Dänemark:Wenn Corona die Haft verdoppelt

(ARKIV) Betjente fra Koebenhavns Politi patruljerer i Indre Koebenhavn, loerdag den 12. september 2020. Politiet holder

Polizisten patrouillieren in Kopenhagen.

(Foto: Ólafur Steinar Rye Gestsson/imago images/Ritzau Scanpix)

Dänische Gerichte bestrafen Teilnehmer an Ausschreitungen bei Corona-Demonstration schärfer als normal. Eine Mutter minderjähriger Kinder muss deshalb zwei Jahre ins Gefängnis - und im Land wird über Verhältnismäßigkeit diskutiert.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Ungewöhnlich scharfe Gerichtsurteile gegen Demonstranten und Festnahmen von Gegnern der Corona-Politik haben in Dänemark eine Debatte losgetreten. Es geht um die Verhältnismäßigkeit der Reaktion des Staates auf seine Kritiker. Im Mittelpunkt steht dabei ein im vergangenen Jahr hastig verabschiedetes Gesetz, das Richtern erlaubt, die Strafen für Taten zu verdoppeln, die in "einem Zusammenhang mit der Corona-Epidemie" stehen.

Am vergangenen Freitag war eine 30-jährige Mutter zweier minderjähriger Kinder vom Kopenhagener Stadtgericht verurteilt worden. Sie hatte Anfang Januar an einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen teilgenommen. Bei der Demonstration in Kopenhagen war es zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen, 16 Polizisten wurden verletzt. Auf Videos war die Angeklagte zu sehen, wie sie in einer Rede zuerst dazu aufrief, die Stadt "zu zerschlagen" und wie sie anschließend andere Demonstranten anfeuerte, die Polizisten mit Steinen und Feuerwerkskörpern anzugreifen. Unter normalen Umständen, erklärte der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung, hätte die Frau dafür eine Haftstrafe von einem Jahr verdient. Wegen der Corona-Bestimmung im Strafrechtsparagrafen 81d aber verdoppele er die Strafe auf zwei Jahre.

Gleiches geschah am Dienstag einem 23-Jährigen, der für schuldig befunden wurde, auf derselben Demonstration drei Steine geworfen zu haben, die allerdings niemanden trafen. Auch seine Strafe wurde verdoppelt, er muss nun für ein Jahr und drei Monate ins Gefängnis.

Von Juristenkreisen, manchen Politikern und der Presse wurden die Urteile scharf kritisiert. Der Direktor der Denkfabrik Justitia, Jacob Mchangama, sprach von einer "moralischen Panik", in die die Behörden aus Angst vor Unruhen geraten seien und der sie nun die Rechtsstaatlichkeit opferten. Die großen liberale Zeitung Politiken nannte das Urteil gegen die 30-jährige Demonstrantin ein "Horrorbeispiel" für eine fehlgeleitete Justiz. Alle Kritiker sind sich einig, dass eine Demonstrantin, die Ausschreitungen noch befördert, indem sie aktiv zu Gewalt aufruft, eine Strafe verdient. Wenn aber eine schuldig gesprochene Teilnehmerin einer Corona-Demonstration doppelt so lange ins Gefängnis soll wie jemand, der exakt dasselbe auf einer Klimademo tut, dann sei das unverhältnismäßig und untergrabe den Rechtsstaat, schrieb Politiken in einem Leitartikel. Das Parlament, so die Zeitung, müsse den umstrittenen Paragrafen "so schnell wie möglich aufheben".

Tatsächlich hatte das Parlament den Paragrafen 81d im vergangenen Jahr in aller Eile zusammengezimmert und verabschiedet. Im Blick hatten die Politiker dabei zunächst vor allem den möglichen Diebstahl von Desinfektionsmitteln und Schutzausrüstung aus dem Gesundheitswesen, oder aber Betrug im Rahmen der staatlichen Corona-Hilfen. Dänemarks Richterverein und Anwaltsrat hatten damals schon gewarnt vor dem Gesetz.

Einige der Politiker, die vergangenes Jahr für den Paragrafen stimmten, packt nach den Urteilen nun die Reue. Karina Lorentzen Dehnhardt, eine Sprecherin der Sozialistischen Volkspartei sagte, man habe "Plünderung und Verwüstung" verhindern wollen. "Nie hätten wir gedacht, dass der Paragraf 81d auf eine Demonstration angewendet werden könnte, deren Thema zufällig Corona ist".

"Es ist ein Teufelskreis"

Die Diskussion über unverhältnismäßiges Vorgehen der Sicherheitsbehörden erhielt zusätzlich Futter, als die Polizei in Aarhus am Sonntag eine 29-Jährige vorübergehend festnahm. Die Frau war Administratorin einer Facebook-Gruppe, die gegen eine "Corona-Diktatur" polemisiert und für die Abschaffung des Paragrafen 113 des dänischen Strafgesetzbuches kämpft. Paragraf 113 sieht Freiheitsstrafen vor für jene, die Dänemarks Parlamentarier oder Regierungsmitglieder gewaltsam angreifen oder Gewalt androhen. Stein des Anstoßes war ein Foto, das die 29-Jährige in der Gruppe gepostet hatte. Das Foto stammt von einer Demonstration gegen die Regierung und zeigt eine brennende Puppe, die Dänemarks Premierministerin Mette Frederiksen darstellt, und die ein Schild um den Hals trägt, auf dem steht: "Sie muss und sie soll getötet werden".

Dass gegen die Frau nun ermittelt wird, allein weil sie ein Foto auf Facebook hochlud, das zuvor auch in den Zeitungen und Nachrichtensendern des Landes zu sehen gewesen war, wird von vielen als Angriff auf die Meinungsfreiheit gesehen. Kristian Lauta, Juraprofessor an der Universität Kopenhagen, beklagte, dass der harte Kurs die schlimmsten Vorurteile der Corona-Politik-Gegner bestätige. "Es ist ein Teufelskreis, der zu noch mehr Verschwörungsmythen und Spaltung führt", schreibt auch Politiken. Sten Schaumburg-Müller, Jurist an der Universität Süddänemark, lud für einen Blogbeitrag gleich selbst das umstrittene Foto der brennenden Frederiksen-Puppe hoch: "Dann sollen sie mich doch auch holen."

Die am Freitag verurteilte 30-jährige Demonstrantin hat angekündigt, in Berufung zu gehen. Justizminister Nick Hækkerup verteidigte derweil den Paragrafen 81d und das doppelte Strafmaß: "Wenn Sie Steine auf die Polizei werfen, greifen Sie die Behörden in einer Krise ernsthaft an. Als Gesellschaft müssen wir zeigen, dass wir an der Seite der Polizei stehen."

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