Nachruf:Ein großes Herz für Minderheiten

Der fruehere Bundesverfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz am 29 05 2019 in seinem Haus in Han

Der frühere Bundesverfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz im Mai 2019 in seinem Haus in Hannover. Er wurde 91 Jahre alt.

(Foto: Jens Schulze/imago images)

Der Verfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz war einst die fortschrittliche Stimme im konservativ geprägten Zweiten Senat. Der Sozialdemokrat war aber auch Abgeordneter, Kultusminister und Funkhaus-Direktor.

Von Helmut Kerscher, Karlsruhe

Er wisse ja nicht, ob der liebe Gott ihm diese acht Monate noch schenke, sagte Ernst Gottfried Mahrenholz im Jahr 1993. Damals war er 64 Jahre alt und musste als Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts noch lange nach Ablauf seiner Amtszeit auf eine Einigung von CDU/CSU und SPD über seine Nachfolge warten - die Wahl fiel auf Jutta Limbach, die später Präsidentin des Gerichts wurde. Der liebe Gott, zu dem der Pastorensohn aus Niedersachsen viel Vertrauen hatte, schenkte ihm dann noch viele gute Jahre. Am vergangenen Donnerstag starb er im Alter von 91 Jahren in seinem Haus in Hannover.

Wer mit Mahrenholz noch wenige Tage vorher telefoniert hatte, erlebte nach übereinstimmenden Berichten von Freunden einen gewohnt munteren Mann mit kräftiger Stimme. Klagen über gesundheitliche Beeinträchtigungen waren ihm bis zuletzt fremd. Er schätzte andere Themen, vorzugsweise solche aus den Bereichen Politik und Kirchen. Da blieb Mahrenholz ein bestens informierter, kritischer und kreativer Gesprächspartner. So focht er mit Verve für längere Öffnungszeiten der Wahllokale und seit Jahrzehnten für eine Reform des Wahlrechts. Zu Hochform lief der vielseitig interessierte Mahrenholz auch bei den Stichworten Bundesverfassungsgericht und SPD auf. Diese Partei, in die er mit 21 Jahren eingetreten war, begleitete er durch all ihre Höhen und Tiefen, auch in Form vielfältiger Anregungen. Mahrenholz war das Gegenteil eines Parteisoldaten, obwohl sein Lebenslauf eng mit der SPD verbunden war.

Ein Verbot der NPD lehnte der Niedersachse ab

Drei Wesenszüge prägten seinen Umgang nicht nur mit der SPD: Klarheit, Haltung und Unberechenbarkeit. Selbst wer sein beeindruckendes Fundament an Wissen und Werten sowie seine darauf aufbauende Argumentationskraft kannte, wurde immer wieder verblüfft. So warb er heftig für die Freiheit zum Tragen des Kopftuchs oder lehnte ein Verbot der NPD ab. Als Redner, Autor und Präsident (der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Gesellschaft, der Deutsch-Israelischen Juristenvereinigung und der Deutschen Sektion der Internationalen Juristenkommission) blieb Mahrenholz im öffentlichen Leben viele Jahre präsent.

Nach seinem Studium von Fächern wie Theologie, Psychologie und Philosophie wandte er sich den Rechtswissenschaften zu. Als Jurist ging er in die niedersächsische Verwaltung, wurde 1960 persönlicher Referent des Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf und später Staatssekretär. Einige Jahre war Mahrenholz Direktor des Funkhauses Hannover des Norddeutschen Rundfunks, von 1974 bis 1976 war er niedersächsischer Kultusminister.

Auch dank dieser Ämter gehörten die Kultur und die Medien zu den Schwerpunkten seiner Interessen. Nach der Wahl von Ernst Albrecht (CDU) blieb er Landtagsabgeordneter und ließ sich als Rechtsanwalt nieder.

Ernst-Wolfgang Böckenförde

Die Verfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz (links) und Ernst-Wolfgang Böckenförde.

(Foto: Regina Schmeken/Regina Schmeken/SZ Photo)

Bundesweit bekannt wurde Mahrenholz nach seiner Wahl zum Richter am Bundesverfassungsgericht (1981) und zu dessen Vizepräsidenten (1987) - sowie durch mehrere "abweichende Meinungen" zu Entscheidungen des konservativ geprägten Zweiten Senats, dessen Vorsitzender Mahrenholz war. Als solcher leitete er auch das Verfahren zur Reform des Abtreibungsrechts, zu dessen Liberalisierung sich das Gericht nach langen Beratungen durchrang. Auf ihn gingen Entscheidungen zur Begrenzung der lebenslangen Freiheitsstrafe und zum Hafturlaub auch eines NS-Massenmörders zurück. In seinen Spezialgebieten Strafvollstreckungs-, Wahl- und Parlamentsrecht offenbarte sich sein großes Herz für Minderheiten. Das schlug insbesondere in den letzten Jahren auch für Flüchtlinge.

Der Mensch Mahrenholz liebte das Leben und konnte sehr ausgelassen sein. Mitten in seinen Achtzigerjahren wurde er vergnügt auf einem Kettenkarussell gesehen.

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