Kreativität:"Der Mensch hat ein Gestaltungsbedürfnis"

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Die 21-jährige Lisa Holzapfel geht in die zweite Jahrgangsstufe der Fachschule für Modellistik. (Foto: Amelie Gold)

Junge Modeschöpferinnen nutzen die Pandemie als Inspiration für mehr Nachhaltigkeit - und werden mit Ausweichmaterialien kreativ.

Von Christiana Swann

Normalerweise sitzen die Schülerinnen und Schüler der Deutschen Meisterschule für Mode und der Designschule München mit ihren Dozenten in Lehrräumen voller Stoffproben und Schnittmuster und sind zusammen kreativ. Doch natürlich war nichts normal in den vergangenen zwölf Monaten. Da saß jeder allein in seinen eigenen vier Wänden, "aber jeder in seinem eigenen kleinen Atelier. Mit Schneiderpuppe, Nähmaschine und Stoffmustern", sagt Lisa Holzapfel und lacht. Die 21-Jährige hat ihr zukünftiges Arbeitsleben - wenn nicht sogar ihr ganzes Leben - der Mode verschrieben. Ein Metier, das viel mit Fühlen, mit Kreativität und Handwerk zu tun hat. Eine Herausforderung in Zeiten, in denen Isolation so wichtig ist.

"Der Austausch mit den Mitschülern hat im Distanzunterricht gefehlt", erklärt Holzapfel. Und doch sei mehr Raum für Kreativität da gewesen, mehr Zeit zum Überlegen. Mit einer Teppichmaschine kreiert sie sogenannte Backprints - kleine Teppiche aus Wolle, die sie zum Beispiel auf Jeansjacken aufnäht. Aus alten Jeans macht die Schülerin Wale zum Kuscheln und verschenkt diese im Freundeskreis. "Man kann auch aus alten Sachen etwas Neues machen", sagt sie.

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Nachhaltige Mode liegt im Trend. Auf Instagram hat sich der Hashtag #greenfluencer etabliert. Influencer werben für Kleidungsstücke aus Bambus, und auch Mode-Giganten wie H&M und Zara ergänzen ihr Sortiment mit sogenannten Conscious-Produkten, bei deren Produktion laut Herstellerangaben auf die Umwelt geachtet werde. "Ich denke aber, es wird noch dauern, bis Menschen bewusst über ihren Modekonsum nachdenken. Bis ihnen bewusst wird: Ich tue mir und jedem anderen Menschen nichts Gutes, wenn ich Fast Fashion konsumiere", sagt Joyce Eder. Die 22-Jährige ist in der Berufsfachschule für Kommunikationsdesign im dritten Schuljahr. Nachhaltigkeit ist für sie kein Trend, sondern eine Lebenseinstellung. Sie selbst näht ihre Kleidungsstücke selbst, so wie viele ihrer Schulkollegen.

Wie hat die Pandemie ihr kreatives Schaffen verändert? Die Planung der Projekte habe sich gewandelt, sagt die Schülerin. Denn viele Geschäfte seien zeitweise geschlossen. Wo also die Materialien herbekommen? Welche Ausweichmaterialien verwenden? Die Schüler seien erfinderisch gewesen und hätten genutzt, was sie daheim fanden: Sushiblätter, eine alte Luftmatratze, eine Skibrille - alles Materialien, die in ein Projekt mit Schuhen flossen.

Joyce Eder ist 22 Jahre alt und lernt in der Berufsfachschule für Kommunikationsdesign. (Foto: Michael Wagner)

"Corona hat uns gezwungen, in neuen Wegen zu denken, um die Leute zu erreichen", erklärt Mitschüler Alexander Buchner. Auch er ist in der Abschlussklasse der Berufsfachschule für Kommunikationsdesign. Vor der Pandemie hätten die Schüler bei der Umsetzung von Projekten vor allem analog gedacht, jetzt stehe das Digitale an erster Stelle. Apps und Webseiten statt Flyer und Poster. "Das Analoge wird nie komplett aussterben, aber es wird einen Bedeutungsverlust erleben", sagt Buchner. Er ist davon überzeugt, dass die Pandemie auch eine riesige Chance bietet. "Die Digitalisierung war eh schon da, Corona hat dem ganzen Antrieb gegeben", sagt Buchner. "Was ohne Corona vielleicht fünf Jahre gedauert hätte, das ist nun in einem Jahr geschehen."

Auch wenn die Kreativität in dieser schwierigen Zeit neu entfacht wurde und Ideen entstanden sind - es gibt auch Wermutstropfen. Höhepunkt des Schuljahres ist normalerweise eine Vorstellung der Hauskollektion und der Abschlusskollektion in der Muffathalle vor einem großen Publikum. In welcher Form die Kollektionen 2021 unter den aktuellen Umständen präsentiert werden, stehe noch nicht fest, sagt Dozent Michael Wagner. "Es ist schon Wahnsinn, was alles möglich ist. Vielleicht machen wir in Zukunft einen Hybrid - analog und online", so Wagner. Die Modenschau 2020 wurde unter strengen Hygieneauflagen und ohne Publikum gefilmt. Wer will, kann das Ergebnis im Nachhinein online streamen. "Mode hat etwas mit Fühlen zu tun. Wenn man so ein Event nur online macht, dann geht doch etwas vom Feeling verloren."

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Warum braucht die Gesellschaft überhaupt so etwas wie Mode, wenn es doch gravierende Konflikte wie Hungersnöte, Kriege und eine weltweite Pandemie in der Welt gibt? "Der Mensch hat ein Gestaltungsbedürfnis", sagt Katharina Voss-Wilkening. Die 23-Jährige ist Schülerin an der Fachschule für Schnitt und Entwurf in München. Auch sie ist mit ihren Arbeiten an der Abschlusskollektion beteiligt. Der Gestaltungswunsch sei Teil des Menschen; Mode und Kleidung die einfachste Form, sich auszudrücken. Auch in Zeiten wie diesen. "Als es mit der Pandemie losging und die Maskenpflicht eingeführt wurde, da hat man es gesehen. Die Menschen haben ihre Masken selbst genäht, teilweise selbst bestickt."

Katharina Voss-Wilkening möchte nach ihrem Abschluss selbst nachhaltig Kleidung produzieren, am liebsten nach dem Geschäftsmodell "made to order", also die Fertigung nach Auftrag. Zum Beispiel aus Stoffresten, die die großen Firmen einfach wegschmeißen oder verbrennen würden. "Fast Fashion ist nicht zu vertreten", sagt sie. "Ich wünsche mir, dass ein Umdenken kommt."

© SZ vom 17.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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