Coronavirus:Das Virus ist gekommen, um zu bleiben

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Elektronenmikroskopische Aufnahme des Coronavirus. (Foto: Niaid-RML/via Reuters)

Geht alles gut, erreicht Deutschland im Spätherbst Herdenimmunität. Doch Corona ist deshalb nicht aus der Welt. Alles deutet auf eine dauerhafte Koexistenz von Mensch und Virus hin.

Von Hanno Charisius

Weniger als eine Dose Cola, etwa so viel wie ein knapp eingeschenktes Glas Rotwein - das ist das geschätzte Volumen aller Sars-CoV-2-Viren, die aktuell auf dem Planeten Menschen befallen. Das hat der Mathematiker Christian Yates von der University of Bath ausgerechnet. Auch wenn es ein bisschen mehr oder weniger ist - in jedem Fall zeigt die Berechnung: Sars-Coronaviren, diese submikroskopischen Konglomerate aus Biomolekülen, sind die gefährlichste Substanz der Welt.

Die Frage ist: Wann verschwindet der Spuk wieder? Die schnellste Antwort ist auch die unangenehmste: wahrscheinlich nie. Das Virus hat sich schon viel zu weit verbreitet und ist viel zu wandlungsfähig, als dass es wieder vollständig vom Menschen eingefangen werden könnte. Das heißt aber nicht, dass der Mensch den Erreger nicht unter Kontrolle bekommen könnte.

Ein Virus verschwindet, wenn es keine neuen Opfer mehr findet. Wenn der Abstand zwischen zwei Menschen so groß ist, dass der Erreger nicht überspringen kann. Oder wenn die Menschen in der Umgebung eines Infizierten immun sind - sei es, weil sie bereits erkrankt waren und ihr Immunsystem gelernt hat, das Virus zu kontrollieren, oder weil die Immunabwehr durch einen Impfstoff trainiert wurde.

Dieser Zustand der kollektiven Abwehrkraft gegen einen Erreger wird oft auch als Herdenimmunität bezeichnet. Um die als Gemeinschaft gegen Sars-CoV-2 zu erreichen, müssten etwa 70 Prozent der Menschen immun sein. Greifen infektiösere Mutanten wie B.1.1.7 weiter um sich, die vor Weihnachten zuerst in England entdeckt wurde, kann der Wert auf 80 Prozent steigen. Wenn das Impfprogramm in Deutschland wie am Schnürchen klappt, könnten im Spätherbst genug Menschen gegen Sars-CoV-2 geimpft sein. Wenn sich überhaupt so viele impfen lassen mögen. Laut einer Umfrage der Universität Erfurt waren zuletzt 61 Prozent dazu bereit.

Doch selbst wenn der Massenschutz in Deutschland Wirkung zeigt, das Virus ist nicht aus der Welt. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass es Wege findet, der geschulten Immunabwehr ehemals Infizierter zu entgehen. Auch die bisherigen Impfstoffe wirken gegen diese Virusvarianten nicht so gut wie gegen den ursprünglichen Erreger. Noch ist das kein Grund zur Sorge, doch das kann sich ändern. "Wir wissen noch nicht, welche molekularen Freiheitsgrade das Virus hat, wie schnell sich seine Eigenschaften verändern", sagt der Virologe Hartmut Hengel von der Uniklinik Freiburg. Er schätzt, dass diese Pandemie drei Jahre dauern wird, gerechnet von Ende des Jahres 2019 an. "Wir sind also mittendrin."

Was nach den kommenden zwei Jahren sein wird? Das sei schwierig abzuschätzen, sagt Hengel. Grundsätzlich sieht er wie andere Expertinnen und Experten zwei Möglichkeiten. Irgendwann hatten die meisten Menschen Kontakt mit dem Virus oder wurden geimpft, sodass sie vielleicht durch eine erneute Sars-CoV-2-Infektion wieder erkranken, doch schwere Verläufe dürften dann selten sein. Es gibt vier weitere Coronaviren, die Menschen befallen können. Jedes Jahr im Winter verursachen diese einen Großteil der Erkältungen. Sars-CoV-2 wäre dann das fünfte Erkältungsvirus in der Riege, gegen das man wohl regelmäßig Impfkampagnen starten würde, vermutet Hengel. So wie man auch gegen Influenza jährlich neue Impfstoffe produziert, weil auch diese Erreger sich stetig verändern.

Die weitaus schlimmere Entwicklung wäre, wenn Sars-CoV-2 lernen würde, nicht nur die Atemwege zu befallen, sondern den gesamten Körper. Aus der Tiermedizin gebe es Beispiele dafür, sagt Hengel. "Entscheidend ist, wie das Virus weltweit bekämpft wird." Wenn es Regionen auf der Welt gibt, in denen nicht oder nur sehr wenig geimpft wird, würde das Virus dort seinem natürlichen Lebensstil nachgehen, und in den "Re-Infektionsmodus" schalten, sagt Hengel. "Es lernt, auch ehemals Infizierte immer wieder zu befallen."

Dass es weltweit schnell genügend Impfstoff gibt, ist also nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch der globalen Sicherheit. In jedem Fall werde es auf eine Koexistenz zwischen Mensch und Virus hinauslaufen, sagt der Infektionsepidemiologe Hajo Grundmann, der wie Hengel an der Universität Freiburg arbeitet. Die Viren sind zahlreich, anpassungsfähig und gefährlich - aber die Menschen sind nicht machtlos. "Unsere Vorteile gegenüber dem Erreger sind die zwei lernfähigen Gewebe, die wir haben", sagt Grundmann, "unser Immunsystem und unser Gehirn". Das Gehirn erschafft Dinge wie Impfstoffe, und es erlaubt dem Menschen, sich intelligenter zu verhalten als das Virus - zumindest im Prinzip.

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