Estland:Weibliche Doppelspitze

Estland: Vor zwei Jahren gewann ihre Partei die Parlamentswahl, nun ist Kaja Kallas Ministerpräsidentin.

Vor zwei Jahren gewann ihre Partei die Parlamentswahl, nun ist Kaja Kallas Ministerpräsidentin.

(Foto: Raul Mee/AP)

Eine Präsidentin hat Estland schon seit 2016, doch zwei Jahre nach ihrem Wahlsieg wird nun auch Kaja Kallas Ministerpräsidentin. Die ohne die Stimmen ihrer Reformpartei gebildete Vorgängerregierung zerbrach an Korruptionsvorwürfen - schadete aber vor allem durch nationalistische Ausfälle dem Image des Landes.

Von Kai Strittmatter, Kopenhaben

Im zweiten Anlauf hat es nun geklappt: Kaja Kallas wird die nächste Ministerpräsidentin Estlands. Die 1977 geborene Juristin und ehemalige Europaabgeordnete wird die erste Frau auf diesem Posten sein, Estland bekommt damit eine weibliche Doppelspitze: Staatspräsidentin ist seit 2016 schon die Ökonomin Kersti Kaljulaid. Am Montagnachmittag unterzeichneten Kallas' Reformpartei und die Zentrumspartei den Koalitionsvertrag, am Dienstag schon möchte die neue Regierung die Arbeit aufnehmen. "Wir haben keine Zeit zum Atemholen", sagte Kaja Kallas: Corona-Pandemie und Wirtschaftskrise verlangen eine starke Regierung.

Zwei Jahre erst ist es her, dass Kaja Kallas mit ihrer marktliberalen Reformpartei als Siegerin aus den Parlamentswahlen hervorgegangen war -, nur um dann die Regierungsmacht vor der Nase weggeschnappt zu bekommen von der zweitplatzierten Zentrumspartei. Der gelang dieser Winkelzug im März 2019 unter dem damaligen Ministerpräsidenten Jüri Ratas nur, weil sie ein altes Tabu brach und die rechtsextreme und europafeindliche Ekre in ihre Regierung einlud. Ekre erwies sich in der Folge als nie versiegender Quell an Skandalen. Die Regierung des Jüri Ratas zerbrach am 13. Januar dieses Jahres dann aber an einem Korruptionsskandal seiner eigenen Zentrumspartei.

Das Ende der alten Regierung haben viele europafreundliche und liberale Esten mit einem Aufatmen begrüßt. "Das liberale Estland ist zurück", schrieb am Montag Kristi Raik, die Direktorin des Estnischen Instituts für Außenpolitik, in einem Kommentar. Dass Kaja Kallas allerdings nun mit eben dieser durch Korruption in Zwielicht geratenen Zentrumspartei ein Bündnis eingeht, hat nicht wenige überrascht. Die neue Ministerpräsidentin bestand auch deshalb darauf, das Kabinett mit frischen und unbelasteten Gesichtern zu füllen. Ein Ergebnis: Sieben der 15 Posten sind nun mit Frauen besetzt, auch das gab es in Estland noch nie.

Kallas formte die zerstrittene Partei zum Wahlsieger

Kaja Kallas ist Tochter eines prominenten Vaters. Siim Kallas war schon 1987 in der estnischen Unabhängigkeitsbewegung aktiv, später diente er dem Land unter anderem als Außenminister und Ministerpräsident, zwischen 2004 und 2014 dann auch ein Jahrzehnt lang als EU-Kommissar. Kaja Kallas erzählte später, wie sie früh politisiert wurde, sich zunächst aber von Parteipolitik fernhielt, um nicht ständig mit dem Vater verglichen zu werden. Sie studierte Jura, wurde Rechtsanwältin, trat 2010 schließlich doch ein in die vom Vater mitbegründete Reformpartei. Die Partei hat ein marktliberales Profil, trägt mitunter aber auch nationalkonservative Züge.

Der Schatten des Vaters war lang. Als Kaja Kallas ein Buch über ihre Jahre in Brüssel von 2014 bis 2018 veröffentlichte und darin ebenso von prächtigen Empfängen, schönen Ballkleidern und berühmten Gesprächspartnern schwärmte wie von politischen Projekten, da wurde das Werk von manchen als "Prinzessinnentagebuch" verspottet. Als sie dann im Jahr 2018 zur ersten Frau an der Spitze der Reformpartei gewählt wurde, zeigte sie es ihren Kritikern allerdings: Innerhalb kürzester Zeit machte sie aus einer zerrütteten, 2016 vom Wähler abgestraften Partei den Wahlsieger von 2019.

Kallas hat es als eine ihrer wichtigsten Aufgaben benannt, in Europa und den USA den Schaden wieder zu kitten, den die ultranationalistischen Politiker der Ekre mit ihren provokativen Äußerungen in den letzten beiden Jahren am Image Estlands angerichtet haben. Zur Seite stehen wird ihr dabei eine der neuen Frauen im Kabinett: Außenministerin wird die vom Zentrum nominierte bisherige Botschafterin in Prag, Eva-Maria Liimets.

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