belohnt." Und er konstatiert: "Vertrauen ist das höchste Gut in dieser Pandemie." Man könnte sagen: Jens Spahn ist um eine gewisse Flughöhe bemüht, als er am Mittwoch im Bundestag über den Impfstart in Deutschland spricht. Fast könnte man meinen, er wolle Bundespräsident werden, was jetzt möglich wäre, da Spahn vor einigen Monaten 40 Jahre alt geworden ist.

Will er nicht, so viel ist sicher. Das Impfen allein ist ja schon ein großes Thema. Es soll das Ende der Corona-Pandemie einleiten, eine Zeit des "permanenten Ausnahmezustands", wie es der Gesundheitsminister nennt. Spahn hat sich wegen des Impfstarts seit dem 27. Dezember einiges an Kritik anhören müssen. Trotzdem redet hier nicht nur ein Minister im Namen der Bundesregierung. Es ist auch die Rede eines Politikers, der sich durchaus noch höhere Aufgaben zutraut und immer mal wieder sogar für die Kanzlerkandidatur der Union ins Gespräch gebracht worden ist.

Welches Bild gibt die Regierung ab an diesem Tag? Nun: optisch ein geschlossenes. Angela Merkel ist im Plenum, Vizekanzler Olaf Scholz ebenso. Die Kanzlerin hat sich schon in den vergangenen Tagen geradezu überschlagen mit Lob für Spahn. Nach der letzten Sitzung mit den Ministerpräsidenten sagte sie, der Minister mache einen "prima Job". Und am Dienstag in der digitalen Sitzung der Unions-Fraktion dankte sie ihm ausdrücklich für seine Arbeit bei der Beschaffung von Impfstoff. Man solle nicht daran herummäkeln, wurde Merkel zitiert.

Auch wenn sie sich öffentlich nicht in den Wahlkampf um den CDU-Vorsitz einmischt, kann Merkel doch kein Interesse daran haben, dass Spahn jetzt beschädigt wird. Das könnte womöglich den Kandidaten Armin Laschet mit in Schwierigkeiten bringen, als dessen Kompagnon in zweiter Reihe Spahn am Samstag antritt. Das wiederum würde nur die Chancen von Friedrich Merz erhöhen, der nicht Merkels Favorit für die Parteispitze ist. So viel ist auch sicher.

FDP-Chef Lindner nennt das Tempo der Impfung "beschämend"

Olaf Scholz wiederum schaut während der ersten Sätze des Kollegen angestrengt in sein Handy. Es hat geknirscht in der Regierung, nachdem der Vizekanzler einen Fragenkatalog der sozialdemokratischen Ministerpräsidenten an den Gesundheitsminister unterstützt hatte. Genüsslich wird FDP-Fraktionschef Christian Lindner später von einem Misstrauensantrag sprechen, den Scholz dem Kollegen Spahn über den Kabinettstisch gereicht habe.

Nun aber schildert Spahn erst einmal den Stand der Dinge: Mehr als 750 000 Menschen in Deutschland seien mittlerweile geimpft. Die Kampagne sei gut angelaufen, sagt der Minister, allerdings macht er selbst eine bemerkenswerte Eingrenzung: "Da, wo geimpft wird", geschehe dies sehr professionell. Und da, wo nicht?

Es gebe Fragen und Kritik, räumt Spahn ein. Den europäischen Weg der Beschaffung des Impfstoffs verteidigt er. Den Vorwurf, die Bundesregierung habe sich während der Verhandlungen zu wenig eingebracht, kontert er mit der Aufzählung von Forschungs- und Produktionshilfen für die beteiligten Unternehmen sowie einer frühen Zusage an Biontech, eine Mindestmenge von 100 Millionen Dosen des Impfstoffs abzunehmen. Nur deshalb habe der Vertrag der Europäischen Union mit Biontech überhaupt geschlossen werden können.

Die besonders heikle Frage, ob er und die Kanzlerin zugunsten Europas auf die Lieferung von mehr Impfstoff nach Deutschland zu einem früheren Zeitpunkt verzichtet hätten, beantwortet Spahn so: Grund für die Knappheit des Impfstoffs seien "fehlende Produktionskapazitäten, nicht fehlende Verträge". Diese Knappheit "hätte ein Alleingang nicht verändert". Und er habe auch "großen Zweifel daran, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt dadurch mehr Impfstoff zur Verfügung hätten".

Die Oppositionsparteien sehen die Impfpolitik erwartungsgemäß kritisch: Wenn es nach der AfD geht, ist es fürs Impfen sowieso noch zu früh, weil die Spätfolgen des Serums nicht ausreichend erforscht seien. Christian Lindner (FDP) nennt die Logistik und das bisherige Tempo der Impfung "beschämend". Amira Mohamed Ali greift das Wort des Ministers auf, am Anfang werde es ruckeln. "Wann hört es auf zu ruckeln?", fragt die Fraktionsvorsitzende der Linken. Ihre Kollegin Katrin Göring-Eckardt von den Grünen nimmt die chaotische Terminvergabe in einigen Ländern aufs Korn: "Es kann nicht sein, dass die Enkelin das Internet durchforsten muss, damit der 80-jährige Großvater einen Impftermin bekommt."

Und die SPD? Regierungs- oder Oppositionspartei? Fraktionsvize Bärbel Bas verwendet viel Zeit darauf, den Fragenkatalog an Spahn zu rechtfertigen. So ein Vorgehen sei nicht "unanständig und auch keine Majestätsbeleidigung". Bei Michael Müller, dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, wird dann besonders anschaulich, was eigentlich auf dem Spiel steht: Wenn das von Spahn propagierte Ziel erreicht werden solle, ab Juli jedem Bürger ein Impfangebot machen zu können, müssten allein in Berlin jeden Tag rund 28 000 Menschen eine Dosis erhalten, rechnete Müller vor. Derzeit bekomme Berlin auch 28 000 Dosen - aber nicht am Tag, sondern pro Woche.

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