Vögel im Fünfseenland:Alle Spatzenzähler sind schon da

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Der Haussperling ist heuer bei der Wintervogelzählung am häufigsten im Landkreis Starnberg gesichtet worden. (Foto: LBV)

Trotz Rekordbeteiligung belegt die Aktion "Stunde der Wintervögel" die Tendenz, dass sich in den Gärten weniger Vögel einfinden.

Von Armin Greune, Starnberg

Auffallend oft hört man in diesem Winter vom Eindruck, dass die Zahl der Vögel in den Gärten des Fünfseenlandes drastisch zurückgegangen sei. Ob in Gauting, Gilching, Herrsching oder Starnberg: Immer wieder äußern Leser, Kollegen, Freunde und Bekannte, die Häuschen im Vorgarten oder die Meisenknödel auf dem Balkon würden heuer weit weniger frequentiert als in den Vorjahren, obwohl klirrende Kälte und Futternot herrscht. Liegt das daran, dass man im Lockdown öfter Gelegenheit hat, den Blick erwartungsvoll aus dem Fenster zu richten? Jedenfalls wird diese subjektive Beobachtung durch die Ergebnisse der Aktion "Stunde der Wintervögel 2021" des Landesbunds für Vogelschutz (LBV) für den Landkreis Starnberg tendenziell gestützt.

Allerdings sollte man Beobachtungen von Laien nicht mit wissenschaftlich erhärteten Fakten gleichsetzen. So warnen auch erfahrene Ornithologen davor, die Wintervogelzählung überzubewerten. Horst Guckelsberger, langjähriger Vorsitzender der LBV-Kreisgruppe Starnberg, hat selbst noch keine generell negative Tendenz bei den Vogelbeständen erkennen können. Und Pit Brützel, Leiter der Arbeitsgemeinschaft Starnberger Ornithologen, verweist darauf, dass man den jährlichen Schwankungen der zufällig erhobenen Daten nicht zu große Bedeutung zumessen sollte. Dies gelte insbesondere für die Zählung seltenerer Arten im Landkreis, die leicht von zufälligen Ereignissen oder gar Fehlern geprägt werden könnten. So stellt Brützel etwa in Frage, ob der Vogelfreund, der im Januar 2021 eine Rauchschwalbe gesehen haben will, auch richtig lag.

Allerdings gewinnen zufällig erhobene Stichproben mit zunehmender Datendichte an Aussagewert. Deshalb verdienen die Gesamtzahlen aller gezählten Vögel in allen Gärten durchaus Beachtung. Dabei lassen die vom LBV erhobenen absoluten Summen zunächst nicht auf einen Rückgang schließen: Im Landkreis Starnberg wurden heuer 16 708 Wintervögel beobachtet, 77 Prozent mehr als im Vorjahr. Was vor allem mit der gestiegenen Teilnehmerzahl zu erklärten ist - denn die nahm mit 827 sogar um 90 Prozent zu. Die Summe der Landkreis-Gärten, die Vogelfreunde heuer eine beliebige Stunde lang im Auge hatten, stieg um 81 Prozent.

Für das fast aufs Doppelte gewachsene Teilnehmerinteresse dürfte das Pandemie-Geschehen zumindest mitverantwortlich sein: In der häuslichen Isolation stellte Vogelbeobachtung eine erfreuliche Abwechslung dar: Wildlife live im Garten statt in der Glotze. Landkreis- wie bayernweit verzeichnete der LBV wohl dank Corona eine Rekordbeteiligung an seinem "Citizen-Science-Projekt".

Zumindest im Fünfseenland kam der Zählung weiter zugute, dass im Erhebungszeitraum durchweg Frost herrschte: Die agrarmeteorologische Station im Andechser Ortsteil Rothenfeld verzeichnete in den drei Tagen Temperaturen zwischen minus 0,5 und minus 8,5 Grad. Seinerzeit lag fast überall eine geschlossene Schneedecke, Vögel waren daher mehr als sonst auf Futterstellen angewiesen. Hinzu kam ein verstärkter Zuzug aus Norden: So trieb das eisige Wetter wie schon 2019 besonders viele Erlenzeisige nach Oberbayern.

Angesichts der stark schwankenden Teilnehmer auf Landkreisebene - 2020 waren es 434, im Jahr davor 662 - sind die bloßen Zahlen beobachteter Vögel kaum aussagefähig. Eher schon die bei der LBV-Aktion erhobene Zahl der Individuen pro Garten, die eine deutliche Tendenz aufweist: Betrug der Wert 2019 noch 35,8, sank er im Vorjahr auf 28,0 und heuer auf 27,3 - insgesamt also fast um ein Drittel. Bayernweit ist der Trend nur halb so klar, aber immer noch eindeutig: Die Zahl fiel von 37,6 über 35,6 auf 32,2 - dem niedrigsten Wert seit Beginn der Wintervogel-Aktion 2006.

Allerdings scheint es gerade im Fünfseenland auch Gärten zu geben, in denen sich heuer offenbar mehr Vögel als in den Vorjahren einfinden. Diese Beobachtung wird etwa aus Erling, Farchach oder Raisting gemeldet - ländlichen Orten mit geringerer Siedlungsdichte und in direkter Nähe zur offenen Flur. Hier dürfte der harte Winter verstärkt Bewohner der umliegende Wiesen und Wälder in die Gärten mit Futterhäuschen getrieben haben. Andererseits stehen innerorts die Vogelhäuschen dichter, die Zahl der Besucher verteilt sich sozusagen auf mehr Imbissbuden. Und in eng bebauten Wohngebieten mit den um sich greifenden Rasen-, Schotter- und Steinwüsten könnte auch das Fehlen der Wildblumen und die Dezimierung von Futterinsekten eine Rolle beim Rückgang der Vögel spielen. Das gilt insbesondere für die Arten, die in Hausgärten brüten und dort eiweißreiche Nahrung für die Aufzucht der Jungen brauchen.

© SZ vom 18.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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