Werder gegen Augsburg:Ein Spiel wie ein Steinbruch

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Hauptsächlich Kampf: Bremens Jean-Manuel Mbom (r) versucht sich gegen Augsburgs Rani Khedira durchzusetzen. (Foto: dpa)

Meist sieht es so aus, als würde jedes Team hoffen, dass dem Gegner noch weniger einfällt als einem selbst. Am Ende einer bemerkenswert qualitätsarmen Partie findet Bremen noch irgendwie den Weg zum Tor.

Von Ralf Wiegand, Bremen

Fußball ist ja immer dann besonders schön, wenn alles leicht wirkt. Wenn Spieler über den Rasen schweben statt rennen, Laufwege wie einstudierte Choreographien aussehen, der Ball im Flug zum Smiley wird, froh, mal wieder gestreichelt worden zu sein. Fußball ist also genau dann besonders schön, wenn er exakt nicht so gespielt wird wie am Samstag im Bremer Weserstadion, einst eine der berühmten Philharmonien dieses Sports, inzwischen aber längst bestenfalls noch eine Werkstatt - bei der Partie Werder Bremen gegen Augsburg allerdings eher: ein Steinbruch.

Mit Vorschlaghammer und Spitzhacke meißelten die Bremer einen 2:0-Sieg aus diesem winterkalten Nachmittag. 30 Fußball-Arbeiter waren da insgesamt bei der Wochenend-Schicht zu beobachten, und dass noch Tore fallen würden in diesem Festival der Leiden, war wirklich nicht zu erwarten. Sie fielen spät, in der 84. und 87. Minute durch Theodor Gebre Selassie und Felix Agu. "Nicht schön, aber clever und verdient", sagte der Bremer Trainer Florian Kohfeldt.

Die aktuelle Spielweise im Keller wäre mit Publikum kaum möglich

Dass das sehr seltene Ereignis eines Bremer Heimsieges an diesem Tag noch passieren würde, hätte fast 85 Minuten lang niemand wetten dürfen, der auf Geld angewiesen ist. Der Pragmatismus, mit dem manche Mannschaften ihr Überleben in diesen bedrohlichen Zeiten zu sichern versuchen, hatte im Weserstadion einen neuen Höhepunkt erreicht. Werder und der FC Augsburg spielten Fußball wie von einem anderen Stern, allerdings einem unbewohnbaren mit lebensfeindlichen Bedingungen, schwefelhaltiger Atmosphäre und so. Es sah aus, als verlöre derjenige, der dem Tor des Gegners zu nahe kommen würde, weshalb das zu vermeiden war. Weite Teile des Rasens blieben ungenutzt, alles wirkte angestrengt, gequält, getragen allein von der Hoffnung, dass dem Gegner noch weniger einfallen würde als einem selbst. Sie erfüllte sich auf beiden Seiten, die Hoffnung. Torschüsse sah man nicht.

Taktiken, wie sie Augsburgs Trainer Heiko Herrlich und Werders Kohfeldt immer häufiger wählen, aber auch Köln oder Bielefeld, wären ohne den pandemiebedingten Ausschluss der Öffentlichkeit wohl gar nicht durchsetzbar. Das Publikum würde ihnen dafür deutlich die Meinung geigen. Für die Notfall-Patienten des Fußballs, und das sind alle ab Platz zehn, ist es ein Glück, dass nur noch Dienstverpflichtete zuschauen müssen. Journalisten etwa, die sich in Bremen auf den Tribünen unter FFP2-Masken ihre Brillen neblig atmeten, rätselnd, welche Pläne die Strategen dieser Partie gehabt haben mögen, um zu gewinnen, wenn das überhaupt gewollt war. Augsburgs Trainer Heiko Herrlich wähnte sich hernach folgerichtig "in einem schlechten 0:0-Spiel, das wir am Ende verloren haben". Klar ist: Das schlechte 0:0 war das Tagesziel gewesen, weniger geht nicht.

Der klügste Laufweg? Der des Hundes aus der Hundefutterwerbung auf der elektronischen Werbebande

Da die Bremer überdies in schon fast beeindruckender Konsequenz dem FCA den Ball überließen, hatten sie zunächst noch weniger Zugriff auf das Spiel als Herrlichs Mannschaft. "Wir haben die erste Halbzeit dominiert, hatten 66 Prozent Ballbesitz", sagte der Augsburger Trainer, aber daraus entstanden ist nichts. "Ich habe keine Torchancen gesehen", sagte Werder-Coach Florian Kohfeldt, was stimmte, da die Spieler entweder ins Leere liefen oder der Ball ins Leere rollte, hüben wie drüben, immer. Den klügsten Laufweg hatte der Hund aus der Hundefutterwerbung, der auf der elektronischen Werbebande alle drei Minuten von der Mittellinie zur Eckfahne rannte.

Fußball aus dem Steinbruch: Die Bremer Jean-Manuel Mbom (links) und Felix Agu (rechts) in einem für das Spiel beispielhaften Zweikampf mit Augsburgs Ruben Vargas. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Zu viel Mut, hat Kohfeldt erkannt, bekommt seiner Mannschaft nicht. Gegen Stuttgart (1:2) und Union Berlin (0:2) habe man "aktivere Taktiken" gewählt, verdammtes Risiko - jetzt geht es wieder nur um defensive Stabilität. Die Grundschule des Fußballs. Der Plan sei gewesen, so sagte der Trainer zumindest hinterher, diesmal erst gegen Ende munterer zu werden. Das klingt clever, wenn es dann wirklich so gekommen ist. Andernfalls ...

Die Augsburger richteten sich also in dem schlechten 0:0-Spiel ein und dämmerten langsam weg, während die Bremer gerade noch rechtzeitig den Rasen des Weserstadions umzugraben begannen wie Archäologen auf der Suche nach einem verschütteten Pfad vors Augsburger Tor. Sie fanden ihn in den letzten zehn Minuten, flankten einmal von links und einmal von rechts. "Uns ging die Ordnung verloren", klagte Herrlich, so wie er auch beklagte, dass Reece Oxford nach einer Ecke den Ball übers Tor geköpft hatte: "Den muss er aus fünf Metern eigentlich machen." Das ist das Übel einer solchen Taktik, sie erfordert eine hundertprozentige Chancenverwertung, wenn man wenigstens ein Tor schießen muss.

Dauerbrenner Gebre Selassie und Novize Agu erzielen die Tore

Und so passierte es. Wie ein Kampfsportler, der noch einen letzten Hieb im Köcher hat, bevor er erschöpft zusammenbricht, kungfute Gebre Selassie den Ball ins Tor zum 1:0. Geflankt hatte Felix Agu, ein U-21-Nationalspieler, der bis zu diesem Wochenende 47 Bundesliga-Minuten gesammelt hatte. Irgendwann soll Agu diesen Theo Gebre Selassie ersetzen, also den Unersetzlichen in den Bremer Reihen, dem Kohfeldt von möglichen 1440 Einsatzminuten bisher 1440 anvertraute. Gebre Selassie, 34, spielt seine neunte Saison an der Weser. Sein Tor war das des entschlossenen Routiniers, Agu traf wenig später mit der Naivität des Anfängers, schoss sich selbst vom rechten an den linken Fuß, ehe der Ball ins Tor flog. "Ich dachte, da kommen noch ein paar Sprüche von den Mitspielern", sagte er später, "aber da war nur Jubel."

Gemessen an der Qualität des restlichen Spiels hatte dieser Handwerker-Treffer aber auch mindestens die Schönheit eines Seitfallziehers - im Bremer Steinbruch, wo Werder ein 0:0-Spiel mit 2:0 gewann.

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