Tatort-Wiederholung aus Dortmund:Digitaler Krawall

"Tatort" aus Dortmund: Szene aus der Folge "Heile Welt"

Als Martina Bönisch (Anna Schudt) Hakim Khaled (Shadi Eck) festnehmen will, wird das Geschehen gefilmt.

(Foto: WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin/WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin)

Die Dortmunder Kommissarin Martina Bönisch erlebt nach einer Festnahme die ganze Wucht der schnellen Meinung aus dem Netz

Von Holger Gertz

Diese Rezension wurde zum ersten Mal am 21. Februar 2021 veröffentlicht. Nun wird der Fall im Ersten wiederholt, weswegen wir den Text erneut publizieren.

Dem Tatort wird - mit gewissem Recht - vorgehalten, er zeichne ein eindimensionales Gesellschaftsbild. Der Bonze ist immer der Böse. Und der Mörder: niemals der Gärtner, immer der Nazi. Diesem Stereotyp wollen die Macher dieser Episode aus Dortmund sehr entschlossen nicht entsprechen, Stammautor Jürgen Werner und Regisseur Sebastian Ko erzählen in "Heile Welt" eine Geschichte davon, wie sich alles mal wieder gegenseitig hochschaukelt, rechts und links. In einer Hochhaussiedlung wird eine junge Frau tot gefunden, bei den Ermittlungen nimmt Kommissarin Bönisch (Anna Schudt) einen Iraker fest, mutmaßlicher Drogenhändler. Die Bilder vom Zugriff landen im Netz, das Ganze sieht deutlich fremdenfeindlich aus, und schon ist ein Shitstorm entfesselt. Die Linken kotzen, die Rechten jubeln. "Ich feier die Polizei übelst krass." Tja: "Nazi über Nacht", sagt Bönisch, die offenbar überrascht davon ist, wie schnell man ein Etikett nicht mehr loskriegt. Das wirkt ein wenig naiv für so eine toughe Frau.

Ein paar frisierte Bilder, und schon bleibt nur Fabers Kalenderspruch als Trost

Andererseits: Von den Vernichtungen im Internet bleibt niemand unbeeindruckt, das merkt man auch gewissen Texten von Journalisten an, die so klingen, als wären die Twitter-Reaktionen bereits beim Schreiben eingepreist. Mancher laviert, mancher wird überdeutlich, denn mancher erträgt den digitalen Krawall schwer, während ein anderer ihn braucht wie ein Auto das Benzin. Kommissarin Bönisch also erlebt, wie jemand wegen ein paar frisierter Bilder von den Rechten vereinnahmt oder von den Linken gebrandmarkt werden kann, der umgekehrte Fall wäre genauso denkbar. Zur Bedeutsamkeit von Bildern trägt der Kollege Faber (Jörg Hartmann) eine Weisheit bei, die nach Kalenderspruch klingt, aber trotzdem wahr ist (das haben Kalendersprüche so an sich): "Je mehr die Leute sehen, desto blinder werden sie." Zum Thema Fake-News hat er auch noch einen: "Eine Lüge ist schon dreimal um die Erde gelaufen, bevor sich die Wahrheit die Schuhe anzieht."

Während sonst oft die Nazis klischeehaft glatzköpfig ausgemalt werden, ist diesmal die linke Bloggerin etwas zu katalogartig cool. Die neue Kommissarin Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) wird ohne viel Tamtam in die Handlung eingepflegt, die alte Kommissarin Martina Bönisch aber ruft der erhitzten Menge zu: "Lasst euch nicht anstecken von denen, die immer sofort wissen: Was ist richtig und was ist falsch." Der Appell, natürlich, geht ins Leere, da ist dieser Tatort nah am Leben. Die heile Welt ist krass kaputt.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusARD, ZDF und DRadio
:Wer kontrolliert eigentlich die Öffentlich-Rechtlichen?

Rundfunk- und Verwaltungsrat, KEF, Gehälter - wenn es um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht, kennt sich fast niemand mehr aus. Ein Überblick für alle, die mitreden wollen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: