Theater:Dreifach eindimensional

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"Ist es gut, was ich tue? Hat es Sinn, was ich tue?" Das fragt sich die Schauspielerin im Stück, eine der drei Rollen von Juliane Köhler. (Foto: Adrienne Meister)

Bei der Online-Premiere von "Niemand wartet auf dich" schlüpft Juliane Köhler am Residenztheater in mehrere Rollen. Regisseurin Daniela Kranz nimmt das digitale Format allerdings nicht ernst genug - ein ärgerliches Versäumnis

Von Christiane Lutz

Ja, es ist unendlich schade, dass aktuell nicht vor Publikum gespielt werden darf. Ja, es muss mühsam sein für die Künstlerinnen und Künstler, damit umzugehen. Und ja, Theater im digitalen Raum ist (noch) nicht das Wahre. Aber nein, das kann keine Entschuldigung sein, sich dem nur halbherzig zu widmen. Dieser Eindruck entsteht bei der Zoom-Premiere von "Niemand wartet auf dich" am Residenztheater, inszeniert von Daniela Kranz. Denn wer entscheidet, eine Inszenierung für das Netz zu machen, sollte es ernst nehmen. Sprich: mit der Kamera arbeiten, mit dem Bildausschnitt, mit Nähe, Distanz, Orten spielen. Es gibt viele Möglichkeiten. Keine davon nimmt Kranz wahr.

"Niemand wartet auf dich" ist komplett vom analogen Raum her gedacht und wird genau so irgendwann im Marstall vor Publikum stattfinden können. Die Inszenierung wirkt digital aber wie vor der Pandemie entstanden und nun abgefilmt. Das drückt ein großes Sehnen nach einer baldigen Rückkehr in den analogen Raum aus, das viele Menschen teilen. Dieses stoische Festhalten am alten Normal ist auf eine Weise rührend altmodisch, gleichzeitig aber wirkt es geradezu bequem und, leider, langweilig.

Juliane Köhler, die für all das gar nichts kann, spielt in dem einstündigen Monolog. Es ist die deutschsprachige Erstaufführung eines Textes der für ihre Monologe bekannten, niederländischen Autorin Lot Vekemans. "Judas" etwa ist ein eigenwilliges Porträt des Unglückseligen, der als Jesus-Verräter in die Geschichte einging. Eine Inszenierung von Johan Simons aus dem Jahr 2012, mit Steven Scharf, der eine Stunde lang nackt auf einer Leiter sitzt, den Rücken zum Publikum, läuft bis heute an den Kammerspielen. Vekemans ist gut darin, ungewöhnliche Zugänge zu und Empathie für Übersehene zu schaffen. Ihre Figuren richten sich oft direkt an die Zuschauer, ohne sich billig ranzuwanzen.

Bei "Niemand wartete auf dich" sind es drei Frauen unterschiedlichen Alters. Sie kennen sich nicht und doch verbindet sie die Frage, was im Leben eigentlich ihre "Angelegenheit" ist, und was nicht. Und wie man erkennt, wann was zutrifft. Gerda, 85, sammelt herumliegenden Müll jetzt auf, statt sich nur darüber zu ärgern. "Deine Angelegenheiten sind alle Angelegenheiten, an denen du etwas ändern kannst", sagt sie, die dünnen Hände knetend. Dann die Politikerin Ida, die keine Lust mehr auf falsche Versprechungen hat und sich wünscht, Politiker würden ihre Unsicherheiten einfach eingestehen. Die dritte ist eine Schauspielerin, Köhler auf gewisse Weise. Sie hadert mit der Frage, was sie in ihrem Beruf bewirken kann.

Die bereitwillige Übernahme von Verantwortung für alles und jeden ist ein Thema, das vor allem Frauen zu beschäftigen scheint. Sie scheinen anfälliger, sich gemeint zu fühlen, sei es beim Erinnern von Kollegengeburtstagen, beim Haushalt oder eben bei sozialer Verantwortung. Vekemans Text plädiert aber keinesfalls dafür, Dinge zu eigenen Angelegenheiten zu machen. Der Titel "Niemand wartet auf dich" kann auch als Entlastung gelesen werden: Entspann dich, die Dinge laufen auch ohne dich. Es ist ein Text, der auch die Grenzen der Verantwortung zeigt.

Juliane Köhler spielt sich konzentriert durch die drei Figuren und ist in der Rolle der Schauspielerin, auf schöne Weise durchlässig; es ist beinahe, als erfahre man tatsächlich etwas von ihr, wenn sie am Ende alle drei Kostüme abgelegt hat und, so scheint es, bei sich angekommen ist. Die Kamera folgt ihr brav von Station zu Station, mehr macht sie nicht.

Diese Art von Nutz-Streams gab es vergangenes Frühjahr oft. Da war das zum Zuschauen schon nicht der Hit, aber legitim, weil auch die Theater vom Virus überrumpelt waren, und man so wenigstens in Kontakt bleiben konnte. Fast ein Jahr später aber eine Zoom-Inszenierung zu machen, der jegliche Regie-Idee für und jeglicher kreative Umgang mit dem Medium fehlt, ist ärgerlich und liegt weit unter den Möglichkeiten des Residenztheaters.

Es darf von Theatern nicht zu viel verlangt sein, mit der Realität künstlerisch umzugehen. Gerade die großen, die über das Geld, die Technik und über top Personal verfügen. Wer, wenn nicht sie sollten in der Lage sein, originelle Ideen für den digitalen Raum zu entwickeln? Das Theater Augsburg verschickt etwa eifrig VR-Brillen an sein Publikum und hat inzwischen sechs Inszenierungen für das Format im Angebot. Eine eindeutige, künstlerische Haltung.

Auch das Residenztheater hat schon besseres gemacht, etwa mit "50 Mal Lenz" mit Lisa Stiegler. Nur je fünf Zuschauer durften zuschauen, Stiegler spielte aus einer klaustrophobischen Garderobe, kletterte aufs Fensterbrett, nutzte die Möglichkeiten dieses Raumes. Bei "Niemand wartet auf dich" aber ist Zoom eine Krücke, der keine eigene künstlerische Kraft zugestanden wird. Ein Versäumnis.

© SZ vom 25.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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