Stalking:Gegen den Psychoterror

Bisher musste man einem Opfer "beharrlich" nachstellen, um Strafe fürchten zu müssen. Künftig soll es reichen, wenn man dies "wiederholt" tut. Wortklauberei? Von wegen.

Von Karoline Meta Beisel

Es ist nichts Schlimmes daran, jemandem einen Brief zu schreiben, oder im Internet eine Nachricht. Man kann auch drei Sprachnachrichten hinterlassen, wenn man viel zu sagen hat, oder zehn SMS schicken. Sogar hundert E-Mails können Grund zur Freude sein, wenn sie jemand schreibt, der einen liebt, und den man selbst auch mag. Wenn die Beziehung aber vorbei ist, werden solche Liebesschwüre schnell zur Last. Manchmal schlagen sie in das um, was Boulevardmedien - und auch die Bundesjustizministerin in einer Pressemitteilung - als "Psychoterror" bezeichnen. Die Grenzen sind, wie so oft, fließend.

Fließende Grenzen aber sind im Strafrecht ein Problem, weil das Grundgesetz die Bestimmtheit von Straftatbeständen vorschreibt, und weil Staatsanwälte in ihrer Anklageschrift und Richter in ihren Urteilen ja trotzdem klar benennen müssen, ob jemand eine strafrechtlich relevante "Nachstellung" begangen oder den anderen nur genervt hat. Das ist einer der Gründe, warum Stalking bisher so schwer beizukommen war, und warum 2019 zwar knapp 16 000 Täter angezeigt, aber nur 417 tatsächlich verurteilt wurden (davon übrigens 367 Männer).

Darum ist es richtig, dass Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) den Stalking-Paragrafen nach 2017 nun ein zweites Mal nachschärfen und dadurch die Hürden für die Strafverfolgung weiter senken will. Wo Juristen bisher oft umständlich und langwierig klären mussten, ob jemand seinem Opfer "beharrlich" nachgestellt hat, soll es künftig reichen, dass er es "wiederholt" tut. Denn gerade bei Stalking im Netz reichen manchmal schon wenige Handlungen, um den meist weiblichen Opfern schwer zu schaden, etwa durch die unerwünschte Veröffentlichung kompromittierender Fotos.

Und statt belegen zu müssen, dass dieses Verhalten die Lebensgestaltung des Opfers "schwerwiegend" beeinträchtigen kann, soll es künftig ausreichen, dass diese Beeinträchtigung "nicht unerheblich" ist. Für Laienohren mag das nach Wortklauberei klingen - aber Juristen wissen solche Verschiebungen zu nutzen. Die Neufassung des Strafgesetzbuch-Paragrafen 238 wird die Beweisführung vor Gericht erleichtern.

Es ist kein Spaß, wenn jemand für einen ungebeten Datingprofile anlegt

Die Unschärfen des Lebens aber lassen sich mit Paragrafen nicht vollends auflösen. Vor allem dann nicht, wenn es um Gefühle geht, die ja oft selbst nicht ganz eindeutig sind. Deswegen braucht es nicht nur eine Gesetzesreform, sondern auch eine Reform des Bewusstseins, gerade wenn es um das Verhalten im Internet geht: dass es etwa nicht lustig ist, sondern im Gegenteil für Betroffene eine erhebliche Last sein kann, wenn jemand unter ihrem Namen Profile auf Datingplattformen anlegt, oder ungefragt Waren oder Dienstleistungen bestellt. Gut, dass beide Fälle im neuen Stalking-Paragrafen ausdrücklich benannt werden.

Außerdem brauchen Betroffene Anlaufstellen, an die sie sich wenden können, auch wenn sie selbst unsicher sind, ob sie auf juristischem Wege gegen einen möglichen Stalker vorgehen können oder wollen. Die Opferschutzorganisation Weißer Ring hat eine "No Stalk"-App entwickelt. Mit dieser lassen sich Belege für unerwünschte oder unangebrachte Kontaktaufnahmen sammeln, die jede für sich genommen vielleicht noch nicht bemerkenswert wären - in einem etwaigen Strafverfahren aber wichtig werden könnten. Auch solche Angebote können helfen, potenziellen Tätern ihre Grenzen zu zeigen - im Idealfall schon, bevor sie diese überschreiten.

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