Thriller:Der Sonne so nah

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Junge Aktivisten decken politische Machenschaften auf und legen sich nicht nur mit der Staatsmacht, sondern auch mit obskuren Institutionen an.

Von Bernd Graff

Es ist nicht das erste Mal, dass dieses Sujet entdeckt wird, aber es ist selten so fesselnd bearbeitet worden wie in Dirk Reinhardts Buch "Perfect Storm", das gerade erschienen ist: Jugendliche legen sich mit großen Unternehmen an, mit einer Staatsmacht gar und deren obskuren Institutionen. Und das gelingt ihnen, weil sie smarter und agiler sind, gewiefter im Umgang mit Technik, Netzwerken und Computern als die autoritären Apparate mit ihren schwerfälligen Strukturen. Es ist das alte David-gegen-Goliath-Motiv, mitunter auch die Umwidmung des Ikarus-Mythos: Menschen bringen sich gerade dadurch in höchste Gefahr, weil sie zwar größten Widerständen trotzen können, aber dann eben auch der Sonne, der gefährlichen Macht zu nahe kommen. Eines der eindrücklichsten Beispiele für dieses Genre ist Hans-Christian Schmids immer noch sehr sehenswerter Film "23 - Nichts ist so wie es scheint" aus dem Jahr 1998 mit dem sehr jungen August Diehl in der Hauptrolle. Da ging es um einen der allerersten Hacker, der zum Spion des sowjetischen Geheimdienstes KGB werden kann, weil er ihnen Dinge verkauft, die sie nicht verstehen. Bei Dirk Reinhardt sind es sechs Jugendliche, auch sie Computerfreaks, die sich mit der Rüstungsindustrie in den USA anlegen, am Ende sogar mit der NSA, dem Auslandsgeheimdienst der USA.

Dirk Reinhardt, geboren 1963, hat schon Bücher vom Widerstand gegen die Nazis geschrieben, dann vom Schicksal geflüchteter Kinder in Südamerika und jetzt vom Kampf der sechs. Zwei Mädchen, vier Jungs lernen sich im Internet bei einem Computerspiel, etwas wie "World of Warcraft" kennen, sie bilden dort eine Gilde und erfahren dabei von den furchtbaren realen Erlebnissen eines ihrer Teammitglieder, der viele Angehörige im kongolesischen Bürgerkrieg verloren hat. Sie erfahren so aber auch von den dortigen Machenschaften der Rohstoff- und Rüstungsindustrie, von Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutung in Afrika. Die Jugendlichen aus verschiedenen Kontinenten sind keine fanatischen Aktivisten, aber sie erkennen himmelschreiendes Unrecht und Zerstörung und wollen sich wehren, einen Unterschied machen. Darum beschließen sie, all ihre Gilden-Kraft und Hacking-Fähigkeiten nun in der Realität zu nutzen und von diesen Machenschaften zu berichten, die ihre mächtigen Gegenspieler natürlich sehr gerne unter der Decke halten würden. Es ist also neben der spannenden Abenteuer- auch eine Geschichte über brisante Enthüllungen à la Edward Snowden, Julian Assange und Chelsea Manning, die hochriskant für die Enthüller sind. Und überhaupt: Dürfen die Kids das eigentlich? Ist es vertretbar, sogar Gesetze zu brechen, um ehrenwerte Ziele zu erreichen?

Dirk Reinhardt bedient in "Perfect Storm" verschiedene Text-Genres und Stile gleichzeitig: Mail, Chat, Verschriftungen von Tonaufnahmen. Form und Inhalt, die Story und ihr Stil sind genau so schnell wie die Ereignisse, die über die Hackerhelden hereinbrechen. Anstrengend? Bloß ein Thriller? Nein, sehr gegenwärtig. Wir müssen uns Ikarus nun als einen Whistleblower vorstelle. (ab 13 Jahre)

Dirk Reinhardt: Perfect Storm. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2021. 414 Seiten, 18 Euro.

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