Serie: Jetzt im Museum:Schöner durch die Hölle gehen

Serie: Jetzt im Museum: Als Klaus Wrage dem Berliner Kupferstichkabinette seine Mappe schenkte, hoffte er sicher auf Ankäufe. Hier der Holzschnitt "Purgatorio XV (Die Göttliche Komödie)" (1923).

Als Klaus Wrage dem Berliner Kupferstichkabinette seine Mappe schenkte, hoffte er sicher auf Ankäufe. Hier der Holzschnitt "Purgatorio XV (Die Göttliche Komödie)" (1923).

(Foto: Staatliche Museen zu Berlin - Kupferstichkabinett Fotograf: Dietmar Katz / Dr. Helgi und Helga Wrage)

Das Berliner Kupferstichkabinett hat Dante-Zyklen von Ebba Holm und Klaus Wrage angeschafft - wobei ihr Letzterer schon einmal gehörte.

Von Peter Richter

Wir, die wir nun also eingetreten sind ins zweite Jahr der Seuche und des Lockdowns, müssen die Hoffnung, endlich wieder Ausstellungen zu sehen, vielleicht noch nicht gänzlich fahren lassen. Denn dieses ist ein Dante-Jahr. Der 700. Todestag des Dichters der "Göttlichen Komödie" steht an. Und das Berliner Kupferstichkabinett hat fest versprochen, das mit einer Sonderschau zu feiern, die gleich zwei glückliche Neuerwerbungen vorführen soll: große Illustrations-Zyklen zu Dantes Werk, einer von dem holsteinischen Expressionisten Klaus Wrage und einer von der dänischen Künstlerin Ebba Holm, die etwa zur gleichen Zeit lebte und tätig war. Also zweimal leidenschaftlicher Italianismus aus dem Norden, zweimal das gleiche Thema, zweimal sogar eine ähnliche Technik, Holzschnitt vs. Linolschnitt - es klingt beinahe wie ein Wettkampf. Und im Fall von Wrage verhält es sich sogar so, dass diese Neuerwerbung genau genommen eine Wiedererwerbung ist, dass zu der dargestellten Irrfahrt Dantes noch die der Bilder selber kommt. Aber der Reihe nach.

Andreas Schalhorn, der Kurator für die Kunst der Moderne in der größten Grafiksammlung des Landes. Derzeit liegt das Gebäudegebirge des Kulturforums noch eisig und einsam im Berliner Spätwinter. Genau genommen wirkt so das Museumsensemble selber wie Dantes Läuterungsberg, den ein höllischer Meteoriteneinschlag von der anderen Seite der Erde aus hier hervorgetrieben haben muss. Solange nämlich der übliche Aufstieg über die gletscherartige Rampe an verschlossenen Türen endet, muss man durch eine Nebenklamm zum gut versteckten Diensteingang und durchs Treppenhaus in den Magazinraum, in dem die heiligen Mappen größtenteils eben gerade nicht liegen, sondern vielmehr stehen, und zwar zu Tausenden, aufrecht nebeneinander, wohl weil es so viele sind. "Dürer" liest man auf manchen. Ein paar Schränke weiter wird Rembrandt stehen, irgendwo der große kleine Adolph Menzel. Klaus Wrages Mappe liegt bereits zur Ansicht auf dem grünledrigen Tisch.

Die Göttliche Komödie war in den Zwanzigern geradezu wild in Mode

Wie hat es der außerhalb Norddeutschlands vielleicht nicht unbedingt weltberühmte Mann in eine solche Gesellschaft geschafft?

Indem er sich gewissermaßen selbst eingeladen hat. Wrage habe seinen Zyklus dem Museum damals geschenkt, sagt Schalhorn. 1921 war ja ebenfalls Dante-Jahr, der 600. Todestag, und die Göttliche Komödie war danach geradezu wild in Mode in Deutschland. Klaus Wrage, der in den Zwanzigern allerdings lieber mit einem ihm offenbar schwungvoller vorkommenden Claus signierte, rechnete sich offenbar Interesse an seinem Monumentalwerk aus - sowie, wenn er erst einmal in der Sammlung war, weitere Ankäufe.

Letzteres sollte sich nicht erfüllen, auch nicht, als er zur Nazizeit auf nordische Mythen umschwenkte, nun wieder als Klaus, mit kantigem K. Am Ende war er in der Sammlung gar nicht mehr vorhanden. Die Mappen waren abhandengekommen, in den Wirren am Ende des Krieges, und schlimmer noch: Sie wurden zunächst nicht einmal vermisst.

Dann aber trat vor zwei Jahren ein amerikanischer Kunsthändler mit Sitz in Spanien an Schalhorn heran. Aus einer italienischen Privatsammlung in Genua waren ihm nach dem Tod des Sammlers Wrages Holzschnitte zu Dante angeboten worden. Auf den Rückseiten entdeckte der Händler den feinen ovalen Stempel des Kupferstichkabinetts. Der Rückgewinn dieser Werke gelang schließlich bei einem gleichzeitigen Ankauf der in vollständigen Exemplaren auf dem Kunstmarkt extrem seltenen Linolschnittfolge zur Göttlichen Komödie von Ebba Holm.

Serie: Jetzt im Museum: Extrem selten sind die Linolschnitte von Ebba Holm, wie "Inferno V (Die Göttliche Komödie)" (um 1923-1928).

Extrem selten sind die Linolschnitte von Ebba Holm, wie "Inferno V (Die Göttliche Komödie)" (um 1923-1928).

(Foto: Staatliche Museen zu Berlin - Kupferstichkabinett Fotograf: Dietmar Katz)

Diese Arbeiten stammten aus der gleichen Quelle in Genua. Der Sammler muss ein geradezu religiöser Dante-Verehrer gewesen sein. Aber das sind in Italien ja viele Leute und auch völlig zu Recht. Allein die Idee, dass Luzifers Höllensturz einen Krater in Form eines Amphitheaters verursacht habe, was dem Läuterungsberg auf der anderen Seite zwangsläufig das Aussehen eines Teleskopes gibt, ist ja nun einmal von geradezu physikalisch entzückender Schönheit. Dass nur so die berühmten Ringe entstehen konnten, die der Erzählung ihre Struktur geben, steht dabei noch einmal auf einem anderen Blatt - nämlich einem der ersten in Ebba Holms Zyklus: Links eine Zickzackline, halb Treppe, halb Blitz, rechts noch eine, und fertig ist der finstere Trichter.

Wrages Visionen sind im Vergleich generell meist filigraner und ekstatischer, die Schilderungen der Dänin vielleicht ein bisschen distanzierter, dafür mit cooler Wucht. Aber so ganz genau wird man das erst sagen können, wenn alles wirklich endlich ausgebreitet an den Wänden der Ausstellung hängt.

Über den grünen Ledertischen des Kabinetts ist zumindest schon mal zu konstatieren, dass dieses absolute Lieblingsthema von Künstlern aller Zeiten, von Botticelli bis hoch zu Rauschenberg, im Holz- und Linolschnitt der Zwanzigerjahre besonders dramatisch ausfällt. Das radikale Schwarzweiß treibt die Story gewissermaßen aus sich heraus nach vorn, denn da gibt es nun einmal nur Licht oder Schatten, Verdammnis oder Erlösung, und keiner kann es sich im Dämmer eines lauen Limbus allzu lange gemütlich machen.

Jetzt im Museum

Damit die Kunst wieder sichtbar wird, zeigt die SZ aktuelle Ankäufe aus deutschen Häusern. Folge 3: Dante-Zyklen von Ebba Holm und Klaus Wrage.

Zum Abschied bleibt Kurator Schalhorn noch zu erwähnen, dass der Ankauf einer in Ulm ansässigen Familienstiftung zu danken sei. Aus dem Etat, den das Haus selber zur Verfügung hat, wäre das nicht gegangen. Erstens ist das nur eine kleinere fünfstellige Summe pro Jahr, und zweitens wird die strikt für Künstler der Gegenwart ausgegeben - wobei die vielleicht auch immer noch gut beraten wären, es so zu machen, wie einst Klaus bzw. Claus Wrage, als er so unbedingt in diese Sammlung wollte.

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