Null Acht Neun:Genug gequasselt

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Die MVG will ihre Fahrgäste zum Schweigen bringen, damit diese nicht zu viele Aerosole in die Luft blasen. Schlimm ist das nicht. Der Unterhaltungswert der meisten Fremdgespräche hält sich eh in Grenzen

Kolumne von Andreas Schubert

Der 27. August 2003 war ein historisches Datum für alle Plappermäuler dieser Stadt. An diesem Tag hob die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) das Handy-Verbot in Bussen und Trambahnen auf. Bis auch in der U-Bahn munter drauflos ferngequasselt wurde, dauerte es dann aber noch acht Jahre, denn die MVG sträubte sich lange, einen Empfang zu ermöglichen mit der Begründung, das Telefonieren gehe anderen Fahrgästen auf die Nerven, und für Notrufe gebe es schließlich in Zügen und Bahnhöfen Notrufpunkte.

Freilich hatte die MVG nicht ganz unrecht. Der Unterhaltungswert der meisten Fremdgespräche hielt sich in Grenzen. Von dem, was man unfreiwillig so alles über Beziehungs- oder Gesundheitsprobleme anderer mitbekam, kam einem schon mal das Frühstück hoch. Nicht selten dachte man an das berühmte Zitat des Philosophen Boethius "si tacuisses . . . ". Und manchmal malte man sich in Bus und Tram aus, mit dem Nothammer die Scheibe einzuschlagen, und per Hechtsprung dem Gelaber zu entkommen. Das ist zum Glück heute anders. Heute wird eher getextet als geredet. Und wer trotzdem Zeuge eines Telefonats über eitrige Intimfurunkel wird, steckt sich einfach die Ohrstöpsel rein und hört mit dem Smartphone ganz laut entspannenden Heavy Metal. Das Album "Kill 'em all" von Metallica ist in solchen Fällen reinste Nervennahrung.

In den nächsten Tagen will die MVG nun Aufkleber in ihre Fahrzeuge pappen, mit denen sie darum bittet, möglichst die Klappe zu halten und erst recht nicht zu telefonieren. Was sich anhört wie ein kostenloses Wellness-Angebot für gestresste Pendler, ist allerdings der Corona-Pandemie geschuldet: Passagiere sollen nicht unnötig Aerosole in die Luft blasen und eventuell andere anstecken. Spanien, wo es besonders viele Redselige in den Öffentlichen geben soll, hat's vorgemacht. Und weil die Münchner ja im Herzen auch Südländer sind, zieht man halt jetzt nach.

Freilich werden Corona-Skeptiker jetzt wieder nölen, sie werden sich von einer dahergelaufenen Verkehrsgesellschaft nicht den Mund verbieten lassen. Man kann nur darauf warten, dass sich Demonstranten in der U-Bahn zum Telefon- und Laber-Flashmob zusammenrotten. Denen kann man dann nur den Kabarettisten Josef Hader entgegenhalten. Der hat das Boethius-Zitat einst treffend mit "Hätts't die Pappn g'holtn, hätt kaner g'merkt, dass'd deppat bist" übersetzt.

© SZ vom 23.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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