Herbert Fritsch zum 70.:Das Trampolin, das die Welt bedeutet

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Springteufel, Körperkomiker und Turbo-Kasperl: Wie gut, dass es den großen Bühnenkünstler Herbert Fritsch gibt, der jedes Jahr noch jünger zu werden scheint.

Von Christine Dössel

So sehen Newcomer aus: Herbert Fritsch während einer Pressekonferenz zum 53. Berliner Theatertreffen. (Foto: Soeren Stache/picture alliance/dpa)

Was für ein Kick gleich wieder, wenn man in das Energiefeld von Herbert Fritsch kommt! Der Effekt funktioniert auch übers Telefon. Diese helle, junge, freundlich sprudelnde Stimme. Diese frohgemute Dynamik, die einen sofort in Tatendrang und gute Laune versetzt. Nicht umsonst hat er den Ruf, der Spaßonkel vom gehobenen Dienst im deutschsprachigen Theater zu sein. Der Regisseur Herbert Fritsch ist ein Mann mit Wahnwitz und Verve, ein Übertreibungskünstler, ein Spieler durch und durch. Stets mit vollem Einsatz.

Zuletzt hat er mal wieder seine Gesundheit aufs Spiel gesetzt. Er berichtet von einer üblen Herz- und Gallengeschichte, einem Zusammenbruch, einer OP. Doch selbst wenn Fritsch gelegentlich in den Abgrund blickt - oder gar fällt -, ist er mit springteuflischer Kraft, schwups, wieder da und streckt dem Leben die Zunge raus. So wie die Figuren, die in seinem artistischen Körperkomiktheater auf Trampolinen hopsen und dem Tod oder anderen Zumutungen federleicht von der Schippe schnellen. Die slapstickreiche, streng durchchoreografierte Körperakrobatik ist ein Markenzeichen der Fritsch-Inszenierungen, ebenso wie das exzentrische Knallchargentum bei höchster Genauigkeit und Professionalität der Schauspieler. Die artifiziellen Bühnen, auf denen dieses Grotesktheater stattfindet, entwirft Fritsch selber, Victoria Behr erfindet dazu die bonbonbunten Hybrid-Kostüme und Neobarock-Perücken, Ingo Günther webt den Klangteppich, auf dem die Darsteller schon mal zu Sprechsängern werden. Das Ganze ist so hochmusikalisch, dass es nicht wundernimmt, dass Fritsch zunehmend auch Operetten und Opern inszeniert.

Mit 60 war er der angesagteste Nachwuchsregisseur

Zehn Jahre ist es jetzt her, dass Fritsch, vormals Schauspieler an Frank Castorfs Berliner Volksbühne, seinen Durchbruch als Regisseur hatte. Beim Berliner Theatertreffen 2011 war der Anarcho-Spaßvogel mit gleich zwei Inszenierungen eingeladen: mit seiner vampiristisch-expressionistischen Ibsen-Schreckenssymphonie "Nora" vom Theater Oberhausen und dem Turbo-Kasperletheater "Biberpelz" nach Gerhart Hauptmann vom Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin. Fritsch war damals mit 60 Jahren der angesagteste Nachwuchsregisseur - und startete durch, als sei auch das Theater ein Trampolin.

Bonbonbunter Spaß: Probenfoto von "Cosi fan tutte" in Herbert Fritschs Neuinszenierung 2018 an der Hamburgischen Staatsoper. (Foto: Markus Scholz/dpa)

Sechs Jahre lang in Folge war er mit seinen hochvirtuosen Komödienkunstwerken zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Wobei ihm einige seine größten Hits an der Berliner Volksbühne gelangen, etwa die zwerchfellerschütternde Sprungfeder-Posse "Die (s)panische Fliege" oder das aberwitzige Dada-Spiel "Murmel Murmel" nach einem Text von Dieter Roth, der aus nichts besteht als dem titelgebenden Wort. In "Frau Luna" marodierte, parodierte und modernisierte Fritsch mit seiner Spaßguerilla-Truppe Paul Linckes Operettenstoff, und zum Ende der Ära Castorf fabrizierte er 2016 "Pfusch", eine hochtourige Jam-Session aus Klavier- und Turnstunde in einem Schwimmbad des Irrsinns, inklusive Ein-Meter-Brett.

Mit Castorf verließ nach der Berufung von Chris Dercon auch Fritsch die Volksbühne, sein altes Haus. "Der Abschied hat höllisch wehgetan", sagt er. "Da muss man aufpassen, dass man nicht bitter wird." Schon von 1993 bis 2007 gehörte er dort als Schauspieler fest zum Ensemble, war berühmt-berüchtigt für seine Kamikaze-Auftritte und Extempores. Ein Extremist und Bühnenschreck, unberechenbar auch für seine Kollegen. Seine Schauspielausbildung hat Fritsch an der Münchner Otto-Falckenberg-Schule absolviert, nachdem ein Richter, der es gut mit ihm meinte, ihm die Auflage gegeben hatte, eine Ausbildung zu machen. Fritsch, geboren am 21. Januar 1951 in Augsburg, war ein Problemjugendlicher, der Ende der Sechzigerjahre in der Münchner Drogenszene verkehrte und nicht selten mit dem Gesetz in Konflikt kam. Das Theater war seine Rettung - und seine neue "harte Droge".

"Würde ich jetzt in Rente gehen, wäre ich auf der Stelle tot"

Als Regisseur rockt Fritsch große Häuser wie das Wiener Burgtheater, das Hamburger Schauspielhaus, das Schauspielhaus Zürich. Von 2017 bis 2019 hatte er sich fest an die Berliner Schaubühne gebunden, wo er zuletzt Molières "Amphitryon" mit Joachim Meyerhoff inszenierte. Ein Zerwürfnis mit dem künstlerischen Leiter Thomas Ostermeier beendete auch dieses Kapitel. Am Schauspielhaus Bochum hätte vor ziemlich genau einem Jahr der gemeinsam mit Herbert Grönemeyer erarbeitete Abend "Herbert" herauskommen sollen. Aber da machte Corona einen Strich durch die Rechnung. Die beiden Herberts wollen sich mit dieser Produktion nun selbständig machen.

An diesem Mittwoch wird der ewig jungenhafte Spaßterrorist Fritsch 70 Jahre alt, man glaubt es kaum. Natürlich wird er sich nicht zur Ruhe setzen. Fritsch sagt: "Würde ich jetzt in Rente gehen, wäre ich auf der Stelle tot." Fürs Schauspiel Frankfurt arbeitet er gerade, soweit die Pandemie das zulässt, an Thomas Bernhards "Theatermacher", mit seinem Spezl Wolfram Koch in der Rolle des Bruscon. Der sagt in dem Stück den schönen Satz: "Das Theater ist eine jahrtausendealte Perversion." Ja, "genau!", freut sich Fritsch, darum liebe er das Theater. "Wir alle gieren nach dieser Amoralität." Und das sei als Begründung auch besser als jeder Anspruch von "Systemrelevanz".

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