Astra-Zeneca-Vakzin:Wie es nach dem Impfstopp weitergeht

Millionen Menschen sind bereits mit dem Astra-Zeneca-Vakzin geimpft - ohne große Auffälligkeiten. Jetzt gibt es Meldungen über sehr seltene Hirnvenenthrombosen. Gibt es einen Zusammenhang? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Werner Bartens und Henrike Roßbach

Wie wird die Impfpause begründet?

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das für die Sicherheit von Impfstoffen in Deutschland zuständig ist, empfiehlt "nach intensiven Beratungen", vorübergehend die Impfungen mit dem Vakzin von Astra Zeneca auszusetzen. Grund sind in Deutschland und Europa aufgetretene "schwerwiegende thrombotische" Ereignisse. Sorge macht den Experten eine auffällige Häufung sehr seltener Sinusvenenthrombosen, das sind Verstopfungen der Hirnvenen, auch Hirnvenenthrombosen genannt. Die Entscheidung betrifft sowohl Erst- als auch Folgeimpfungen. Die Daten werden von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) analysiert und bewertet.

Was sollten Menschen beachten, die kürzlich mit dem Vakzin von Astra Zeneca geimpft worden sind?

Die geschilderten Komplikationen sind insgesamt extrem selten. Das Paul-Ehrlich-Institut weist dennoch darauf hin, dass Personen, die den Impfstoff von Astra Zeneca erhalten und mehr als vier Tage nach der Impfung noch Beschwerden haben, einen Arzt aufsuchen sollten. Starke, anhaltende Kopfschmerzen oder punktförmige Hautblutungen (Petechien) können typische Symptome sein.

Wie hoch ist die Thrombosegefahr im Zusammenhang mit Impfungen und generell?

Seit Tagen wird über Thrombosen und Lungenembolien nach Impfungen berichtet, also Blutgerinnsel, die sich bevorzugt in Bein- und Beckenvenen bilden. Wenn sich ein solcher Pfropf löst und mit dem Blutstrom in die Lunge gerät, kann er dort womöglich lebensbedrohliche Verstopfungen auslösen. Diese thromboembolischen Komplikationen können von allen Corona-Impfstoffen verursacht werden, sind aber selten. Zudem liegt die berichtete Häufigkeit um ein Vielfaches unter jener bei einer Covid-19 Erkrankung, bei der bis zu 15 Prozent der Patienten eine Thrombose bekommen.

Datenbanken zu Impfnebenwirkungen aus Großbritannien verzeichnen sowohl bei den Vakzinen von Biontech als auch bei jenen von Astra Zeneca etwa fünf bis sechs Thrombosen und Lungenembolien pro eine Million verimpfter Dosen, wobei ein kausaler Zusammenhang zur Impfung bisher nicht belegt ist.

Unabhängig von Corona oder der Impfung treten Thromboembolien in Deutschland insgesamt jährlich ungefähr 1000- bis 3000-mal pro eine Million Menschen auf und sind daher relativ häufig.

Üblicherweise bekommen 200 bis 300 von einer Million Frauen im gebärfähigen Alter jedes Jahr eine Thrombose. Nehmen Frauen die Pille, erhöht sich ihre Wahrscheinlichkeit, eine Thrombose oder Embolie zu entwickeln, je nach Präparat auf 700 bis 1200 zu einer Million, abhängig von weiteren Risikofaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel oder Übergewicht.

Was sind Hirn- oder Sinusvenenthrombosen?

Das PEI hat die Impfung mit dem Astra-Zeneca-Vakzin allerdings nicht wegen der allgemeinen Gefahr von Thrombosen ausgesetzt, sondern wegen der sehr seltenen Sinusvenenthrombosen. Bisher sind etwa 1,7 Millionen Dosen des Astra-Zeneca-Vakzins in Deutschland verimpft worden. Sechs Frauen zwischen 20 und 50 Jahren erlitten vier bis 16 Tage nach der Impfung eine Sinusvenenthrombose. Ein weiterer Fall mit Hirnblutungen bei Mangel an Blutplättchen sei medizinisch sehr vergleichbar gewesen, teilte das Paul-Ehrlich-Institut am Dienstag mit. Drei der sieben Betroffenen seien verstorben, dies sei ein "überzufälliges" Signal.

Blutgerinnsel in den Hirnvenen gehen meist mit einer Thrombozytopenie einher, also einem Mangel an Blutplättchen, die normalerweise zur Verklumpung des Blutes beitragen - wenn sie fehlen, jedoch das Risiko für Blutungen erhöhen. "Allerdings kann eine deutlich erhöhte Thromboseneigung zu einem erhöhten Blutplättchenverbrauch führen", sagt Peter Berlit, der zu neurologischen Auswirkungen von Covid-19 forscht. Es kommt auch zu einem Verbrauch von zur Gerinnung nötigen Blutbestandteilen wie Thrombozyten.

Frauen sind häufiger als Männer betroffen, wahrscheinlich spielen Hormone eine Rolle. In der späten Schwangerschaft, im Wochenbett und bei Frauen, die die Antibabypille einnehmen, sind Sinusvenenthrombosen am häufigsten.

Was haben Covid-19 und die Impfung womöglich mit Sinusvenenthrombosen zu tun?

Während einer Erkrankung an Covid-19 wird das Immunsystem hochgeregelt, was die Gerinnungsneigung des Blutes und damit die Thromboseneigung erhöhen kann. Deshalb kann es auch bei der Erkrankung zu Sinusvenenthrombosen kommen. "Nebenwirkungen von Impfungen können auftreten, wenn das Immunsystem zu viel oder an nicht gewünschter Stelle reagiert", sagt Berlit. "Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Symptom und Impfung zu belegen, ist jedoch ganz schwierig."

Ist es nicht viel gefährlicher, die Verhütungspille zu nehmen?

Auch die modernsten Antibaby-Pillen gehen mit einem deutlich erhöhten Thrombose-Risiko für die Frauen einher, die damit verhüten, das ist eine bekannte Nebenwirkung. Ob die zuletzt gemeldeten Thrombosefälle im Zusammenhang mit einer Astra-Zeneca-Impfung durch das Vakzin hervorgerufen wurden, oder andere Ursachen haben, ist bislang offen und Gegenstand der laufenden Untersuchungen. Impfstoffe werden gesunden Menschen verabreicht, um sie vor Krankheit zu schützen. An sie werden die höchsten Maßstäbe gelegt, wenn es um Nebenwirkungen geht. Zudem ist der mögliche Entstehungsmechanismus der Hirnvenenthrombosen viel mehr Alarmsignal als die sehr kleine Zahl der bislang gemeldeten Fälle.

Was heißt das für die Zweitimpfungen?

Je nach Vakzin und Reaktion darauf besteht auch nach einer Impfung bereits erheblicher Impfschutz. Er beträgt mehr als 90 Prozent, zumindest vor schweren Verläufen, für die eine Krankenhauseinweisung nötig wäre. Wie lange dieser Schutz anhält, ist allerdings noch ungewiss. Bisher ist zudem nicht genau belegt, aber vieles spricht dafür, dass für die Zweitimpfung nach einer Gabe des Astra-Zeneca-Vakzins auch ein mRNA-Impfstoff verwendet werden kann. Entsprechende Ergebnisse einer großen Studie aus England werden demnächst erwartet.

Wie wirkt sich das auf den Impf-Zeitplan insgesamt aus?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bat am Montagnachmittag, als er um 16 Uhr den Impfstopp verkündete, um Nachsicht: "Ich will nicht spekulieren, ich finde, das bringt jetzt nichts." Man möge es ihm nachsehen, dass er jetzt nicht schon alle Folgefragen für die kommenden Monate beantworten könne.

Klar aber ist, dass der Impfstopp ein weiterer Rückschlag für die deutsche Impfkampagne ist - nachdem Astra-Zeneca wegen Lieferschwierigkeiten schon mehrmals seine zugesagten Liefermengen deutlich gekürzt hat und auch Johnson & Johnson, dessen Impfstoff kürzlich als viertes Vakzin in der EU zugelassen worden war, wohl frühestens Mitte April liefern kann. Bislang wurden in Deutschland Stand 14. März knapp 1,65 Millionen Menschen ein erstes Mal mit Astra Zeneca geimpft. Zum Vergleich: Eine Erstimpfung mit Moderna erhielten knapp 240 000 Menschen, im Fall von Biontech/Pfizer waren es gut 4,6 Millionen.

Problematisch ist auch die Frage, was mit den Folgeimpfungen wird. Die zweite Dosis Astra Zeneca haben nämlich laut Statistik des Robert-Koch-Instituts erst 217 Menschen erhalten. Das liegt daran, dass das Vakzin erst Ende Januar von der EU zugelassen worden war. Zudem soll die zweite Impfung bei Astra Zeneca erst nach neun bis zwölf Wochen erfolgen, wobei zuletzt empfohlen wurde, die zwölf Wochen auszureizen. Ob jemand, der ein erstes Mal mit dem Vakzin von Astra Zeneca geimpft wurde, bei der zweiten Impfung einen anderen Impfstoff bekommen kann, konnte Spahn am Montag nicht sagen. Bislang ist ein solches Vorgehen nicht zugelassen.

Wann könnte es weitergehen?

Spahn sagte, man müsse nun "miteinander" die Entscheidung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) abwarten. Die soll im Lichte der Ereignisse entscheiden, ob sich durch die Blutgerinnsel-Fälle etwas ändert an der Zulassung des Astra-Zeneca-Vakzins in der EU. Die Bundesregierung hofft auf eine Entscheidung noch in dieser Woche.

Sollte die EMA rasch entscheiden, dass der Nutzen einer Impfung mit dem Astra-Zeneca-Mittel die möglichen Risiken übersteigt, könnte die Bundesregierung die Impfungen zwar bald wieder freigeben. Es stellt sich aber die Frage, wie viele Menschen eine Impfung trotzdem ablehnen würden - aus Angst vor einer Komplikation.

Hinzu kommt: Ohne Astra Zeneca könnte sich der Impfstart in den Arztpraxen verzögern, von dem sich viele Experten eine deutliche Beschleunigung der Impfkampagne erhofft hatten. Weil die Länder auch an ihren Impfzentren festhalten wollen, könnte am Ende nicht genug Impfstoff verfügbar sein, um die Praxen wie geplant bis spätestens Mitte April einzubinden.

Was ist, wenn man schon einen Impftermin hat?

Die Impftermine werden storniert und die Betroffenen entsprechend informiert; zuständig sind die jeweiligen Bundesländer. Abgesagt werden sowohl Erst- als auch Zweitimpfungen.

Welche Länder haben den Impfstoff gestoppt?

Bereits in der vergangenen Woche setzten Bulgarien, Dänemark, Irland, Island, Niederlande, Norwegen und Schweden die Impfung mit dem Astra-Zeneca-Vakzin aus. Am Montag folgten Deutschland, Italien, Frankreich, Lettland, Luxemburg, Portugal, Slowenien und Spanien. Großbritannien nutzt den Impfstoff weiter in großem Umfang. In den USA ist er noch nicht zugelassen.

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