Schwabing:Chancenlos

Schwabing: Vergebliche Suche: Eineinhalb Jahre bemühten sich Stadt und Träger um Ersatz für das Haus an der Arcisstraße 63.

Vergebliche Suche: Eineinhalb Jahre bemühten sich Stadt und Träger um Ersatz für das Haus an der Arcisstraße 63.

(Foto: Robert Haas)

Zu teure Mieten und zu wenige Angebote: Die Suche nach einer Ersatzimmobilie ist gescheitert. Das "Boardinghaus Arcisstraße" für Menschen mit seelischen Behinderungen wird aufgelöst

Von Ellen Draxel, Schwabing

Das "Boardinghaus Arcisstraße", eine sozialtherapeutische Einrichtung für Menschen mit psychischen Erkrankungen, wird aufgelöst. Mehr als eineinhalb Jahre lang haben die Stadt und der Träger Soziale Dienste Psychiatrie gemeinnützige GmbH versucht, für dieses "besonders wertvolle Angebot", wie Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek die betreute Wohnform im Herzen Westschwabings lobt, eine Ersatzimmobilie zu finden. Ohne Erfolg, es fanden sich keine bezahlbaren Objekte. Zwar hieß es im Sommer noch, geplant sei ein Neubau im Kreativquartier unter dem Dach der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewofag. Mittlerweile ist aber klar, dass mit der Fertigstellung des Gewofag-Gesamtprojekts frühestens im Jahr 2026 zu rechnen ist - weshalb das Kreativquartier als Folgestandort laut Zurek "keine planbare Option darstellt".

Das Haus an der Arcisstraße 63 ist etwas Besonderes. 37 erwachsene Frauen und Männer jeden Alters lebten hier in den vergangenen zwölf Jahren in sieben Apartments und 15 Zweizimmerwohnungen zusammen: Menschen mit seelischen Behinderungen, die in dieser Einrichtung die Chance bekamen, wieder ein eigenständiges Leben zu erlernen. Sozialpädagogen und Fachkräfte begleiteten die Bewohner beim Einkaufen, unterstützten beim Aufräumen, bei der Körperpflege oder beim morgendlichen Aufstehen. Sie halfen den Menschen, eine Tagesstruktur aufzubauen und Kontakte zu anderen zu pflegen - und waren dabei fast rund um die Uhr erreichbar. Dank des flexiblen Betreuungsschlüssels war es möglich, mit einer intensiveren Unterstützung zeitweilig auftretende Krisen ambulant aufzufangen und stationäre Weiterbetreuungen zu vermeiden.

Doch infolge mehrerer Eigentümerwechsel der Immobilie und damit verbundener Mieterhöhungen wurde das Haus immer teurer, das Geld der Bewohner reichte nicht mehr für die Miete. Der Einrichtungsträger entschloss sich daher, den Mietvertrag zum März 2021 zu kündigen. Die Stadt hätte das Gebäude zwar erwerben können, da es in einem Erhaltungssatzungsgebiet liegt und der Kommune in diesem Fall das Vorkaufsrecht zusteht. Aber die Kosten für die Immobilie hätten deutlich über dem Verkehrswert gelegen, weshalb sich der Kommunalausschuss des Stadtrats dagegen entschied.

Für Gesundheitsreferentin Zurek ist die Geschichte der Arcisstraße 63 kein Einzelfall. Die frühere SPD-Stadträtin, die seit langem dem Münchner Mieterverein vorsteht, betont, "dass es sich hierbei um ein erhebliches strukturelles Problem handelt, das einem äußerst angespannten Miet- und Immobilienmarkt geschuldet" sei. Viele Träger fänden "keine bezahlbaren Objekte zur Umsetzung von betreuten Wohnangeboten mehr, sodass Planungen und Vereinbarungen über ambulante Angebote nicht umgesetzt werden" könnten. Insbesondere der Ansatz, auch intensiven Unterstützungsbedarf in einer ambulanten Betreuungsform zu decken und damit dem Grundsatz "ambulant vor stationär" Rechnung zu tragen, sei auf dem freien Miet- und Immobilienmarkt in München "kaum noch umsetzbar". Das habe zur Folge, dass stationäre Einrichtungen oftmals keine Anschlussperspektive mit ihren Klienten entwickeln können - obwohl der Unterstützungsbedarf dies zulassen würde. Die Unterstützung der freien Wohlfahrtspflege zur Umsetzung sozialer Einrichtungen als Teil kommunaler Daseinsvorsorge sei daher "dringend geboten".

Der Bezirk Oberbayern, das Sozialreferat und das Planungsreferat haben sich deshalb darauf verständigt, im Rahmen eines Verfahrens zur Bedarfsanmeldung und Umsetzung ambulanter Wohnformen für Menschen mit Behinderungen künftig enger zusammenzuwirken. Dabei geht es vor allem darum, die bilaterale Kommunikation zwischen freier Wohlfahrtspflege und der Stadt zu optimieren, sobald Immobilien oder Flächen auf städtischem Grund für eine Umsetzung von Angeboten für Menschen mit Behinderungen in Frage kommen oder dringend benötigt werden. Der Bezirk Oberbayern hat außerdem im Mai 2020 eine Wohnraumkoordination eingerichtet, die gezielt für eine erfolgreichere Vernetzung der Wohnungswirtschaft, der Kommunen sowie der Leistungserbringenden der Eingliederungshilfe sorgen soll. Leistungsberechtigte Personen sollen darüber hinaus direkt bei der Akquise von bezahlbarem Wohnraum unterstützt werden. Diese Wohnraumkoordination unterstützt auch den Träger der sozialtherapeutischen Einrichtung in der Arcisstraße bei der Suche nach geeigneten Mietobjekten.

Favorisiert hätten die Verwaltung, die Soziale Dienste Psychiatrie gemeinnützige GmbH und die Politik eine gemeinsame, möglichst ortsnahe Unterbringung der hilfebedürftigen Menschen aus der Arcisstraße. Dies ist mangels freier, bezahlbarer Räumlichkeiten nun nicht realisierbar, aber bis auf fünf konnten inzwischen allen Bewohner "angemessene Wohnraumangebote und bei Bedarf Betreuungsmaßnahmen vermittelt werden", sagt Zurek. Etwa im Neubauquartier Prinz-Eugen-Park. Der Träger geht davon aus, dass das auch bei den verbliebenen Personen noch gelingt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: