Himalaja:Gipfel des Selbstbetrugs

Himalaja: Wer am viel bestiegenen Mount Everest noch Berühmtheit erlangen will, muss sich etwas Herausragendes überlegen: Gipfelschlange im Mai 2019.

Wer am viel bestiegenen Mount Everest noch Berühmtheit erlangen will, muss sich etwas Herausragendes überlegen: Gipfelschlange im Mai 2019.

(Foto: Nirmal Purja/AP)

Ein indisches Bergsteigerpaar hat die Besteigung des Mount Everest gefälscht. Sie sind nicht die ersten Alpinisten, die es nur dank Photoshop ganz nach oben geschafft haben.

Von Titus Arnu

Der Mount Everest gilt als Traumziel von ambitionierten Bergsteigern. Einmal auf dem höchsten Gipfel der Welt stehen, ein Erinnerungsfoto machen und dann wieder ins Basislager absteigen, bevor einem etwas abfriert - das wär's! Berühmt werden kann man mit der Besteigung des 8849 hohen Himalaja-Riesen allerdings kaum noch, in normalen Jahren gelingt sie mehreren Hundert Menschen.

Wer am Everest auffallen will, muss sich etwas Besonderes überlegen: der schnellste Aufstieg, die erste Snowboard-Abfahrt, Kopfstand auf dem Gipfel, das höchste Telefonat. Indische Bergsteiger und Bergsteigerinnen reklamieren mehrere solcher kuriosen Rekorde für sich. Die ersten Zwillinge auf dem Gipfel, die erste weibliche Amputierte, das jüngste Mädchen - kamen alle aus Indien. Narender Singh Yadav und Seema Rani Goswami waren 2016 angeblich das erste indische Paar auf dem Gipfel, sie sollten dafür 2019 mit dem Tenzing Norgay Adventure Award ausgezeichnet werden. Doch nun kam heraus: Die beiden waren gar nicht ganz oben. Der Höhepunkt war nur vorgetäuscht.

Verräterische Details auf dem Gipfelfoto

Yadav und Goswami standen angeblich am 20. Mai 2016 um 7.53 Uhr am höchsten Punkt der Erde, gemeinsam mit drei Sherpas. Doch bevor es zur Preisverleihung in Indien kam, kamen Zweifel an der Spitzenleistung auf. Eine Untersuchungskommission wurde eingesetzt, Sachverständige überprüften Expeditionsdaten und das Gipfelfoto. Offizielles Ergebnis, wie nun bekannt gegeben wurde: "Die beiden waren nie auf dem Gipfel." Nepals Tourismusministerium erkannte Yadav und Goswami den Erfolg ab und verbot ihnen rückwirkend für sechs Jahre das Bergsteigen in Nepal. Auch der verantwortliche Expeditionsveranstalter und die beteiligten Bergführer wurden bestraft.

Das nepalesische Ministerium für Tourismus und Kultur verlangt von Bergsteigern eine schriftliche Dokumentation des Aufstiegs und ein Gipfelfoto als Beweis. "Wenn man sich das Foto des indischen Paars genau anschaut, entdeckt man einige Ungereimtheiten", sagt Billi Bierling von der Organisation Himalayan Database. In dieser Chronik sind alle Expeditionen auf bedeutende Berge in Nepal seit 1905 aufgelistet. "Auf dem Foto sieht man, dass Yadav eine Sauerstoffmaske trägt, aber offensichtlich fehlt der Schlauch", sagt Bierling, "außerdem trägt er einen Helm, was in der Gipfelregion unüblich ist, weil es dort keinen Steinschlag gibt."

Himalaja: Ein Blick auf das Lager 4. Wenn jemand behauptet, er habe von dort nur eine halbe Stunde bis zum Gipfel gebraucht, kann etwas nicht stimmen.

Ein Blick auf das Lager 4. Wenn jemand behauptet, er habe von dort nur eine halbe Stunde bis zum Gipfel gebraucht, kann etwas nicht stimmen.

(Foto: Doma Sherpa/AFP)

Die 53-jährige Billi Bierling kann gut beurteilen, wie authentisch ein Erfolg am Everest ist, sie stand 2009 selbst auf dem Gipfel. Sie ist die erste deutsche Bergsteigerin, die den Aufstieg über die Südroute schaffte und lebend zurückkehrte. Mittlerweile hat sie fünf weitere Achttausender bestiegen und leitet die Himalayan Database, als Nachfolgerin der legendären Elizabeth Hawley. "Wenn einer sagt, er habe eine halbe Stunde vom Lager 4 auf den Gipfel gebraucht, weiß ich, da kann etwas nicht stimmen", sagt sie. Falls der Verdacht besteht, dass etwas faul ist, bekommt der Gipfeleintrag den Vermerk "umstritten", wenn Betrug nachweisbar ist, wird der Erfolg aberkannt.

Ein Gipfelbild sei heutzutage kein hundertprozentiger Beweis mehr, sagt Bierling, denn mit Photoshop und Morphing kann man nahezu perfekte Fake-Fotos erzeugen. Und manches Gipfelfoto ist, besonders wenn es schneit und bewölkt ist, so schlecht, dass es überall aufgenommen sein könnte.

Schon einmal flog ein indisches Paar auf, das behauptete, auf dem Dach der Welt gewesen zu sein. Dinesh und Tarakeshwari Rathod, zwei Polizeibeamte aus dem Bundesstaat Maharashtra, waren im Mai 2016 am, aber nicht auf dem Gipfel, wie später klar wurde. 2017 kam heraus, dass sie ihre Gesichter per Bildbearbeitungsprogramm in das Gipfelfoto eines anderen indischen Bergsteigers montiert hatten. Ihre Gipfelurkunden wurden annulliert, sie verloren ihren Job, die Behörden untersagten ihnen für zehn Jahre das Bergsteigen in Nepal.

Auch die Profis sind nicht immer ehrlich

Fake News am Berg sind auch im Profi-Alpinismus immer wieder ein Thema. 2010 gab der österreichische Bergsteiger Christian Stangl an, den Gipfel des K2 erreicht zu haben, als Beweis legte er zwei unscharfe Fotos vor. Später gab er zu, dass er doch nicht ganz oben gewesen sei. Hans Kammerlanders Besteigung des 5959 Meter hohen Mount Logan in Alaska wurde angezweifelt, weil das Gipfelfoto nicht nach dem echten Gipfel aussah; Kammerlander hatte wohl nur einen Vorgipfel erreicht. Ueli Stecks Solo-Durchsteigung der Annapurna-Südwand gilt bis heute als nicht bewiesen: Der mittlerweile verstorbene Schweizer Extremkletterer hatte angegeben, er habe unterwegs seine Kamera verloren und vergessen, seine Route per GPS-Tracker zu dokumentieren.

Vielleicht sind solche Vorkommnisse mit dem Erfolgsdruck von Profisportlern zu erklären. Wenn aber Hobby-Alpinisten ihren Gipfelerfolg fälschen, lässt einen das irgendwie ratlos zurück. Wieso lassen sich Bergsteiger, die immerhin schon kurz vor dem höchsten Gipfel der Welt waren, aber aufgeben mussten, zu so einem Selbstbetrug herab? Wäre es nicht heldenhafter, das Scheitern zuzugeben? Everest-Expeditionen kosten mindestens 30 000 Euro, Aspiranten müssen lange darauf hintrainieren und sich dafür monatelang freinehmen. "Wenn es dann nicht klappt mit dem Gipfel, haben manche Leute vielleicht Angst, ihr Gesicht zu verlieren", sagt Billi Bierling, "dabei gibt es so viele wichtigere Dinge im Leben als einen Achttausender-Gipfel."

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