RB Leipzig:Ohne qualifizierte Fachkräfte

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Der Leipziger Angreifer Christopher Nkunku (vorne) im Duell mit den Wolfsburgern Paulo Otavio und John Anthony Brooks. (Foto: Susanne Hübner/Imago)

Beim Leipziger 2:2 in Wolfsburg verzichtet RB-Trainer Julian Nagelsmann wieder auf einen gelernten Mittelstürmer.

Von Thomas Hürner, Wolfsburg

Ein Leben als Alexander Sörloth dürfte eigentlich nicht beklagenswert sein. Er ist geboren und aufgewachsen in Trondheim, einer norwegischen Märchenstadt mit bunten Häusern und bunten Fjordlichtern. Schon im Jugendalter entdeckte Sörloth seine berufliche Begabung, die zufälligerweise übereinstimmt mit dem Traum der meisten Jungs im Alter von sechs bis 66 Jahren: Als Profifußballer kickte er schon in halb Europa, ehe er zu Saisonbeginn für 20 Millionen Euro nach Leipzig transferiert wurde. Hätte also schlechter laufen können für Sörloth, daran ändert auch das 2:2 von RB in Wolfsburg wenig, das er am Samstag in kompletter Länge von der Bank verfolgen musste.

Ins Leben des Alexander Sörloth, 24, haben sich jedoch zwei Gemeinheiten geschlichen, mit denen er immerzu verglichen wird. Die eine heißt Timo Werner und ist sein Vorgänger im Leipziger Angriff. Werner erzielte in der vergangenen Saison stolze 28 Bundesliga-Treffer und steht mittlerweile in Diensten des FC Chelsea. Die andere heißt Erling Haaland, der mal fast in Leipzig gelandet wäre und als ebenfalls 1,94 Meter großer Stürmer aus Norwegen eine permanente assoziative Bürde darstellt. Sogar Sörloths Premierentreffer in der Bundesliga hat Haaland ihm jüngst vermiest, im direkten Duell traf er einfach doppelt. Borussia Dortmund gewann mit 3:1 gegen RB, die Fachpresse bejubelte mal wieder Erling den Großartigen.

Die meisten Saisontore im Leipziger Team hat Außenverteidiger Angeliño erzielt

Dass am Samstag mal wieder ein Sieg gegen ein Team aus der Top-Sechs-Riege ausblieb, war für Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann "eine Sache der Chancenverwertung". Und damit war es auch eine Sache der fehlenden Stürmertore. Seit dem Weggang von Werner klemmt es in dieser Hinsicht gewaltig bei RB, der treffsicherste Spieler im Kader ist Angeliño, ein Außenverteidiger. Seine vier Saisontore sind ein netter Zusatzbeitrag, aber die Konkurrenz um die vordersten Plätze hat nunmal ihre Lewandowskis und Haalands. Nicht zu verkennen natürlich auch Wolfsburgs Wout Weghorst, der gegen Leipzig sein elftes Saisontor erzielte, per Flugkopfball zum 1:1 (22.).

RB-Coach Nagelsmann lobte hinterher explizit Weghorsts Qualitäten "in der Box", verzichtete seinerseits aber wieder auf qualifizierte Fachkräfte. Das ist eine durchaus antizyklische Tendenz, klassische Strafraumstürmer sind europaweit längst wieder in Mode. In Leipzig hingegen wird in dieser Saison meist das Konzept der "falschen Neun" verfolgt, das einen wendigen Angreifer vorsieht, der die gegnerische Defensive durch ständige Positionswechsel nerven soll. Am Samstag spielte der Mittelfeldmann Emil Forsberg als "falsche Neun", abgesehen von seiner Vorlage zur Leipziger Führung durch Nordi Mukiele (4.) war der Schwede in dieser Rolle jedoch eher eine Fehlbesetzung. Forsberg wurde zur Halbzeit für den noch schmächtigeren Christopher Nkunku ausgewechselt - nicht die besten Voraussetzungen für einen "Infight" mit den robusten Wolfsburger Innenverteidigern, wie auch Nagelsmann einräumte.

Auch Mittelstürmer Yussuf Poulsen durfte nur für die Schlussoffensive eingewechselt

Nach der erneuten Wolfsburger Führung durch Renato Steffen (35.) habe seine Mannschaft mit der "maximalen Schärfe" gespielt, sagte der RB-Coach. Der Leipziger Fußball bot wieder allerlei Variationen, rasante Ballstafetten, temporeiches Flügelspiel - es fehlte jedoch die Zuspitzung im Angriff. Nagelsmann sah seine Spieler einige gute Chancen sowie "zwei tausendprozentige" vergeben, weshalb für den Ausgleich die Macht des Zufalls einschreiten musste: VfL-Torwart Koen Casteels ließ einen Kullerball vor die Füße des RB-Verteidigers Willi Orban prallen, der zum 2:2 traf (54.).

Insofern war es überraschend, dass auch RB-Mittelstürmer Yussuf Poulsen lediglich für die Schlussoffensive eingewechselt wurde. Vor der Partie hatte Nagelsmann seine "Wandspieler" Sörloth und Poulsen noch in Schutz genommen, als er auf den Mangel an Leipziger Stürmertoren angesprochen wurde. Ihnen kämen andere Aufgaben im System zu: Bälle festmachen, Räume schaffen. Bei Sörloth hatte der RB-Coach sogar ausdrücklich über "einen Torriecher" berichtet. Selbst wenn dieser nicht ganz so ausgeprägt sein mag wie bei den Himmelsstürmen Werner und Haaland, was sich im Laufe der Saison ohnehin erst noch bestätigen muss - auch ein halber Werner würde ja umgerechnet 14 Saisontore beisteuern.

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