Serena Williams bei den Australian Open:Würdevoll und tief enttäuscht

Australian Open

Serena Williams nach der Halbfinal-Niederlage gegen Naomi Osaka.

(Foto: REUTERS)

Serena Williams verpasst den Finaleinzug in Melbourne, ihr Traum vom 24. Grand-Slam-Titel rückt in immer weitere Ferne. In der Pressekonferenz zeigt sich, welche Bürde auf ihr lastet.

Von Barbara Klimke

Vor kurzer Zeit erst hat Serena Williams ein Kamerateam der Architekturzeitschrift AD in ihr Innerstes gelassen, in ihr Haus in Florida. Ganz in Weiß gekleidet, führte sie zunächst durch den Salon, den sie als Kunstgalerie mit zeitgenössischen Werken etwa von Radcliffe Bailey und Leonardo Drew gestaltete. Dann öffnete sich die Tür zum Allerheiligsten, zu jenem hellen Raum, in dem ihr eigenes Oeuvre zur Besichtigung steht: zum Trophäenzimmer. Beiläufig griff sie zu einem Pokal der French Open. Davon, sagte sie, habe sie gar nicht so viele erobert, "nur zwei oder drei". Kurzes Nachdenken. "Drei!", korrigierte sie sich lächelnd. Sie kam zu den Wimbledon-Schalen, deren Replikate, wie sie erzählte, über die Jahre, etwa zwischen 2010 und 2012, größer wurden. Wann sie die gewonnen hatte? War ihr entfallen, angeblich. Schließlich fiel ihr Blick auf ein Ungetüm, das sie als Zweitplatzierte erhalten hatte. "Ab in den Müll damit!", befand sie verschmitzt. "Zweite Plätze bewahren wir nicht auf." Schnitt, Ende des Museum-Rundgangs.

Niederlagen, das wird in dem Video schön illustriert, fallen für Serena Williams, 39, in die Kategorie Streichergebnis, sowohl im Gedächtnis als auch im Trophäen-Tresor. Es ist Herausforderung genug, die Siege zu katalogisieren. Bei 73 Turniererfolgen ist sie mittlerweile angekommen, 23 davon hat sie in Grand-Slam-Wettbewerben erstritten, in den vier wichtigsten Wettbewerben in Australien (7), Paris (3), Wimbledon (7) und New York (6). Von einer kompletten Kollektion jedoch kann trotz der umfangreichen Silber-Sammlung noch immer nicht die Rede sein. Mindestens einen Pokal benötigt sie noch, um mit der Australierin Margaret Court gleichzuziehen, die seit 1973 den Rekord von 24 Grand-Slam-Titeln verwaltet. Dass dieser fehlende Sieg schwer auf ihrem Herzen liegt, hat Serena Williams zuletzt nicht geleugnet. "Das ist eine Last, an die ich mich inzwischen gewöhnt habe", sagte sie, als sie zu den Australian Open kam, zum 20. Mal in ihrer langen Karriere.

Tennis: Australian Open

"Das war's" - sagte Serena Williams in der Pressekonferenz und ging.

(Foto: Rob Prezioso/dpa)

Das war der Grund, weshalb sie das elegante weiße Cocktailkleid beizeiten wieder ablegte, mit dem sie die Filmcrew des Design-Magazins in ihrem Heim empfangen hatte. Weshalb sie stattdessen in ihr Sportdress schlüpfte. Weshalb sie monatelang Hanteln wuchtete, an ihrer Beinarbeit feilte, an der Antrittsschnelligkeit arbeitete. Weshalb sie sich quälte, im Kraftraum, auf dem Tennisplatz, trotz einer Serie von Siegen, die für mehrere Leben reichen würden. Und nur mit dieser Bürde ist auch zu erklären, weshalb Serena Williams, diese Frau mit dem unbeugsamen Willen, am Donnerstag in Melbourne vor den Augen der Welt in Tränen der Enttäuschung ausbrach.

"Wenn ich irgendwann Farewell sage, würde ich es keinem verraten..."

Es hat wieder nicht gereicht. Vier Jahre nach ihrem bisher letzten Triumph in Australien, damals Titel Nummer 23, hat sie sich erneut geschlagen geben müssen. Im Halbfinale von Melbourne unterlag sie der Japanerin Naomi Osaka 3:6, 4:6. Es war die zweite schwere Niederlage gegen die 16 Jahre jüngere Rivalin, die ihr schon 2018 im Finale der US Open den Sieg vom Schläger stibitzt hatte. Damals verlor Serena Williams auf dem Platz die Fassung und machte in ihrem Ärger die Siegerehrung zur Farce. Diesmal beendete sie das Match in Würde, mit einer Umarmung für die Jüngere.

Erst bei der Pressekonferenz, als sie auf ihre eigene Vorstellung zu sprechen kam, konnte sie den Schmerz nicht mehr verbergen. Auf die Frage, ob sie sich beim Gang aus der Rod Laver Arena bereits für immer vom Publikum verabschiedet habe, antwortete sie noch mit einem Lächeln: "Ich weiß es nicht. Wenn ich irgendwann Farewell sage, würde ich es keinem verraten..." Als sie zu der Vermutung Stellung nehmen sollte, dass ihre vielen leichten Fehler nur damit zu erklären seien, dass sie einfach einen schlechten Tag erwischt hatte, senkte sie den Blick. "Ich weiß nicht. Das war's", sagte sie und stand weinend auf.

2021 Australian Open: Day 11

Zu harte Schläge: Naomi Osaka wirkte wie eine jüngere Version von Serena Williams, derart dominant agierte die Japanerin.

(Foto: Mackenzie Sweetnam/Getty)

"Für so einen großen Champion ist es bitter, wenn man das Ende einer Karriere möglicherwiese sieht", befand Boris Becker später mitfühlend, als er beim Fernsehsender Eurosport die Bilder kommentierte: "Das war eine große Chance." Zumal nun am Samstag eine Final-Debütantin in der Arena steht, die US-Amerikanerin Jennifer Brady, 25, die sich im zweiten Halbfinale gegen die Tschechin Karolina Muchova durchsetzte (6:4, 3:6, 6:4). Brady wird von dem deutschen Coach Michael Geserer angeleitet, der früher Julia Görges betreute und mit dem sie im vergangenen Jahr in der Corona-Pause in Regensburg arbeitete. Sogar Erfahrung mit Naomi Osakas Powerspiel hat Brady schon gesammelt: Seit sie das US-Open-Halbfinale im Herbst in drei Sätzen verlor, weiß sie, dass man sich nur "mit Aggressivität" aus deren Ballgewitter befreit.

Aber der Maßstab, an dem sich Serena Williams orientiert, ist nicht Brady, ist nicht einmal Osaka, Australian-Open-Siegerin von 2019: Serena Williams' Maßstab ist einzig und allein sie selbst.

Und so nagten die 24 leichten Fehler an ihr, die sie sich in einem Match erlaubte, in dem sie anfangs sogar 2:0 in Führung gegangen war, ehe Osaka ihre erstaunliche Übersicht auf dem Platz entfaltete. Selbst den Winkel von Serena Williams' High-Speed-Aufschlägen schien die Japanerin vorauszuahnen: keine Intuition, nur "gut geraten", behauptete Osaka später lachend. Williams war bestens vorbereitet in dieses Halbfinale gegangen, sie wirkte im Turnierverlauf, in dem sie unter anderem die Weltranglistenzweite Simona Halep schlug, so flink und leichtfüßig wie lange nicht mehr. Gegen Osaka schaffte sie im zweiten Durchgang noch ein Break zum 4:4, doch den Silberfaden, dem sie nachjagte, erwischte sie nicht mehr.

Nach der Geburt ihrer Tochter erreichte sie vier Finals - und verlor viermal

Sie hatte die Fingerspitzen schon mehrmals fast dran an jenem ominösen 24. Titel seit ihrem letzten Triumph 2017 in Melbourne, als sie, bereits schwanger (was die Öffentlichkeit nicht wusste), gegen ihre ältere Schwester Venus gewann. Nach der Geburt ihrer Tochter erreichte Serena Williams vier weitere Finals, zwei in Wimbledon, zwei bei den US Open (jeweils 2018 und 2019) - den Pokal in Sichtweite, verlor sie jedes Mal. Handelt es sich nur noch um ein Trugbild, das sich auflöst, je näher sie ihm kommt?

Objektiv betrachtet braucht Serena Williams keine weitere Silberschüssel, um den Nachweis zu führen, dass sie die beste Tennisspielerin der Profi-Ära (seit 1968) ist. Zumal Margaret Court, die Rekordhalterin, elf ihrer 24 Titel bei den Australian Open erstritt, zu einer Zeit, als viele Weltklasse-Akteurinnen dankend darauf verzichteten, in der Weihnachtszeit um den halben Globus zu jetten. Doch Serena Williams ist längst an einem Punkt angelangt, an dem sie ihren Platz jenseits der Gegenwart sucht - in den Statistiken, die Aussagekraft für die Vergangenheit und Zukunft ihres Sports haben. Nur darin liegt der Sinn des Titelrekords.

Am Samstag kämpfen Naomi Osaka und Jennifer Brady um den Grand-Slam-Pokal, die Japanerin um ihren vierten, die junge US-Amerikanerin um den ersten. Der Platz für Nummer 24 im Trophäen-Museum in dem weißen Haus in Florida bleibt weiter leer. Beim Abschied von den Zuschauern in der Arena hat Serena Williams die Hand auf Herz gelegt. Das Herz wird ihr auch sagen, ob sie noch einmal wagen soll, das Unerreichte zu erjagen.

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