70 Jahre Haus der Landwirtschaft:Üben fürs ganze Leben

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Leibesertüchtigung und Christliche Lebenskunde standen ebenso auf dem Kursprogramm der Herrschinger Bäuerinnenschule wie Theaterbesuche und Agrarpolitik. Wichtig war auch das Gemeinschaftserlebnis: Die Teilnehmerinnen blieben sich oft lebenslang verbunden. (Foto: Haus der Bayerischen Landwirtschaft)

Die Bildungseinrichtung in Herrsching entstand aus der Bäuerinnenschule am Pähler Hartschimmelhof. Viele Frauen haben seither dort gelernt - eine Absolventin aus dem Jahr 1970 erinnert sich.

Von Leonie Daumer, Herrsching

Fragt man Katharina Stanglmair nach ihrer Zeit in der Bäuerinnenschule, gerät sie ins Schwärmen: "Das war eine hochinteressante, unbeschwerte Zeit, die mich mein Leben lang geprägt hat." Auch wenn es mehr als 50 Jahre her ist, dass sie 1970 als 20-jähriges Mädchen aus der Hallertau den Grundkurs der Schule im heutigen Haus der bayerischen Landwirtschaft am Ammersee besucht hat, sind ihre Erinnerungen noch frisch: "Wir waren 51 Mädchen, die in Dreibettzimmern mit einem Tisch, drei Stühlen und einem kleinen Waschbecken im Vorraum gewohnt haben. Mein Zimmer hatte einen Südbalkon mit Blick auf Ammersee und Zugspitze - so eine wunderbare Aussicht hat man nicht alle Tage."

Besonders gefallen hat Stanglmair das "Lernen und Leben in der Gemeinschaft" - ganz ohne Prüfungsdruck. Die Schülerinnen hatten zwar ein breit gefächertes Kursprogramm von Gesellschafts- und Agrarpolitik über Rhetorik bis hin zu Sport und musischer Bildung in Form von Theaterbesuchen, Gitarrenunterricht oder Handwerkskursen. Doch die Mädchen konnten frei entscheiden, was sie interessiert. "Die große Überschrift war Persönlichkeitsbildung", erklärt Stanglmair. Die jungen Landwirtinnen sollten sich bewusst werden, wer sie sind, was sie wollen und ihren Platz in Familie und Gesellschaft finden. Dabei sei auch die Gemeinschaft mit anderen Schülerinnen nicht zu kurz gekommen. In den kunstgewerblichen Gruppen beim Holzschnitzen oder Weben zum Beispiel hätten sie sich immer "gegenseitig geholfen und nebenher geratscht".

Katharina Stanglmair kommt aus einer bäuerlichen Familie in der Hallertau. Sie lebt bis heute dort, einen Hof bewirtschaftet sie nicht. (Foto: Haus der Bayerischen Landwirtschaft)

Zusammen mit den Schülern der Bauernschule, die zu dieser Zeit noch traditionell getrennt von den Mädchen unterrichtet wurden, habe es jedes Mal zum Auftakt des Grundkurses ein musisches Wochenende gegeben, bei dem gemeinsam gesungen, gespielt und getanzt wurde. "Das war zünftig und lustig, man konnte Leute auf spielerische Art kennenlernen", erinnert sich Stanglmair. Auch an das Unterrichtsfach "Christliche Lebenskunde" denkt sie gerne zurück. Es habe keinen festen Lehrplan gegeben, sondern die Mädchen konnten mit den Pfarrern im geschützten Rahmen über ganz persönliche Themen diskutieren - oder auch das Abendmahl empfangen, wenn sie das wollten.

Die Kommunikation mit den Mitschülerinnen sei dabei nicht immer so einfach gewesen, denn die Teilnehmerinnen kamen aus ganz Bayern und brachten alle ihren eigenen Dialekt mit: "Wenn da eine Oberbayerin und eine Allgäuerin miteinander reden wollten, musste schon manchmal übersetzt werden", schildert Stanglmair. "Das war amüsant und hat uns zusammengeführt. Da kann man sich ein Urteil bilden und braucht keine Vorurteile."

Einige Jahre nach ihrem Grundkurs kehrt Katharina Stanglmair (Bildmitte) als Bildungsreferentin nach Herrsching zurück. (Foto: Haus der Bayerischen Landwirtschaft)

In diesem Zusammenhang erinnert sie sich an einen Ausflug ihres Jahrgangs zusammen mit den Buben aus der Bauernschule nach Berlin. Dort durften die beiden Klassen die "Grüne Woche" besuchen und an politischen Diskussionen zur Lage der Stadt teilnehmen. Besonders in Erinnerung geblieben ist Stanglmair der eintägige Ausflug nach Ostberlin. Stundenlang hätten sie an der Grenze im Bus gewartet, ohne etwas zu essen zu bekommen. Und dann verlangten die strengen Grenzbewacher auch noch, dass sie ihre Geldbeutel öffneten: "In den Siebzigern waren die meisten jungen Leute vom Land ja nicht besonders bereist. Da war das wirklich ein prägendes Erlebnis für mich", sagt sie.

Eine ganze Welt habe sich ihr während ihrer Kurszeit in der Bäuerinnenschule erschlossen, "dieser Reichtum ist mir erst im Nachhinein bewusst geworden". Die Urkunde, die sie zum Abschluss bekommen hatte, hüte sie bis heute "wie einen Schatz." Aber mit dem Grundkurs war ihr Kontakt zum Haus der bayerischen Landwirtschaft noch lange nicht zu Ende. 25 Jahre lang blieb Stanglmair als Bildungsreferentin in Herrsching, bevor sie nach München als Direktorin der Landfrauengruppe im Bayerischen Bauernverband (BBV) wechselte.

Die Ausbildung an der Bäuerinnenschule ist laut Stanglmair nicht mit einem klassischen Berufsabschluss zu vergleichen, sie sei nun mal ein freiwilliger Kurs - der bei Bewerbungen zwar wohlwollend zur Kenntnis genommen werde, aber in erster Linie eine persönlichkeitsbildende Maßnahme bleibe. Es gelte, sich der eigenen Möglichkeiten bewusst zu werden und lernen Verantwortung zu übernehmen. Den Bezug zum Haus hat Stanglmair bis heute behalten, sie besucht regelmäßig Jahrestreffen und Seminare. Auch dem BBV ist sie über das aktive Berufsleben hinaus treu geblieben: Heute betreut sie ein Sorgentelefon für bäuerliche Familien der BBV-Stiftung "Land und Leben". Katharina Stanglmair ist begeistert, wie sich die Bäuerinnenschule entwickelt hat, und stolz auf die lange Tradition. "Da bleiben oft Freundschaften fürs Leben", erzählt sie. "Und die Schule bleibt Teil von einem selbst."

© SZ vom 11.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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