Vakzin-Lieferungen:"Vielleicht waren wir uns auch zu sicher"

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Ursula von der Leyen spricht am Mittwoch während einer Debatte über das einheitliche Vorgehen der EU bei Corona-Impfungen im EU-Parlament. (Foto: Johanna Geron/dpa)

Im Europaparlament gibt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Fehler bei der Impfstrategie zu und verspricht mehr Transparenz. Abgeordnete klagen über "leere Worte" und vermissen konkrete Antworten.

Von Björn Finke und Matthias Kolb

Ursula von der Leyen wechselt bei ihrer Rede im Europaparlament vom Deutschen zum Englischen und ins Französische und landet am Ende wieder bei ihrer Muttersprache. Und es dürfte kein Zufall sein, dass die Präsidentin der EU-Kommission gerade jene Passagen auf Deutsch vorträgt, welche die Kritik an den Corona-Impfstoff-Bestellungen ihrer Behörde aufgreifen. Denn nirgends wird sie so harsch angegriffen wie in ihrer Heimat.

Und so räumt von der Leyen am Mittwochmorgen auf Deutsch ein paar Fehler ein: "Wir waren spät dran bei der Zulassung, und wir waren zu optimistisch bei der Massenproduktion, und vielleicht waren wir uns auch zu sicher, dass das Bestellte tatsächlich pünktlich geliefert wird." Vor allem am dritten Punkt entzündete sich zuletzt die Kritik. Erst warnte das Mainzer Unternehmen Biontech und sein US-Partner Pfizer, dass sie kurzzeitig weniger Impfstoffe liefern als zugesagt. Dann verkündete Astra Zeneca, im ersten Jahresviertel nur die Hälfte der versprochenen Menge bereitzustellen.

Folge: Die Impfkampagnen der EU-Staaten laufen bloß schleppend an. Und für die Bestellungen ist von der Leyens Behörde zuständig; die Kommission schloss 2020 mit sechs Konzernen Verträge über bis zu 2,3 Milliarden Impfdosen ab, für 450 Millionen EU-Bürger. Aber im Moment sind die Vakzine knapp - und Kritiker sagen, Brüssel habe die Verhandlungen zu lange hingezogen und keine wasserdichten Verträge vereinbart.

Die Kommissionschefin wehrt sich - und stellt selbst Forderungen auf

Von der Leyen ignoriert zwar seit Wochen die Rufe der Brüsseler Korrespondenten nach einer Pressekonferenz. Doch immerhin hat sie sich in den vergangenen Tagen in Sitzungen der Fraktionen des EU-Parlaments verteidigt. Dort habe sie angegriffen gewirkt, sagen Teilnehmer.

Das Kürzel vdL stehe für "very damaged Leader", also eine "sehr beschädigte Führungsperson", war neulich im Brüsseler Leitmedium Politico zu lesen. Dass die CDU-Politikerin in Berlin als Teflon-Ministerin galt, der Skandale nichts anhaben können, gehört im Brüsseler Europaviertel längst zum Standardwissen.

Aber im Plenarsaal wirkt die 62-Jährige gewohnt souverän. Ausführlich erklärt sie, wie sich die EU besser auf künftige Pandemien vorbereiten könne - oder auf aggressive Corona-Mutanten. So leitet Binnenmarktkommissar Thierry Breton nun eine Taskforce, die in Zusammenarbeit mit der Industrie sicherstellen soll, dass in Europa mehr Produktionskapazitäten und stabile Zulieferketten für Vakzine entstehen.

Die Präsidentin fordert mehr Corona-Tests und dass sich Labore stärker über Mutanten austauschen. Zudem weist sie Kritik daran zurück, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA keine rasche Notzulassung der Vakzine vorgenommen hat. Von der Leyen verteidigt das gründliche Vorgehen und erhält dafür später viel Unterstützung im Plenum.

Bereits vor der Debatte hatten die Linken einen Untersuchungsausschuss gefordert. So ein Gremium würde die Kommission zu mehr Offenheit zwingen, sagen Befürworter. Die Parlamentarier sind sauer, weil die Kommission nur drei der sechs Bestellverträge veröffentlicht hat, und das mit erheblichen Schwärzungen. Zur Illustration hält Linken-Fraktionschefin Manon Aubry die Seite eines Kontrakts hoch, auf der nur schwarze Balken zu sehen sind.

EVP-Fraktionschef Weber beklagt ein "Scheitern der Innenminister"

Aber von der Leyen will keinen Untersuchungsausschuss. Und so verspricht sie vorsorglich eine neue "Kontaktgruppe" zwischen ihrer Behörde und dem Parlament. "Ich werde tun, was immer möglich ist, damit Sie alle Verträge, die wir unterzeichnet haben, prüfen können", sagt sie. Denn sie wisse, "dass Vertrauen Transparenz" brauche.

Die Debatte zeigt eines: Zumindest die drei großen Fraktionen aus Christ- und Sozialdemokraten sowie Liberalen wollen in ihrer Mehrheit die Kommissionschefin nicht weiter beschädigen. EVP-Fraktionschef Manfred Weber, mit dem von der Leyen vorab freundlich plaudert, will zehn Milliarden Euro in die Impfstoffproduktion in Europa stecken. Fehler seien gemacht worden, sagt er, aber der gemeinsame Ansatz bleibe richtig.

Der CSU-Politiker, der selbst einmal von der Leyens Job wollte, stellt sich also vor die Präsidentin - und attackiert Innenminister Horst Seehofer, den früheren Chef seiner eigenen Partei. Dass es immer noch keine gemeinsamen Regeln aller EU-Staaten für die Einreise nach Europa gibt, regt Weber sichtlich auf. Und nur wenige im Plenum dürften widersprechen, wenn er ein "Scheitern der Innenminister" beklagt.

Doch die Polin Beata Szydło wirft von der Leyen vor, nur "leere Worte und Versprechungen" mitgebracht zu haben. Sie wisse noch immer nicht, wie die Verträge mit den Pharmakonzernen durchgesetzt würden. Nötig sei doch vor allem eins: effizientere Arbeit. Dabei hatten von der Leyens Redenschreiber die Erfolgsmeldung ins Manuskript der Kommissionschefin eingearbeitet, dass Polen bis Anfang Februar 94 Prozent seines medizinischen Personals geimpft habe. Doch auch das beeindruckt die rechtskonservative Ex-Ministerpräsidentin nicht: "Wir könnten noch viel mehr Polen impfen, wenn wir genug Vakzine hätten. Die haben wir aber nicht."

Eine Ungarin wirft von der Leyen schlechte Kommunikation vor

Die pointierteste Kritik kommt von Katalin Cseh, einer liberalen Ungarin. "Was wir bisher von Ihnen gesehen haben, war eine fehlende Klarheit in der Kommunikation. Sie vermeiden es, sich vom Parlament kontrollieren zu lassen, und weigern sich, Fragen von Journalisten zu beantworten", klagt Cseh, in deren Heimat Premier Viktor Orbán gerade den letzten unabhängigen Radiosender dichtmachen lässt. Ihr Zeugnis für von der Leyen: "In der Krise ist das ein Rezept für ein Desaster."

Während die Grünen vor allem dafür werben, die ärmeren Teile der Welt bei der Versorgung mit Impfstoffen nicht zu vergessen, läutet die FDP auch in Brüssel den Bundestagswahlkampf ein. Nicola Beer, einst Generalsekretärin, verlangt mehr Führung durch von der Leyen: "Gerade weil wir an Europa glauben, muss jetzt vollständige Transparenz geschaffen werden."

Nach fast vier Stunden und mehr als 100 Reden ist wieder die EU-Kommission am Zug. Für eine "lebhafte Diskussion" bedankt sich aber nicht von der Leyen; sie überlässt dies Stella Kyriakides. Und die Gesundheitskommissarin hat noch eine Ankündigung zu machen. Von Donnerstag an werden die EU-Abgeordneten einen weiteren Vertrag einsehen können, nämlich den mit dem US-Konzern Johnson & Johnson.

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