Kritik:Gleich ist anders

Micha Puruckers irritierende "Flat Rooms" als Livestream

Von Eva-Elisabeth Fischer

"Flat Rooms - Flat Dances/ Tracing Action": Es ist, was es ist. Micha Purucker folgt den variierten Bewegungsmustern seines Tänzers Michal Heriban in einer installierten Wohnung. Rudimentär ausgestattet mit einem Tisch, zwei Stühlen, einem Hocker und einer Holzliege, bietet diese verschiedene Aktionskulissen, etwa eine mit aktuellem Weltgeschehen bebilderte Wandzeitung hinter Plastikplanen oder auch skulpturale Objekte wie einen weißen Ball und ein über Stufen zerlaufendes Bodenmuster. Eine komponierte Geräuschkulisse dringt herein aus dem Off, Menschengebrabbel oder akustischer Bruitismus, irritierend von Robert Merdzo implantiert in die andauerende Stille eines zuschauerlosen Artefakts als Livestream.

Der Raum atmet strukturierte Weite, eingerichtet im Schwere Reiter für ein choreografisches Triptychon von je knapp 50 Minuten Dauer an drei Abenden. Man braucht schon Ausdauer, sich einzulassen auf so ein nur scheinbar repetitives Geschehen, das recht eigentlich die Wiederholung des Immergleichen abstrahiert: choreografisch überhöhter Corona-Alltag im Shutdown, den man nachverfolgt in den eigenen vier Wänden als Teil eines virtuellen Publikums. Jeweils am Ende exerziert Heriban korrektes Händewaschen als rituelle Trockenübung. Und dann schmiert er sich ein Quarkbrot und beamt sich und seine Zuschauer zurück in die Wirklichkeit als sanften Ausklang eines spannenden Experiments, das am dritten und letzten Abend noch einmal an Dynamik zugelegt hat - erstaunlich vor allem deshalb, weil man die einzelnen Bewegungsabläufe ja kannte.

Purucker nämlich arrangiert die Abläufe eines gleichbleibenden Repertoires an Bewegungsmustern jeweils neu, allerdings vor wechselnden Hintergrundprospekten. Irgendwann ist man drin, ist gepackt und bleibt unbedingt dran, weil neue, andere (emotionale) Qualitäten zum Vorschein kommen, wodurch sich immer neue Spannungsmomente und merkwürdige Stimmungsverschiebungen ergeben.

Purucker steht selbst hinter der Kamera und wird beim Filmen gefilmt. Er wird damit zum Akteur grisselig verfremdeter, spontan aufploppender Totalen in Blaugrün. Michal Heriban, ausdrucksstark und dabei zurückgenommen und nach innen gekehrt, hat bei Tisch übrigens ein männliches Gegenüber, einen Komparsen, dessen passive Präsenz jeden Abend bei ihm andere Reaktionen auslöst: Mal ruckt des Tänzers Kopf mehrmals abrupt nach vorn und unten, als sei die Halswirbelsäule abgebrochen, mal rutscht der ganze Mensch spiralig vom Stuhl, krümmt sich am Boden, robbt an der Wand entlang. Eine fühlbare, teilbare Reaktion darauf, die gibt es grad nicht...

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