Fortsetzung von "The Big Lebowski":Jesus lebt

Jesus Rolls

Er kann es noch: Jesus Quintana (John Turturro) setzt nach dem Strike zum Siegestanz an, gemeinsam mit Rosa Gilmore.

(Foto: Atsushi Nishijima/Eurovideo Medien)

John Turturro hat eine Fortsetzung des Kultfilms "The Big Lebowski" gedreht. Kann das gutgehen?

Von David Steinitz

Bei dem Status als Megafilmklassiker, den "The Big Lebowski" heute besitzt, kann man es sich nur noch schwer vorstellen - aber als der Film im Frühjahr 1998 im Kino startete, bekam das zunächst einmal kaum jemand mit.

Denn kurz davor war "Titanic" angelaufen. Das war natürlich der perfekte Film für die Spätphase der unterbeschäftigten Neunzigerjahre, weil er ein Millionenpublikum schon mal dezent darauf vorbereitete, dass keine Party ewig dauern kann, nicht mal die Neunziger, und dass irgendwann der Eisberg kommt.

Im Kielwasser dieses letzten großen Hollywoodmelodrams des 20. Jahrhunderts gingen alle anderen Kinostarts gnadenlos unter. Der Film über Jeffrey "The Dude" Lebowski, gespielt von Jeff Bridges in der Rolle seines Lebens, in der er eigentlich nur White Russians trinken, in Ruhe kiffen und bowlen möchte, aber in eine Gangstergeschichte verwickelt wird, wurde erst in der Heimvideoauswertung zum Kult. Heute hat er eine treue Fangemeinde, die jede Dialogzeile auswendig kann.

Weshalb die Regisseure Joel und Ethan Coen grob geschätzt schon ungefähr eine Million Mal gefragt wurden, ob sie nicht eine Fortsetzung ihres Stoner-Klassikers drehen möchten. Auch der Autor dieses Textes muss gestehen, sich die Fanfrage nicht verkniffen zu haben beim Interview auf der Berlinale vor ein paar Jahren.

Die Coen-Brüder etwas zu fragen, und zwar zu egal welchem Thema, ist gar nicht so einfach. Denn die beiden sind genauso kauzig, wie man sich zwei Männer vorstellt, die einen Film wie "The Big Lebowski" in die Welt setzen. Im Laufe ihrer oscarprämierten Karriere haben sie eine Art Interviewritual entwickelt. Joel, der Ältere, sitzt dabei dem Fragensteller gegenüber und starrt ihn an, während Ethan, der Jüngere, permanent im Kreis um seinen Bruder und den Journalisten herumläuft.

Das bringt einen nach spätestens einer Minute komplett aus dem Konzept, was vermutlich auch die Idee dahinter ist. Oft ist nicht ganz klar, ob sie wirklich auf eine Frage antworten oder sich nur untereinander unterhalten und man halt zufälligerweise auch dabeisitzt. Aber auf die leicht nervös hervorgebrachte Frage, ob sie denn jemals "Lebowski 2" machen werden, antworteten sie, der eine starrend, der andere laufend, sofort im Zweierchor: "Auf gar keinen Fall!"

Die Vorlage ist eine Sexkomödie mit dem jungen Gérard Depardieu

Und sie haben ja auch recht, selbst wenn nervige Fans es nicht begreifen wollen - aber was soll man einem Meisterwerk schon folgen lassen, ohne es zu ruinieren?

Dass in dieser Woche mit "Jesus Rolls" trotzdem eine Art Fortsetzung als Video-on-Demand erscheint, ist dem Schauspieler und Regisseur John Turturro zu verdanken. Er ist seit Jahrzehnten ein festes Mitglied der Coen-Truppe, drehte mit ihnen unter anderem "Barton Fink" und "O Brother, Where Art Thou?".

Auch für "The Big Lebowski" engagierten die Brüder ihn. Turturro spielt den extrovertierten Latino-Bowler Jesus Quintana, dessen Markenzeichen das Ablecken der Bowlingkugel mit der Zungenspitze ist. Sobald er einen Strike hinlegt, setzt er außerdem zu einem Siegestanz mit obszön viel Hüftschwung an - und Jesus legt immer einen Strike hin.

Jesus Rolls - Szenenbild des Films

Ohne Bowlingbahn ist das Leben auch schön: Bobby Cannavale, Audrey Tautou und John Turturro.

(Foto: Seacia Pavao/Eurovideo)

Fast alle Figuren im "Big Lebowski" wurden vom Freundeskreis der Coens inspiriert. Der "Dude" basiert lose auf dem verrückten Indiefilm-Produzenten Jeff Dowd, sein psychotischer Kumpel Walter auf dem "Apocalypse Now"-Drehbuchautor John Milius. Und Jesus Quintana, bezeugten die Coens schon mehrfach, war vor allem eine Kreation von John Turturro selbst, die sie so faszinierend fanden, dass sie gleich ins Drehbuch kam.

Sein Mini-Auftritt - Jesus ist nur in zwei Szenen zu sehen - brannte sich den Zuschauern dermaßen ein, dass er kaum das Haus verlassen könne, ohne darauf angesprochen zu werden, beschrieb Turturro in Variety. "Niemand verarscht Jesus!", diesen berühmten One-Liner aus dem Film würden ihm die Fans auf der ganzen Welt ständig hinterherrufen.

Nachdem er sich das mehr als zwei Jahrzehnte angehört hatte, bat Turturro die Coens um ihren Segen, einen eigenen Film über diese Figur drehen zu dürfen. Weniger als offizielle Fortsetzung denn als Soloauftritt für Jesus. Als er ihnen dann noch erklärte, dass er als Vorlage für seine Fortschreibung die französische Sexfilmkomödie "Les Valseuses/Die Ausgebufften" von 1974 nehmen wolle (Hauptrolle: der noch nicht zum gallischen Hefeknödel aufgedunsene Gérard Depardieu), hätten sie die Idee absurd genug gefunden, um Ja zu sagen.

Das Ergebnis heißt also "Jesus Rolls" und wird "Lebowski"-Ultras enttäuschen, weil zwar ein bisschen gebowlt wird, aber wirklich nur ein bisschen, und weil außer dem Titelhelden keine andere Figur des Originals vorkommt. Trotzdem handelt es sich um einen in jeder Hinsicht sympathisch merkwürdigen Film, den Turturro auch selbst geschrieben und inszeniert hat.

Sein dramaturgisches Hauptproblem für dieses Projekt war, dass sein Protagonist in "Big Lebowski" vom verfeindeten Bowlingteam als Päderast bezeichnet wird. Weil Kinderschänder aber eher schlechte Helden für eine Komödie sind, zeigt der Film in einer Rückblende ein sehr lustiges Missverständnis auf einer öffentlichen Toilette, die den Vorwurf der Pädophilie ein für alle Mal aus der Welt räumt. Jesus fasst keine Kinder an!

Franzosen wissen, dass man für einen guten Film keine Handlung braucht

Was dann folgt, ist ein Roadtrip inspiriert vom französischen Film "Les Valseuses", von dem Turturro ein Remake inklusive Jesus drehen wollte. "Les Valseuses" kann man umgangssprachlich mit "Die Eier" übersetzen, und wer vermutet, dass es dabei nicht um Hühner geht, hat natürlich vollkommen recht. In keiner Phase der Filmgeschichte waren die Grenzen zwischen Sex- und Kunstfilm so fließend wie im französischen Kino der Siebzigerjahre. "Les Valseuses" handelt von zwei Jungs, gespielt von Gérard Depardieu und Patrick Dewaere, die in geklauten Autos oder notfalls auch auf geklauten Fahrrädern durchs sommerliche Frankreich ziehen und allerlei erotische Abenteuer erleben.

Eine Handlung im engeren Sinn gibt es nicht, was vermutlich genau das war, was Turturro so gut an dem Stoff gefallen hat. Im Gegensatz zu den Drehbuchfetischisten in Hollywood haben die Franzosen so etwas Langweiliges wie eine Handlung noch nie gebraucht, um einen guten Film zu machen, solange l'amour nicht zu kurz kommt.

Also hat Turturro seinem Jesus einen besten Kumpel namens Petey (Bobby Cannavale) an die Seite geschrieben, damit sie sich wie ihre französischen Vorbilder durchs Land schlawinern können, nur diesmal durch die USA. Um dem Herkunftsland der Vorlage trotzdem die Ehre zu erweisen, hat Turturro als erste Liebelei der beiden Kumpel die Französin Audrey Tautou besetzt, die lustvoll gegen ihre verträumte "Amélie"-Aura anspielt. Überhaupt ist der Film prominent besetzt, in Nebenrollen treten Christopher Walken, Susan Sarandon und Jon Hamm aus "Mad Men" auf.

Es gibt einige lustige Gespräche über die Theorie der Liebe, vor allem aber gibt es viel Liebe in der Praxis, wenn nicht gerade Auto gefahren oder in der Landschaft herumgesessen wird. Das kann man monoton finden, tun auch viele, wenn man sich die bisherigen Bewertungen in den Filmportalen anschaut.

Aber mal ehrlich: Was gibt es im Oster-Lockdown-Hausarrest Schöneres, als ein paar durchgeknallten Typen dabei zuschauen zu dürfen, wie sie einfach mal drauflosfahren in die Welt, um zu schauen, was passiert? Denn auch wenn der Tank irgendwann leer sein wird, ist es doch tröstlich zu wissen: Jesus lebt.

The Jesus Rolls, USA 2019 - Regie, Buch: John Turturro. Kamera: Frederick Elmes. Mit: John Turturro, Audrey Tautou, Bobby Cannavale. Eurovideo, 87 Minuten. Ab 25. März als Video-on-Demand, ab 8. April als DVD und Blu-ray.

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