Bildung in Bayern:Wie lassen sich die Wissenslücken füllen?

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Daheim lernen bedeutet für einige Kinder eine besondere Herausforderung. Besonders, wenn Eltern nicht helfen können.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die vielen Monate daheim werden manche Schüler nicht ohne Wissensdefizite überstehen. Die Lehrerverbände fordern Konzepte, das Ministerium setzt auf Bewährtes - anderswo werden bereits Fakten geschaffen.

Von Anna Günther

Die Sorgen vieler Lehrer in Bayern kreisen derzeit um zwei Themen: den Gesundheitsschutz und die Lernlücken der Schüler. Dass es bei vielen Schülern Lücken geben wird nach vielen Wochen des Lernens daheim, gilt als sicher. Darüber, welche Kinder und Jugendlichen besonders betroffen sind, gehen die Meinungen auseinander. Offen ist, wie groß diese Lücken sind und wie, wann, von wem sie ermittelt werden sollen. Die Ideen der Lehrerverbände zur richtigen Lösung gehen auseinander. Einig sind sie sich nur darin, dass das Kultusministerium endlich ein Konzept und Fristen vorlegen müsse.

"Lernstandsermittlungen" und "Brückenkurse" reichten im Herbst offenbar nicht aus. Viele Schulleiter winken ab. Auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) scheint mehr zu wollen: "Wir brauchen Sonderunterstützung für jene, die keine Hilfe hatten", sagte er beim Politischen Aschermittwoch und erklärte dies zur "Chefsache". Was das genau heißen soll, konnte das Kultusministerium nicht beantworten. Dort hält man am Konzept aus dem Herbst fest: Sind Schüler wieder im Präsenzunterricht, sollen nach einer Zeit des Ankommens ihr Wissen getestet und Lücken mit den Brückenkursen sowie den üblichen Intensivierungsstunden gefüllt werden. Ein weitergehendes, mittelfristiges Förderkonzept sei in Arbeit, heißt es.

Für diese Brückenkurse fehle an Grund- und Mittelschulen aber das Personal, sagt Andreas Fischer, Vizechef des Bayerischen Schulleitungsverbands. Er berichtet von einigen Erstklässlern, die zu Schulbeginn am Montag nach elf Wochen daheim wieder auf dem Stand ihrer Einschulung im Herbst waren. Diese Kinder könne er nicht guten Gewissens in die zweite Klasse gehen lassen.

Walter Baier, Chef der Direktorenvereinigung Gymnasien, sorgt sich neben der Q 11 vor allem um pubertierende Mittelstufenschüler, die wohl am längsten im Distanzunterricht bleiben dürften. Zu viele von ihnen verbrächten die Nacht zockend am Computer und seien morgens im Distanzunterricht müde. Auf die Brückenkurse will sich auch Baier nicht verlassen, der Herbst hätte gezeigt, dass vor allem Schüler diese Kurse nutzten, die ihre annehmbaren bis guten Noten verbessern wollen. Diejenigen, die es wirklich bräuchten, kämen nicht. Und zwingen könne er niemanden. "Mit einzelnen Stunden oder zusätzlichen Ferienkursen kriegen sie diese Kinder garantiert nicht, es bräuchte ein zusätzliches Jahr", sagt Baier. Diese Schüler auf Probe weiter mitzuschleifen, bringe so wenig wie die aktuelle Tendenz einiger Eltern, ihre Kinder vom Gymnasium auf die Realschule zu schicken, damit kein Jahr verloren geht. Das bringe gar nichts, sagt Baier, "auf der Realschule müssen sie ja auch etwas tun".

Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands (DL) und bis zum vergangenen Sommer Schulleiter in Deggendorf, schätzt, dass Lockdown-bedingt 20 Prozent aller Schüler über die Schularten hinweg besonderen Förderbedarf haben, darunter ganz besonders jene mit Lernschwächen oder Sprachproblemen. Grundvoraussetzung für effiziente Förderung sei eine echte Bestandsaufnahme, bei der jeder Lehrer seine fünf, sechs Kandidaten benennen müsse. Im DL werde gerade ein Konzept abgestimmt.

Aus seiner Erfahrung als Chef eines Mittelstufe-Plus-Gymnasiums, das neun Jahre Schule schon vor der Rückkehr vom G 8 zum G 9 ausprobierte, hält Meidinger ein "intelligentes Wiederholungsjahr" für sinnvoll. Schüler könnten gezielt mit Zusatzstunden in den Fächern gefördert werden, in denen sie schwach sind, müssten aber nicht pauschal den Stoff des gesamten Schuljahrs wiederholen. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband fordert ein Sofortprogramm für "Kinder aus benachteiligten Familien" mit Heim-Besuchen von Schulbegleitern, mehr Beratung, Sorgentelefonen und Ferienangeboten.

Während die Verbände fordern und das Ministerium auf Bewährtes setzt, werden in Oberfranken und Schwaben Fakten geschaffen: Die Bildungsbüros der Stadt und des Landkreises Bamberg bieten schon in den Osterferien Förderkurse an; in der Stadt nur für Grundschüler, im Umkreis in allen Schularten. Das Schulwerk des Bistums Augsburg investiert 100 000 Euro in eine Summerschool, die an jeder seiner 31 Realschulen und Gymnasien in den Sommerferien stattfinden soll. Fünft-, Sechst-, und Siebtklässler bekommen zwei Wochen lang in Dreiergruppen Unterricht in Deutsch, Mathe und Englisch. Sie werden gezielt getestet, um Fortschritte messen zu können. Im Schulalltag seien die Lücken nicht zu schließen, sagt Schulwerksleiter Peter Kosak. "Sie kriegen die Schüler nicht."

Damit diese Kinder in die Sommerkurse gehen, setzt er auf intensive Elterngespräche. Und auf klare Grenzen: "Einserschüler wollen wir da nicht haben, es geht um unsere Verantwortung als bildungsgerechte Institution." Statt Lehrer setzt Kosak in der Summerschool Studenten ein: "Sie kriegen keine Freiwilligen, auch nicht, wenn das bezahlt wird." Die Summerschool 2020 scheiterte daran, dass er nicht genügend Lehrer fand. Nun übernehmen angehende Lehrer der Universität Augsburg, deren Schulpraktikum ansteht. Sie absolvieren das Praktikum an den katholischen Schulen, bekommen für die Summerschool 30 Euro pro Stunde und werden von ihrem Pädagogikprofessor Klaus Zierer auf den Förderunterricht vorbereitet. Zierer sieht darin eine große Chance für seine Studenten, die deutlich mehr und selbständiger unterrichten können als im Praktikum üblich. Binnen fünf Tagen haben sich mehr als 100 Freiwillige gemeldet.

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