Bundeswehr:Das weiße Tuch im Koffer

Bundeswehr: Nariman Hammouti, Leutnant zur See, ist Schätzungen zufolge eine von 3000 muslimischen Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr.

Nariman Hammouti, Leutnant zur See, ist Schätzungen zufolge eine von 3000 muslimischen Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr.

(Foto: privat)

Muslime in der Bundeswehr fordern die Gleichstellung mit anderen Konfessionen. Doch es gibt noch immer keine islamischen Militärseelsorger. Auch auf religiöse Bräuche im Fall des Todes eines Soldaten wird keine Rücksicht genommen.

Von Christoph Koopmann, München

Dass der Tod zum Berufsrisiko gehört, merkt Nariman Hammouti spätestens ein paar Wochen vor dem Abflug an diesem weißen Tuch. Gerade ist es wieder so weit. Irgendwann in den nächsten drei, vier Wochen beginnt die Quarantäne. Und dann folgt der Flug in den Südsudan. Nariman Hammouti ist seit 2005 bei der Bundeswehr. 2008 ist sie zum ersten Mal nach Afghanistan geflogen, 2011 zum zweiten Mal. Jedes Mal musste sie vorher dieses Tuch falten und in die Tasche packen. Ihr Leichentuch. Für den Fall, dass im Auslandseinsatz irgendetwas kolossal schiefläuft. "Das gehört dazu", sagt Nariman Hammouti. Was aus ihrer Sicht nicht dazugehören sollte: Dass sie sich um dieses Tuch selbst kümmern muss.

Die Sache ist nämlich, dass Nariman Hammouti, 41, Muslima ist. Und nach muslimischem Brauch werden Verstorbene eben in ein Leichentuch gehüllt. Von solchen Dingen aber steht nichts in den Dienstvorschriften der Bundeswehr. Für ihre Einsätze in Afghanistan musste sich Nariman Hammouti das Tuch also selbst kaufen. Ein Unding, findet Leutnant zur See Hammouti. "Auch wir Muslime dienen Deutschland", sagt sie. "Wir sind bereit, unser Leben für die Bundesrepublik zu lassen. Da müssen die Bundeswehr und die Politik uns doch auch diese letzte Ehre erweisen." Hammouti ist auch Vorsitzende des Vereins "Deutscher Soldat", der sich für Vielfalt und Toleranz in der Truppe einsetzt.

Schätzungen zufolge dienen heute 3000 Muslime in der Bundeswehr. Ganz genau weiß das niemand, weil die Soldatinnen und Soldaten ihre Konfession nicht angeben müssen. Mehrfach hat die Bundeswehr das Ziel ausgegeben, Angehörige aller Religionen gleichzustellen, Muslime, Juden, Christen, andere. Nur, vorangegangen ist es bis jetzt nicht überall.

"Der Umgang mit Todesfällen erfolgt nach den gültigen Regelungen hinsichtlich einer Einsargung"

Ein Unding, findet auch die Bundestagsabgeordnete Filiz Polat. "Dass muslimische Soldatinnen und Soldaten ihre Leichentücher selbst organisieren müssen, ist ein unhaltbarer Zustand." Sie sagt, das sei auch nur ein Symptom für eine allgemein fehlende Wertschätzung der Muslime in der Truppe. Polat ist integrationspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Als sie im Dezember in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung davon las, dass Nariman Hammouti das Tuch für ihre Einsätze selbst beschaffen musste, fragte sie bei der Bundesregierung nach, wie sie das denn begründe - und ob man vorhabe, das zu ändern.

Die Antwort, die sie Mitte Januar bekam, lautet kurz zusammengefasst: nein. Peter Tauber (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, schrieb Polat: "Der Umgang mit Todesfällen erfolgt nach den gültigen Regelungen hinsichtlich einer Einsargung." Und: "Ein aus religiösen Gründen zu verwendendes Leichentuch ist vor diesem Hintergrund nicht vorgesehen und wird auch grundsätzlich nicht vorgehalten." Nach der Zentralen Dienstvorschrift A-2641/4, die die "Fürsorge in Todesfällen" regelt, würde auch ein Leichentuch bezahlt. Bloß greift diese Regelung normalerweise eben erst im Todesfall, nicht vorher.

Für Filiz Polat zeigen diese Sätze: "Offensichtlich hat sich die Bundesregierung überhaupt nicht damit auseinandergesetzt, wo das Problem für Muslime liegt." Im Antwortschreiben heißt es weiter, muslimische Soldatinnen und Soldaten könnten sich ja vor einem Einsatz an ihre Vorgesetzten wenden, falls sie eine Bestattung nach religiösem Brauch wünschten. "Auch kann um Unterstützung durch die Militärseelsorge gebeten werden."

Mitte 2021 soll es die ersten Militärrabbiner geben

Nur: Die gibt es für Muslime bislang nicht. Als Ursula von der Leyen (CDU) noch Verteidigungsministerin war, hat sie am 4. April 2019 in ihrem Tagesbefehl an die Truppe verkündet, sie habe die Einrichtung einer jüdischen Militärseelsorge beschlossen. Gleichzeitig habe man vor, auch für Musliminnen und Muslime ein "geistliches Angebot" zu schaffen.

Die ersten Militärrabbiner für die etwa 300 jüdischen Bundeswehrsoldaten sollen nach Angaben eines Sprechers des Verteidigungsministeriums Mitte dieses Jahres ihre Arbeit aufnehmen. Nur bei den Militärimamen ist die Bundeswehr offenbar keinen Schritt weitergekommen, auch unter von der Leyens Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nicht.

Der Ministeriumssprecher schreibt auf SZ-Anfrage, "der Bedarf an einer Erweiterung der bestehenden Militärseelsorge oder die Notwendigkeit anderer seelsorgerlicher Angebote" werde "fortgesetzt geprüft". Für eine islamische Militärseelsorge entsprechend der katholischen, evangelischen oder jüdischen könne aber kein Staatsvertrag geschlossen werden, weil Muslime in Deutschland nicht durch eine einheitliche Institution vertreten werden.

"Das Verteidigungsministerium versteckt sich nach wie vor hinter der Aussage, man könne keinen Staatsvertrag schließen. Dabei gibt es auch andere Lösungen", sagt die Abgeordnete Filiz Polat. Etwa, dass externe Seelsorger von Islamverbänden Verträge bei der Bundeswehr bekommen. Auch das hatte schon Ursula von der Leyen ins Spiel gebracht, konkret ist es aber in den beinahe zwei Jahren seitdem nie geworden. Aus dem Ministerium heißt es, man "prüft derzeit Möglichkeiten" wie diese.

Bundespräsident Steinmeier wünscht sich wenigstens ein "externes seelsorgerisches Betreuungsangebot"

"Die Bemühungen um eine islamische Militärseelsorge sind absolut unzureichend", findet Filiz Polat. "Echte Gleichbehandlung und Wertschätzung sieht anders aus." Auch Soldatin Nariman Hammouti hat kein Verständnis dafür, dass bislang nichts passiert ist. "Da bricht sich doch niemand einen Zacken aus der Krone, wenn man uns eine Seelsorge zugesteht", sagt sie.

Im September hat sie in der Sache einen Brief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier geschrieben, den sie 2017 als Mitglied der Bundesversammlung gewählt hat. Neulich hat sie eine Antwort bekommen. Da schreibt auch Steinmeier, dass der Umstand mit dem Staatsvertrag die Einrichtung eines solchen Angebots bislang nicht zulasse - "leider". Er wünsche sich deshalb, dass das Verteidigungsministerium übergangsweise wenigstens ein "externes seelsorgerisches Betreuungsangebot" einrichten würde.

Schon in Afghanistan hätte sich Nariman Hammouti in einigen Situationen geistlichen Beistand gewünscht. Immerhin, das neue Leichentuch für ihren baldigen Einsatz als UN-Militärbeobachterin im Südsudan hat ihr die Bundeswehr besorgt. Eine Ausnahme. Hammouti sagt, das sei nur gegangen, weil ihr Vorgesetzter sich persönlich dafür eingesetzt und sich mit dem Haushälter angelegt habe. Wegen 119 Euro.

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