Katholische Kirche:Köln ist überall

Protest gegen die katholische Kirche vor dem Dom in Köln

Eine Plastik des Künstlers Jacques Tilly steht vor dem Dom in Köln. Sie soll die Probleme der katholischen Kirche symbolisieren.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Während Bischöfe über Kirchenaustritte reden, machen Betroffene von sexuellem Missbrauch klar, dass sie die Täter nicht davonkommen lassen wollen. Doch in vielen Bistümern hakt es bei der Aufklärung.

Von Christian Wernicke, Köln, und Annette Zoch

Jens Windel hatte diesen Albtraum. Dass jetzt wieder der Deckel draufkommt, dass die katholische Amtskirche es schafft, die Schreie der Opfer des sexuellen Missbrauchs zu ersticken. Und dass die Bischöfe, die über Jahre und Jahrzehnte hinweg die Aufarbeitung des Unrechts vertuschten und die Täter schützten, davonkämen. "So erlebe ich das leider", sagt Windel, "was hat sich denn verändert?"

Dennoch ist Jens Windel jetzt nach Köln gekommen: "Ich wehre mich, ich will nicht nur Opfer sein." Der 46-jährige Mitbegründer einer Betroffenen-Initiative aus dem Bistum Hildesheim hat sich - zusammen mit einem Dutzend anderer Opfervertreter aus ganz Deutschland - am Mittwochmittag gegenüber dem Portal der mächtigen Kathedrale hingestellt und leise protestiert: gegen das Schweigen, gegen das Unrecht, das ihm einst selbst als Messdiener von einem katholischen Priester angetan wurde.

Und er hat seinen Albtraum mitgebracht, nachgezeichnet von einem anonymen Freund, gedruckt als schreiendes Plakat, zwei Meter mal ein Meter groß: die rötlich-kahlen Schädel der Opfer im Vordergrund, der drohend-schwarze Deckel über ihnen - und dahinter die Kirchenoberen, die ihre Ruhe haben wollen.

Nur, geht der Deckel noch zu?

Katholische Kirche: Der Albtraum von Jens Windel, aufgestellt vor dem Kölner Dom am Mittwoch.

Der Albtraum von Jens Windel, aufgestellt vor dem Kölner Dom am Mittwoch.

(Foto: Roy Thormann)

Es sieht nicht so aus. Während vor dem Dom Jens Windel das Plakat aufstellt und ein derber Karnevalswagen von Jacques Tilly Position einnimmt, sitzt Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki vermutlich im Bischofshaus vor seinem Computer und nimmt an der digitalen Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz teil. Die tiefe, die Kirche in ihrer Existenz bedrohende Krise ist dort das bestimmende Thema. Bei einem Studientag am Mittwoch wollten sich die Bischöfe mit den Kirchenaustritten beschäftigen - gerade Köln dürfte hier derzeit Spitzenreiter sein.

Die Krise in Köln habe Auswirkungen auf die ganze Kirche, hatte Bischofskonferenz-Chef Georg Bätzing vorab gesagt. Im "ZDF-Morgenmagazin" nannte Bätzing die Vorgänge in Köln erneut "ein Desaster": "Das Krisenmanagement war schlecht und es ist weiterhin schlecht." Einst war die Bischofskonferenz um größtmögliche Einigkeit bemüht, solch konfrontative Worte eines Vorsitzenden sind immer noch ungewöhnlich.

Die Geduld der Betroffenen ist erschöpft

Trotz solch scharfer Töne: Die Geduld der Betroffenen ist nach elf Jahren des Missbrauchsskandals aufgebraucht. "Die Kirche hat gezeigt, dass sie es allein nicht kann", sagte der Geschäftsführer der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, am Mittwoch in Köln. "Deshalb fordern wir: Bundestag, du musst dich einmischen." In einer Petition kämpft ein Aktionsbündnis aus vielen Betroffeneninitiativen für eine staatliche Wahrheitskommission.

Köln ist - wenngleich es gerade im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit steht - nur eins von 27 Bistümern in Deutschland. Das Problem ist ein systemisches, und es betrifft die Kirche als Ganzes. Zwar hatte im Juni 2020 die katholische Bischofskonferenz mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes Wilhelm Rörig, eine Vereinbarung zur Aufarbeitung unterzeichnet. Danach soll es unter anderem in jedem Bistum eine unabhängige Aufarbeitungskommission geben, in denen zwei Betroffene sitzen sollen. Diese wiederum sollen idealerweise von einem eigens zu bildenden Betroffenenbeirat benannt werden.

Doch bei den Beiräten hapert es: In einigen Bistümern, darunter zum Beispiel Passau, Bamberg und Eichstätt, gibt es nach Angaben der Bistumssprecher nicht genügend Bewerber. Zudem wollen sich viele Betroffene einem Bewerbungsverfahren nicht aussetzen, weil sie sich erneut zu Bittstellern degradiert fühlen, die bei der Institution anklopfen müssen - statt dass es umgekehrt ist.

Bistümer wiederum verweisen darauf, nicht einfach Missbrauchte anschreiben zu wollen, um diese nicht zu retraumatisieren. Patrick Bauer, der einst selbst im Betroffenenbeirat des Erzbistums Köln saß, ehe er im Streit um das zurückgehaltene Missbrauchsgutachten zurücktrat, warnt zudem davor, Betroffenenbeiräte als Interessenvertretung von Betroffenen zu missverstehen: Sie seien dazu da, die Bischöfe zu beraten. Es ist kompliziert.

Betroffene bemängeln außerdem, dass sie bei der Vernetzung häufig nicht unterstützt werden. "Doch ohne Vernetzung geht es nicht", sagen Agnes Wich und Astrid Mayer von der Betroffeneninitiative Süddeutschland.

Ihre erst Ende 2020 gegründete Initiative verbindet Menschen in süddeutschen Bistümern, die von Diözesanpriestern missbraucht wurden. "Diese Opfer sind besonders isoliert und wissen häufig gar nicht voneinander, zum Beispiel, wenn Priester mehrfach Täter wurden. Wir wollen dabei helfen, dass sie sich finden können", sagt Astrid Mayer.

Die Vernetzung ist häufig nicht gewünscht

Doch eine solche Vernetzung sei häufig gar nicht gewünscht, sagt Renate Bühn aus dem Betroffenenbeirat des Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, die an der Rahmenordnung für Betroffenenbeteiligung mit gearbeitet hat. "Auch wir hatten gefordert, dass die Möglichkeit zur Vernetzung in der Rahmenordnung drin ist. Dieser Paragraf wurde gestrichen. Wir brauchen aber dringend eine Koordination und einen Wissensfluss, was in den einzelnen Bistümern läuft."

Nein, er wolle keine Rache, keine Revanche, beteuert Patrick Bauer vorm Domportal. "Mir ist es völlig egal, ob der Erzbischof von Köln zurücktritt." Wichtig sei ihm, dass "sich endlich die Strukturen ändern, dass niemand - auch kein Bischof - für sich allein im Kämmerlein entscheiden kann, was die Wahrheit ist". Vertrauen in die Kirche könne er erst wiedergewinnen, wenn "endlich mal ein früherer Verantwortlicher etwas zugibt, was nicht längst schon in einem Gutachten oder in der Zeitung stand - wenn sie bereuen und in Scham ihre Ehrentitel abgeben".

Auch Karl Haucke, einst ebenfalls Mitglied im Kölner Betroffenenbeirat, erzählt vom Vertrauensbruch. Davon, dass er Woelki und der Kirche "eine zweite Chance" gegeben hatte - "aber er hat's verbockt". Vor allem aber erklärt Haucke eindringlich, weshalb die Opfer darauf drängen, dass endlich alle Gutachten und sämtliche Erkenntnisse der kirchlichen Ermittlungen offengelegt werden: "Viele von uns kennen nicht mal manche Hintergründe ihrer eigenen Biografie", sagt Haucke, "wer hat die Täter versetzt und davonkommen lassen?"

Ohne Aufklärung, das wird klar, wird der siebzigjährige Mann mit dem grauen Bart hinter der Atemmaske keine Ruhe geben: "Denn nur so können wir unseren Frieden finden."

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