Krise des FC Liverpool:Klopps schwerste Stunde

FILE PHOTO: Premier League - Liverpool v Fulham

Beim FC Liverpool ausgelastet, auch deshalb für die Löw-Nachfolge nicht verfügbar: Jürgen Klopp.

(Foto: Phil Noble/Reuters)

Der Trainer erlebt seine heikelste Phase als Liverpool-Coach. Er fühlt sich an den Absturz mit Dortmund erinnert - lehnt den Bundestrainer-Posten aber kategorisch ab.

Von Sven Haist, Liverpool

Niemals zuvor fiel ein amtierender englischer Meister so spektakulär wie derzeit der Liverpool Football Club. "Fallen off a cliff", von der Klippe gestürzt, fasste der einstige LFC-Angreifer Michael Owen jüngst diese bestürzende Situation zusammen. Nach nur zwölf Punkten aus 14 Partien ist der noch an Weihnachten komfortabel die Premier League anführende Klub auf Tabellenplatz acht angekommen. Erstmals in der Historie des 1892 gegründeten Vereins gingen sechs Heimspiele in Serie verloren - nachdem er zuvor 68 Mal zu Hause unbesiegt geblieben war. Folglich lautete am Sonntag nach dem 0:1 gegen den Abstiegskandidaten FC Fulham die zentrale Frage im BBC-Interview an Trainer Jürgen Klopp: "Ist das ein Tiefpunkt?"

Klopp, 53, seit Oktober 2015 am River Mersey, blieb sich treu und sprach unverstellt und direkt: "Ich wünschte, ich könnte es verneinen." Doch ja, dies sei der Tiefpunkt. Trotz der heute schon missglückten Titelverteidigung nach dem ersten Ligagewinn seit 1990 war das Eingeständnis nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Denn Klopp musste in seiner Trainerlaufbahn bereits einige schmerzhafte Rückschläge verkraften: zwei knapp verpasste Bundesliga-Aufstiege mit Mainz 05; sechs verlorene Endspiele am Stück, darunter die Finals in der Champions League mit Borussia Dortmund 2013 (1:2/FC Bayern) und dem FC Liverpool 2018 (1:3/Real Madrid); sowie den zwischenzeitlichen Absturz mit dem BVB auf Platz 18 in der Saison 2014/2015.

Löws Nachfolger? "Ich stehe nicht zur Verfügung!"

Wie angespannt ist also die Lage in Liverpool vor dem wegweisenden Achtelfinal-Rückspiel gegen RB Leipzig an diesem Mittwoch (21 Uhr) in der Champions League? Zu verteidigen ist ein 2:0-Vorsprung, Corona-bedingt findet auch das Rückspiel in Budapest statt. Doch es geht in Liverpool bereits um mehr, diskutiert werden Grundsatzfragen. Dient die Krise nur dem Rückbau einer Erwartungshaltung, die nach 196 Punkten in den beiden Spielzeiten zuvor außer Kontrolle geraten sein könnte? Oder ist sie Vorbote eines Umbruchs im Verein, der nach fünfeinhalb erfolgreichen Jahren auch Klopp treffen könnte?

Eine durchaus attraktive Option zum Abschied hat der Trainer allerdings ignoriert, als er am Tag vor dem Leipzig-Spiel kategorisch ausschloss, die Nachfolge von Bundestrainer Joachim Löw anzustreben ("Stehe nicht zur Verfügung!").

Am Telefon gibt Hannes Wolf, 39, seine Einschätzung ab. Über Jahre bekam der heutige Trainer der deutschen U18-Junioren, der auch schon den VfB Stuttgart und den Hamburger SV trainierte, als Nachwuchscoach in Dortmund mit, wie Klopp den Verein 2012 zu Meisterschaft und Pokalsieg führte, und wie er dann im April 2015 entkräftet um die Auflösung seines Kontraktes bat. "Das ist typisch für Jürgen, dass er die Situation in Liverpool ehrlich anspricht und nicht drum herum redet. Einerseits darf man die schlechte Bilanz nicht dramatisieren vor dem Hintergrund, wie erfolgreich er gewesen ist. Andererseits fühlt sie sich für ihn nicht gut an. Aufgrund der finanziellen Einbußen in der Pandemie wäre ein Verpassen des Europapokals sicher einschneidend."

Der Absturz damals mit Dortmund? "Fast schon Kindergarten im Vergleich zu hier. Wir haben größere Probleme"

Für die erneute Teilnahme an der Champions League müsste Liverpool entweder den Wettbewerb gewinnen oder in der Premier League die nun schon sieben Punkte Rückstand auf Platz vier aufholen. In Liverpool sind sie deshalb fast schon froh, dass ihr Heimrecht gegen Leipzig in Ungarns Hauptstadt aktiviert wird und nicht an der seit Wochen wie verhext wirkenden Anfield Road. Fürs Weiterkommen werden alle verbliebenen Kräfte gebündelt. Gegen Fulham schonte Klopp die meisten Stammspieler, die ihm überhaupt noch zur Verfügung stehen. Denn die Verletztenliste ist lang: Neben Kapitän Jordan Henderson fehlen die Innenverteidiger Virgil van Dijk, Joe Gomez und Joel Matip. Der Einsatz des im Winter von Schalke 04 verpflichteten Abwehrspielers Ozan Kabak ist ebenso fraglich wie das Mitwirken von Mittelstürmer Roberto Firmino. Die zuvor wochenlang ausgefallenen Mittelfeldakteure Thiago und Fabinho sowie Angreifer Diogo Jota suchen ihre Form.

Am Dienstag erinnerte Klopp noch einmal an seinen einstigen Absturz mit dem BVB: "Das ist in Teilbereichen vergleichbar, weil damals auch in Dortmund Verletzungen zu verschiedenen Dingen geführt haben." Generell aber sei es heute dann doch völlig anders: "Selbst wenn wir mit Dortmund 17. oder sogar 18. waren, was seeehr unangenehm war, so war die Situation im Grunde fast schon Kindergarten im Vergleich zu hier. Wir haben größere Probleme." Eine simple Lösung zeichnet sich dafür bislang nicht ab: "Wir sind einfach in der Situation drin und versuchen das zu regeln. Und das hat nicht oft genug geklappt, um ganz ehrlich zu sein."

Auffällig war, dass Liverpool zuletzt viele Tore nach Kontern kassierte und sich zudem defensiv teils haarsträubende Aussetzer leistete. Wäre es daher für die ständig umformierte Defensive nicht leichter, sich - im Gegensatz zu Liverpools eigentlichem Naturell - ein Stück weit zurückzuziehen? "Ich glaube nicht, dass das die Lösung ist", springt Wolf Klopp bei, "weil das die verletzten Spieler auch nicht zurückbringen würde. Und sobald man auf diesem Niveau an Leistungsfähigkeit, an Qualität einbüßt, wird das bestraft."

Bis heute demonstriert die Klubführung um den amerikanischen Börsenhändler John W. Henry, dem der FC Liverpool mehrheitlich über die Fenway Sports Group gehört, Geschlossenheit. Und Klopp betont: "Die Besitzer möchten, dass ich die Situation bereinige - und ich möchte die Situation mit den Spielern bereinigen."

Zur SZ-Startseite

Premier League
:Es rumpelt in der Coaching Zone

Nach 21 Siegen in Serie verliert Pep Guardiola mit Manchester City das Stadtduell gegen United - auch weil kein anderer Trainer Guardiola so gut durchschaut wie Ole Gunnar Solskjaer. Nach dem Spiel gibt es Redebedarf.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: