Berlin:Our house

Besetztes Haus in der Rigaer Straße 94

Symbol der linken Szene, Graus der Berliner Innensenatoren: Die Rigaer Straße 94 ist eines der letzten besetzten Häuser in Berlin.

(Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Die Rigaer Straße 94 ist das Symbol der linken Szene in Berlin. An dem teils besetzten Haus sind schon viele Innensenatoren gescheitert. Nun ist wieder einmal ein groß angelegter Polizeieinsatz vor Ort geplatzt.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Beide Seiten hatten sich seit Wochen gut auf diesen Donnerstag vorbereitet. Die einen hatten verbal aufgerüstet, "Rigaer 94 verteidigen", forderten sie auf Twitter. "Für den 11. & 12.3. kündigen sich eine dubiose Eigentümerin, ihre Lakaien und hunderte von behelmten Schlägern an, unser Haus zu zerstören." Die anderen hatten die Polizeihundertschaften schon in Bereitschaft versetzt, Beamte aus der ganzen Republik sollten dafür zusammengezogen werden. Wieder einmal klang es, als wäre das Schicksal der Rigaer Straße 94, des Zentrums der Linksextremen in Berlin, besiegelt.

Doch die "Begehung" des teilbesetzten Hauses wurde abgesagt. Der finanzielle Schaden wird auf mehrere Hunderttausend Euro geschätzt, auch wegen der Hotelkosten für die Polizisten aus anderen Bundesländern. Wesentlich schwerer aber wiegt die Blamage für den Senat aus SPD, Linken und Grünen: Wenige Monate vor den Wahlen in Berlin sieht es wieder einmal so aus, als kämen die Regierenden den teils gewaltbereiten Linksautonomen einfach nicht bei. "Recht und Gesetz müssen überall gelten", sagt der Spitzenkandidat der CDU Kai Wegner. "Ich fordere den Regierenden Bürgermeister auf, hier endlich ein Machtwort zu sprechen."

In der linken Szene kommt dem Altbau mit seinen etwa 30 Wohnungen dieselbe Bedeutung zu wie der Roten Flora in Hamburg oder Teilen des Leipziger Bezirks Connewitz. Es ist eines der letzten Überbleibsel einer jahrzehntelangen Tradition von Hausbesetzungen in Berlin. Nach der Wende kamen im Bezirk Friedrichshain Aktivisten aus Ost und West zusammen, etwa 130 Häuser waren besetzt und wurden dadurch auch vor dem drohenden Abriss gerettet; in 100 davon wurden im Laufe der Jahre Mietverträge geschlossen.

Doch das klingt versöhnlicher, als es war. Der Senat ließ regelmäßig besetzte Häuser von seinen Hundertschaften räumen, manche Besetzer revanchierten sich mit teils lebensbedrohlichen Attacken gegen die Beamten; immer wieder zogen Aktivisten nach einer Räumung auch durch die Straßen, zerschlugen Scheiben und demolierten Autos.

1500 Beamte rückten im Oktober an

Während die Rückzugsorte für den harten Kern der Besetzer immer weiter schrumpften, scheiterte zugleich ein Innensenator nach dem anderen daran, ein "Machtwort" zu sprechen und die besetzten Häuser komplett zu räumen. Zuletzt der frühere CDU-Innensenator Frank Henkel. Im vergangenen Oktober rückte die Polizei gleich mit etwa 1500 Beamten an, darunter auch Mitglieder eines Spezialeinsatzkommandos, um ein besetztes Haus, ein queer-feministisches Projekt, um die Ecke der Rigaer Straße zu räumen.

In der Rigaer 94 sind bislang alle solche Versuche gescheitert. Einer der Gründe ist, dass manche Bewohner tatsächlich Mietverträge besitzen; vor allem aber liegt es daran, dass sich der Eigentümer des Hauses hinter einer britischen Briefkastenfirma versteckt - aus Selbstschutz, wie sein Anwalt erklärt. Berliner Gerichte haben wegen dieser Konstruktion über Jahre hinweg die Anwälte nicht als legitime Vertreter des Eigentümers anerkannt. Und ohne legitimen Vertreter lässt sich auch keine Räumung durchsetzen.

Wie angespannt die Lage ist, zeigt sich auch daran, dass es an diesem Donnerstag nicht einmal um eine Räumung gehen sollte. Da kaum jemand das Innere des Hauses kennt, besteht seit 2016 der Verdacht, zahlreiche Umbauten hätten den Brandschutz zunichtegemacht. Der Anwalt, der Hausverwalter und ein Gutachter sollten, geschützt von Hunderten Polizisten, das Haus inspizieren.

"Dieser Versuch wird auf unseren Widerstand stoßen", kündigten die Bewohner der Rigaer Straße 94 an. Sie glauben, die Begehung sei nur ein Vorwand zur Räumung: "Wir vermuten, dass unser Haus eigentlich durch einen zerstörerischen Polizeieinsatz dermaßen verwüstet werden sollte, um die Voraussetzungen für eine 'Notfallevakuierung' zu schaffen." Senat und Eigentümer bestreiten dies.

Alleingang des Grünen-Baustadtrats Schmidt

Als wäre dies nicht schon alles kompliziert genug, wurde das Vorhaben des Senats nun von jemandem aus den eigenen Reihen unterlaufen. Florian Schmidt, Baustadtrat der Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg und damit zuständig für den Brandschutz auch in der Rigaer Straße 94, hat dabei seinem Ruf als Enfant terrible der Berliner Politik alle Ehre gemacht. Er hat bereits am Dienstag mitsamt Bauaufsicht, aber ohne Polizei das Haus untersucht. Die Bewohner waren damit einverstanden. Schmidts Ergebnis: Keine Mängel, die nicht behoben werden könnten. Eine "Kontrollbegehung" der Bauaufsicht sei geplant.

Berlins Innensenator will die Eigenmächtigkeiten des Baustadtrats jedoch nicht hinnehmen. Die Begehung sei "widersprüchlich und unzureichend", sagte er. Der Einsatz von diesem Donnerstag werde sehr bald nachgeholt.

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