Ramersdorf:Städtebaulicher Wildwuchs

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Anstelle der alten Villa an der Ottobrunner Straße 3 ist eine Wohnanlage mit Tiefgarage geplant. Der Bauherr versuche offenbar, "sich ein Maximum an Baurecht zu sichern", kritisiert der Bezirksausschuss. (Foto: Florian Peljak)

Weil es bisher keinen Leitplan für das "Erdbeerfeld" gibt, schöpfen Investoren ihr Baurecht bis auf den letzten Meter aus, ohne für die notwendige Infrastruktur zu sorgen. Juristisch korrekt, politisch untragbar, urteilen die Lokalpolitiker

Von Hubert Grundner, Ramersdorf

Von Anfang an hat die Bebauung des "Erdbeerfelds" unter keinem guten Stern gestanden. Der im Sommer landwirtschaftlich genutzten Fläche entspricht auf bürokratischer Ebene der Umgriff des Bebauungsplans 1638. Er erstreckt sich zwischen der Ottobrunner Straße im Westen, dem Diakon-Kerolt-Weg im Norden, dem Wolf-Huber-Weg im Osten und der Gleißnerstraße im Süden. Bereits im Jahr 1988 haben die Stadträte für dieses Areal den Aufstellungsbeschluss für eine Bauleitplanung gefasst. Doch das war's dann auch - bis heute fehlt ein rechtskräftiger Bebauungsplan. Stattdessen herrscht städtebaulicher Wildwuchs, der in erster Linie der Profitmaximierung der Eigentümer dient, während das Gemeinwohl in Form notwendiger Infrastruktureinrichtungen auf der Strecke bleibt. Das zumindest ist der Eindruck, der sich im Bezirksausschuss (BA) Ramersdorf-Perlach verfestigt hat. Ein Eindruck, den die Lokalpolitiker durch zwei aktuelle Bauvorhaben bestätigt sehen.

Beim ersten handelt es sich um den Neubau einer Mietwohnanlage mit 117 Wohneinheiten plus Tiefgarage. Er soll an der Ecke Ottobrunner Straße/Diakon-Kerolt-Weg entstehen. Per Video-Schalte haben der beauftragte Architekt und der Investor den Mitgliedern des BA-Unterausschusses Bau das Projekt erläutert. Wie dessen Vorsitzender Wolfgang Thalmeir (CSU) jüngst in der Vollversammlung des Bezirksausschusses erklärte, übersteige das zur Genehmigung anstehende Vorhaben die im Vorbescheid enthaltene Geschossflächenzahl ganz erheblich. "Darüber hinaus wurde ein weiteres Geschoss auf das Gebäude gesetzt", so Thalmeir. An der Ecke Ottobrunner Straße/Diakon-Kerolt-Weg sei ein Hochpunkt vorgesehen, der gesamte Baukörper wirke sehr massiv.

Der Empfehlung des Unterausschusses, keine "Mehrgenehmigung" gegenüber dem Vorbescheid zu erteilen, schlossen sich jetzt auch die BA-Mitglieder einstimmig an. Dies solle nur dann möglich sein, wenn das "Mehr" an Fläche vollständig in den sozialen Wohnungsbau fließe. Im Hinblick auf das Aussehen des Baukörpers wurde geraten, das Vorhaben der Stadtgestaltungskommission vorzulegen.

Diese Stellungnahme ergänzte Thalmeir um den Hinweis, dass es bei ihr gilt, zwei Entscheidungsebenen auseinanderzuhalten: So sei das Projekt auf der politischen Ebene als "untragbar" einzustufen. Denn die für eine planvolle und geordnete Stadtentwicklung notwendige Infrastruktur werde durch die Bebauung nach Paragraf 34 Baugesetzbuch ohne Bebauungsplan nicht sichergestellt. "Jeder Grundstückseigentümer nimmt sich quasi das an Baurecht, was er bekommen kann. Darunter leidet die Entwicklung des gesamten Gebietes. Es fehlen jetzt beispielsweise schon Schulen, Kitas und Einkaufsmöglichkeiten", kritisieren die Lokalpolitiker. Die nicht vorhandene Verkehrs- und Grünplanung innerhalb des Baugebiets lasse Chaos statt einer zukunftsorientierten und nachhaltigen Entwicklung der bebaubaren Flächen erwarten.

Auf der rein baurechtlichen Ebene, so Thalmeir weiter, bestehe ein genehmigter Vorbescheid, der mangels Bebauungsplan nach Paragraf 34 Baugesetzbuch zu beurteilen war: "Das, was im Vorbescheid dem Bauherrn genehmigt wurde, ist nunmehr auch im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens - leider - zu genehmigen." Daraus ergebe sich aber auch zwingend, dass dem Bauherrn nicht mehr zu gewähren sei, als die rechtliche Situation zwangsläufig vorgebe, mahnen die Lokalpolitiker. Ein höheres Bauvolumen dürfe die Stadt nur gewähren, wenn im Gegenzug der Bauherr einen maßgeblichen Beitrag zum sozialen Wohnungsbau oder zur Infrastruktur des Baugebiets leiste. In diese Richtung, so die Empfehlung, solle die Stadt mit dem Bauherrn weitere Gespräche führen und über das Ergebnis dem BA berichten.

Ebenso wenig Freude hat den Lokalpolitikern der geplante Neubau einer Wohnanlage mit Tiefgarage an der Ottobrunner Straße 3 gemacht. Dabei handle es sich um einen massiven und großen Baukörper im Bereich des vorgesehenen Bebauungsplans 1638. Weiter hieß es dazu: "Auch hier versucht der Bauherr ganz offensichtlich aufgrund des fehlenden Bebauungsplans über Paragraf 34 Baugesetzbuch sich ein Maximum an Baurecht zu sichern." Auch in diesem Fall werde den notwendigen verkehrlichen und sozialen Infrastruktureinrichtungen keinerlei Beachtung geschenkt. Eine planvolle Entwicklung des gesamten Gebietes werde konterkariert. Schlussfolgerung des BA: "Bereits aus diesem Grund ist das Bauvorhaben als rücksichtslos und nicht wünschenswert abzulehnen."

Im Übrigen ergebe sich aus den vorgelegten Plänen ein massiver Eingriff in einen alten, geschützten Baumbestand. Dies sei unter keinen Umständen hinzunehmen. In Anbetracht der Bedeutung des Projekts für die weitere Entwicklung des Gebietes dringen die BA-Mitglieder auf eine Präsentation des Bauvorhabens durch den Bauherrn und den Architekten.

© SZ vom 21.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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